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Die heimlichen Pogrome des Ost ens

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Es scheint einen „Warschauer Pakt“ des Antizionismus zu geben, der unter geschickter strategischer Lenkung sowjetischer Ideologiegeneräle einen Vielfrontenkrieg gegen Israel und den Zionismus oder was sie darunter verstehen führt. Dabei wird einem schleichenden Antisemitismus Vorschub geleistet. Besonders krasse und charakteristische Erscheinungsformen besitzt dieser antijüdische Feldzug in der Ukraine, wo die meisten Juden der UdSSR leben. Ein gespenstischer Zug dieser intensiven Kampagne ist, daß eingeschüchterte Juden gezwungen werden, im Chor der Regiepropagandisten mitzusingen und ihre Brüder im Westen und vor allem in Israel nicht nur zu verurteilen, sondern auch zu verdammen.

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Es scheint einen „Warschauer Pakt“ des Antizionismus zu geben, der unter geschickter strategischer Lenkung sowjetischer Ideologiegeneräle einen Vielfrontenkrieg gegen Israel und den Zionismus oder was sie darunter verstehen führt. Dabei wird einem schleichenden Antisemitismus Vorschub geleistet. Besonders krasse und charakteristische Erscheinungsformen besitzt dieser antijüdische Feldzug in der Ukraine, wo die meisten Juden der UdSSR leben. Ein gespenstischer Zug dieser intensiven Kampagne ist, daß eingeschüchterte Juden gezwungen werden, im Chor der Regiepropagandisten mitzusingen und ihre Brüder im Westen und vor allem in Israel nicht nur zu verurteilen, sondern auch zu verdammen.

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In der Bulgarischen Volksrepublik leben derzeit nur 5000 Juden. Das antiisraelische Konzert ist gut instrumentiert, die Noten kamen ja von talentierten Komponisten aus Moskauer Werkstätten. Das Orchester wird in Sofia von der zentralen „approbierten“ Führerschaft des bulgarischen Judentums gestellt Im Sofioter Jüdischen Zentrum wurde am 26. März 1970 eine öffentliche Versammlung zusammenge-getrommelt, die dem folgenden Thema gewidmet war: „Die wachsende Zahl israelitischer Provoka-kationen gegen die benachbarten Nationen und die Aufrufe von Golda Meir und des Präsidenten des Weltzionistischen Kongresses, Goldman, an die in anderen Ländern lebenden Juden, nach Israel zu gehen.“ Nach einer einleitenden Darlegung traten zwei führende Persönlichkeiten des bulgarischen Judentums aufs Podium: Josef Astrukoff und das international bekannte Akademiemitglied, Jaques Natan, die mit bitteren Worten Tel Aviv und die israelische „aggressive Politik“ brandmarkten. Natan ging sogar so weit, daß er eine dramatische Parallele zwischen „den zionistischen Träumen von Groß-Israel und Hitlers Traum vom Groß-Deutschland“ zog. Natans Expose enthielt so absurde Auslassungen wie etwa, daß die Zionisten selbst an der Ausbreitung des Antisemitismus schuld seien!

Andere Redner überboten sich darin, „die Entrüstung der bulgarischen Juden“ zum Ausdruck zu bringen, und „die unverschämten Anstrengungen der Zionisten“ zu verurteilen, die Juden nach Israel zu bringen.

Ein Zug zum offiziellen Antisemitismus geht mit dem erneuerten sowjetischen Einfluß in der Tschechoslowakei Hand in Hand. Der Rundfunk und die gesamte Parteipresse bringen sowjetische Publikationen über „Zionistische Verschwörungen“. So wurde ein Hetzartikel aus der sowjetischen „Komsomolskaja

