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Auf verlorenem Posten

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JENSEITS VOM JORDAN. Von John B. Glubb Pasch. Paul-List-Verlag, München. 428 Seiten. Preis 22.80 DM

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JENSEITS VOM JORDAN. Von John B. Glubb Pasch. Paul-List-Verlag, München. 428 Seiten. Preis 22.80 DM

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War die Errichtung des Staates Israel ein Gebot der Gerechtigkeit oder zumindest eine unabweisliche Forderung weitblickender Staatskunst? Wer so fragt, muß damit rechnen, des Antisemitismus, also eines schweren moralischen Defekts, bezichtigt zu werden. Er wird sich damit abfinden können, denn vernünftig und billig denkende Menschen werden in diesem Zusammenhang keinen Anlaß finden, einen solchen Vorwurf zu erheben. Was zur Debatte steht, ist ja nicht das Judentum als eine religiöse, rassische oder sonstwie gekennzeichnete Gemeinschaft, sondern die Geschichte eines Staatswesens, welches ebensowenig wie irgendein anderes Anspruch darauf erheben kann, einer kritischen Betrachtung seiner Entstehung ! und seines Werdegangs entzogen zu bleiben. Und die Frage muß gestellt und eingehend geprüft werden, will man dem nahöstlichen Problem, dessen lebenswichtige Bedeutung für die westliche Welt immer klarer zutage tritt, auf den eigentlichen Grund kommen.

Das Dokument, welches man als die Geburtsurkunde Israels bezeichnen könnte, ist der Brief, den der damalige britische Außenminister, Arthur Bal- four, am 2. November 1917, also ein Jahr vor dem Ende des ersten Weltkrieges, an Lord Rothschild, Obmann des Bundes britischer Zionisten, gerichtet hat.' „Seiner Majestät Regierung“, so heißt es da, „betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung, in Palästina, eines nationalen Heimes für das jüdische Volk, und sie wird ihr Bestes tun, um die Verwirklichung dieses Vorhabens zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen darf, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte. Was immer der britischen Regierung damals unter der Bezeichnung „nationales Heim“ für das jüdische Volk vorgeschwebt haben mag — etwa ein durch Exterritorialität geschütztes religiöses und kulturelles Zentrum an der den orthodoxen Juden heiligen Stätte —, der Gedanke eines jüdischen Nationalstaates, der nach der Zerstörung des Osmanischen Reiches auf dem Boden Palästinas zu gründen wäre, war sicherlich nicht dabei. Denn schon zwei Jahre vorher, im Oktober 1915, war dem Scherif Hussein von Mekka, Führer der gegen die osmanische Herrschaft revoltierenden Araber, britischerseits die bindende Zusage gemacht worden, daß nach siegreicher Beendigung des Krieges gegen die Mittelmächte und deren türkische Verbündete der gesamte arabische Raum, von der anatolischen und der persischen Grenze bis zum Roten Meer und dem Indischen Ozean, vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf, seine Freiheit und Eigenstaatlichkeit erhalten werde; lediglich bestimmte Distrikte der türkischen Wilajets Syrien und Beirut westlich von Damaskus, Horns, Hama und Aleppo — aber kein Teilchen palästinensischer Erde — waren von diesem Versprechen ausgenommen. Und fast zwölf Jahre nach der Deklaration Balfours, am 17. Mai 1939, veröffentlichte Whitehall ein vom Parlament zu West- minster approbiertes Weißbuch, in dem es hieß: „S. M. Regierung erklärt jetzt unzweideutig, daß es nicht zu den Zielen ihrer Politik gehört, Palästina zu einem jüdischen Staat werden, zjtJassen.“ Allerdings, mit seinem tatsächlichen Verhalten stellte sich Großbritannien in einen schroffen Gegensatz zu den gemachten Grundsatzerklärungen und Zusagen. Nicht nur, daß nach Kriegsende von dem den Arabern verheißenen Selbstbestimmungsrecht keine Rede mehr war und der arabische Raum, statt einen Staat zu bilden, wie man es mit Emir Hussein vereinbart hatte, eine Zerstückelung durch willkürlich gezogene Grenzen erfuhr; noch schlimmer, in den Augen der Araber, war es, daß die britischen Behörden in Palästina — zuerst als Militärregierung konstituiert, später unter einem Völkerbundmandat amtierend — keine Bedenken zeigten, einer ständigen Erhöhung der jüdischen Bevölkerungsquote durch Genehmigung legaler und Nichtverhinderung illegaler Zuwanderung Vorschub zu leisten und damit die sogar in der Balfour-Deklaration von 1917 anerkannten Rechte der nichtjüdischen Volksteile, vor allem also der Araber, zu gefährden. Die antibritischen Revolten der palästinensischen Araber in der Zwischenkriegszeit waren die ersten, aber noch lange nicht die letzten Früchte aus der “aat des Hasses, der durch die zwiespältige britische Politik in arabisch Herzen gesät worden war.