Prawda“ veröffentlicht, in dem die Juden Ota Sik und Eduard Goldstücker bezichtigt wurden, in London an einer „Geheimkonferenz der zionistischen Organisationen“ teilge-genommen zu haben. (Auch die polnische Presse übernahm diesen Artikel). Er löste eine ganze antisemitische Propagandakampagne aus, die ihren Höhepunkt in einer 15-Minu-ten-Sendung des Moskauer Korrespondenten des Prager Rundfunks, F. .7. Kolar, am 12. März 1970 erreichte, die den Titel trug: „Die Methoden der zionistischen Propaganda“. > Die für 1968 von der Prager Kultusgemeinde geplante Tausendjahr-Feier der ersten jüdischen Niederlassung in der tschechischen Hauptstadt, zu der ursprünglich Juden aus der ganzen Welt hätten kommen sollen, wurde immer wieder verschoben und schließlich jeglichen internationalen Charakters beraubt. Das gleiche geschah im Falle der 700jährigen Gründung der Alt-Neu-Svnagoge in Prag, als nur ein kleiner, lokal begrenzter Gedenktag abgehalten werden durfte, bei dem nur kulturelle und nicht die religiösen Aspekte in den Mittelpunkt gestellt werden durften. Interessanterweise bleiben die antisemitischen Bemühungen in Böhmen und Mähren ohne Echo. Im Gegenteil. So nahmen am Theresienstadtlager-Gedenktag im Mai 1969 nicht weniger als 50.000 NichtJuden demonstrativ mit teil. Selbst Alexander Dubcek kam in Gesellschaft von Josef Smrkovsky und Cestimir Cisar, die judenfreundliche Reden hielten. Heute wäre derlei allerdings nicht mehr möglich. Vandalismen werden geduldet, wie zum Beispiel die Zerstörung des alten jüdischen Friedhofs und des Gebetshauses in Jihlava Mitte April 1969. Man spricht zwar von „Antizionismus“, benimmt sich aber antisemitisch.

sind rauhere Töne gegen die Juden zu hören als im tschechischen Lande. Juden werden bei der Wiedergutmachung für die Naziopfer diskriminierend behandelt. Die jüdische Monatszeitschrift „Vestnik Zidovs-kych Nabozenskych Obci v Cekos-lovensku“ Wies bereits im Dezember 1969 darauf hin, daß die Kommission des Verteidigungsministeriums in Preßburg, die diese Angelegenheit für die ganze Slowakische Republik bearbeitete, die Ausgabe von Bestätigungen über Naziverfolgungen an Bürger verweigerte, die nicht in Konzentrationslagern eingesperrt waren. Auch Entrechtungen, Diffamierungen und Ausplünderungen während des Krieges seitens der damaligen slowakischen Regierung wurden von der kommunistischen Kommission nicht berücksichtigt, amtliche Affidavits — Vorbedingungen für verschiedene Vergünstigungen — verweigert. Wer sie nicht besitzt — wie die slowakischen Juden in den meisten Fällen —, bekommt keine finanzielle oder andere materielle Unterstützung.

Der israelisch-arabische Krieg hat den zweifellos vorhandenen schleichenden Antisemitismus ebenso gespalten wie die Reihen des Judentums. Die tradionellen „Berufsantisemiten“ mußten mit Bestürzung feststellen, daß sie sich plötzlich im selben Lager befanden wie die von ihnen gar nicht geliebten sowjetischen Besatzungsgeneräle. Die Juden waren zwar gefühlsmäßig einhellig auf der Seite ihrer Brüder in Israel, viele von ihnen mußten es jedoch verheimlichen, sofern sie bessere Stellungen in der Volksdemokratie bekleiden. Für Juden in exponierten Stellungen bedeutet die sowjetische Nahostpolitik eine, konstante Verlegenheit, Unsicherheit, wenn nicht gar Gefahr. Sie sind in keiner beneidenswerten Situation. Im privaten Kreise mit anderen weniger exponierten Glaubensgenossen müssen sie sich allerhand von diesen sagen lassen. So ist das ungarische Judentum heute eigentlich gepalten. Moskaus heutige antisemitische Politik ist für die alten extremrechten Antisemiten bitter und unangenehm. Sie hatten geglaubt, daß Antikommunismus und Antisemitismus zusammen gehörten. Jetzt befinden sich die Szälasis, Hitlers ungarische Jünger und die alten Kämpfer, ohne zu wissen wie, im „sozialistischen Lager“. Die intelligenteren Altnazis haben ihre kollektiv verurteilende antisemitische Ideologie aufgegeben, sie reservierten sich nur noch „persönliche“ Antipathie gegen „einzelne“ Juden. Viele von ihnen sehen in Israel einen verfolgten kleinen Staat und rechnen ihm den konsequenten, tapferen Kampf gegen die von den Russen ausgehaltenen Arabern hoch an.

Interessanterweise ist bei • vielen ungarischen Kommunisten dieselbe Reaktion zu beobachten. Seit dem Krieg im Nahen Osten mußten sie nämlich, wenn sie nicht ganz blind waren, einsehen, daß die UdSSR t nicht für den proletarischen Internationalismus kämpft. Es geht nicht um den Frieden, die Verbreitung des Sozialismus, sondern um die sowjetischen Großmachtinteressen. Moskau will sich die militärische, politische und wirtschaftliche Hegemonie im östlichen Mittelmeerbecken und im Mittleren Osten sichern, wobei auf Juden ebenso wenig Rücksicht genommen wird wie auf Ungarn, Tschechen oder Rumänen.