Allerdings, es wäre ungerecht, die Verantwortung für diese Politik allein den damaligen britischen

Staatsmännern anzulasten. In der allgemeinen Meinung Englands und mehr noch der Vereinigten Staaten hatte der intransigente Zionismus einen mächtigen Bundesgenossen, wogegen der arabische Standpunkt wenig Beachtung und noch weniger Verständnis fand. Das lag großenteils daran, daß das Bild Palästinas, wie man es aus der Biblischen Geschichte in Erinnerung hatte, auch jetzt noch, 19 Jahrhunderte nach Christi Geburt, für zutreffend gehalten wurde. Man wußte nicht oder wollte nichts davon wissen, daß dieses Land zu keiner Zeit ganz oder auch nur, abgesehen vom kleinen Kerngebiet Judäa, mehrheitlich jüdisch besiedelt war; daß bald nach der Niederwerfung des letzten jüdischen Aufstands gegen die römische Herrschaft im 2. Jahrhundert die Juden fast ganz aus Palästina verschwanden und daß es nicht ein jüdisches, sondern ein fast rein christliches Land war, in das, mit der Eroberung durch die Araber, der Islam seinen Einzug hielt, um hier, ausgenommen kurze Unterbrechungen, 13 Jahrhunderte lang zu dominieren. Und auch wenn man wenigstens das wußte, daß 1918, zur Zeit des osmanischen Zusammenbruchs, bloß sieben Prozent der Bewohner Palästinas Juden waren und 93 Prozent Mohammedaner bzw. Christen in nicht geringer Zahl, so wurde dem kaum eine Bedeutung beigelegt, weil man im säkularisierten Westen keine Vorstellung mehr hatte von der Heftigkeit der politischen Gegensätze, die aus dem Unterschied religiöser Bekenntnisse erwachsen können. Man nahm das Projekt eines jüdischen Nationalstaates in Palästina immer mehr als eine Selbstverständlichkeit an, selbst als es mit dem Einsetzen der nationalsozialistischen Judenverfolgung hätte erkannt werden müssen, daß etwa das Territorium von Uganda, welches die britische Regierung schon 1903 den Zionisten angeboten hatte, schon aus räumlichen Gründen ungleich besser geeignet gewesen wäre, den heimatlos gewordenen Juden eine sichere Zuflucht in einem eigenen Staatswesen zu gewähren. Und auch dann noch wurde jenem Projekt kein Fragezeichen angefügt, als blutige Kämpfe zwischen Juden und palästinensischen Arabern und die zunehmende Gewalttätigkeit terroristischer Organisationen, wie der sogenannten Stern-Bande, der viele Angehörige der britischen Mandatsverwaltung zum Opfer fielen, das Bedrohliche der weiteren Entwicklung deutlich genug voraussehen ließen.

Am 14. Mai 1948 wurde die britische Flagge in Palästina zum letztenmal eingeholt. Am nächsten Morgen begann der Krieg zwischen der Arabischen Liga und dem formell erst vor Stunden erstandenen Staat Israel. Was dann folgte, bildet das Hauptthema des Buches, in welchem Glubb Pascha sein Leben und Wirken als Soldat mit den Arabern Revue passieren läßt. Schon 1920 kam er als blutjunger britischer Offizier nach dem Irak, wo er bald zu einem verständnisvollen und aufrichtigen Freund der Araber wurde. Fünf Jahre später nahm er seinen Abschied von der britischen Armee, um in die Dienste Abdullahs zu treten, des Emirs und späteren Königs von Jordanien, der ihm nach weiteren 14 Jahren, knapp vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, das Kommando der Arabischen Legion und damit der gesamten bewaffneten Macht des kleinen Königreiches übertrug. An der Spitze dieser heldenhaften Truppe — sie war ursprünglich bloß als Wüstengendarmerie gedacht und nur als solche ausgebildet und ausgerüstet — hat General Glubb, von den Bundesgenossen durchweg und meist auch von der eigenen Regierung im Stich gelassen, im Kampf gegen einen an Zahl und Bewaffnung um ein Vielfaches überlegenen Gegner schier Unglaubliches geleistet. Wenn wenigstens ein Teil der rein arabischen Ge-

biete Palästinas vor israelischer Okkupation bewahrt wurde und seine Bewohner dadurch dem Schicksal entgingen, das Hunderttausende ihrer aus der Heimat verjagten Stammesbrüder erfahren mußten, so war das Glubbs Verdienst. Welchen Dank er dafür empfing, ist bekannt: im Februar 1956 wurde er schlagartig seines 'Kommandos enfhöbeh'nürid gezwungen, das Land, dem er jahrzehntelang in aufopfernder Treue gedient hatte, binnen Stunden zu verlassen. Aber diese schmähliche Behandlung hat ihn ebensowenig verbittert, wie seine tiefe Liebe zu den Arabern ihn dazu bewegen konnte, in seinem Bericht den Grundsatz strengster Objektivität irgendwie zu verletzen. So sind diese Memoiren zu einem wertvollen historischen Dokument geworden, dessen Autor sich übrigens, vom literarischen Standpunkt aus gesehen, auch als ein Meister fesselnder und bildhafter Darstellung erweist. Sie sollten in der nahöstlichen Abteilung eines jeden Außenministeriums zur Pflichtlektüre gehören und auch sonst mit Aufmerksamkeit von jedem gelesen werden, der sich über die Angelegenheiten des Nahen Ostens, besonders in bezug auf die arabisch-israelischen Streitfragen, ein sachlich fundiertes Urteil bilden will.

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