Im vergangenen Frühjahr konnten die Sowjetbürger mit Überraschung feststellen, daß die Hundertjahrfeier für Lenin von einer antizionistischen Propagandakampagne in den Schatten gestellt wurde. Bestellte Deklarationen, Proteste, Leserbriefe füllten die Zeitungen und Fernseh- und Rundfunkprogramme, um gegen die angeblichen „Verbrechen der Zionisten“ zum Sturm zu blasen. Das seltsamste Phänomen dieser Dauermanipulation war, daß selbst So-wjetjuden als Protestierer in den Vordergrund geschoben wurden: „Helden des zweiten Weltkriegs“ mit hohen Auszeichnungen, berühmte Wissenschaftler und Künstler waren die Stars des Feldzuges. Da die Ukrainische Sowjetrepublik die meisten Juden — laut dem Census von 1959: 840.000 — aufweist, wird die antijüdische Propaganda dort besonders stark geführt. Sieben auserwählte ukrainische Literaten ließen sich als Handlanger gegen den „kriegerischen Zionismus“ gleich nach der Okkupation der CSSR mißbrauchen. Der Sekretär des Parteikomitees der Schriftstellerunion, Kosatschenko, richtete eine wütende Attacke gegen die „sogenannten Schriftsteller Goldstücker, Vaculik und Prochazka“. Dann folgten als Angreifer des „Literatur-Zionismus“ der orthodoxe Poet Ponch, die Dichterin Tkatschenko, der Schriftsteller Naumow und seine Kollegen Nognibed und Gontscharenko. Sie leisteten einen Rütlischwur der Unfreiheit. Einige ukrainische Literaten machten die Propagandakampagne nicht mit. Ehrend sei ihr Name festhalten: Schuba, Ku-stenko, Gontschar und Katuschins-Icaja...

Spitzenpropagandisten konzentrieren seit Monaten ihre ganze Aufmerksamkeit auf „Analysen“ des Zionismus. Wen überrascht es, daß kürzlich ein von zahlreichen ukrainischen Juden unterzeichnetes Dokument kolportiert wurde, in dem die Sowjetgeschichte auf den Kopf gestellt wurde. Bekanntlich ist der Staatschef der sogenannten ..Selbständigen Ukraine“. Simon Petljura, im Jahre 1926 von einem Juden in Paris erschossen worden, weil Petljura in seiner Amtszeit viele Pogrome in der Ukraine veranstaltet hatte. Laut „Radjanska Ukrajna“ vom 13. März 1970 bezichtigte das „Dokument“ die Zionisten, mit den weißen Generälen Wrangel und Denikin sowie — man will seinen Ohren nicht trauen — mit dem Judenfresser Petljura kollaboriert zu haben! Und noch mehr: „Die Führer des Zionismus ... spielten eine verächtliche Rolle, als sie mit den Nazis zusammenarbeiteten, und sie verurteilten Mitglieder ihrer eigenen Rasse zu Torturen und Tod. Die Tragödie von Babi Jar wird ewig ein Symbol bleiben, nicht nur für den Kannibalismus der Nazis, sondern auch für die unausrottbare Schande ihrer Kollaborateure und Gefolgschaft: der Zionisten.“ Ein anderes „Dokument“ stammt von einem Lehrer der jüdischen Geschichte an einer Schule in Kiew — wie dies von der „Robitnycha Gazeta“ vom 7. März 1970 zu entnehmen ist —, in dem wörtlich steht: „Es ist nachgewiesen, daß von 1944 und 1945 die internationalen zionistischen Organisationen bereit waren, Waffen an Hitlers Armeen unter der Bedingung zu liefern, daß jene Waffen nur gegen die Sowjetarmee eingesetzt werden dürfen. Sie (die Zionisten) boten ihre Hilfe an, Gespräche über Deutschlands Kapitulation einzuleiten, unter der Bedingung, daß die Hitler-Armee nur vor den Armeen der westlichen Staaten kapitulieren“.

Die antiisraelische Propaganda zielt Jedoch in nicht geringem Maße darauf ab, die Sympathien der Sowjetjuden für Israel sowie den Wunsch vieler von ihnen, dorthin auszuwandern, zu töten. Die Kibbu-zim werden als Prototypen der Ausbeutung hingestellt, in Vergleich mit ihnen erscheinen Sowjetkolchosen als Südseegaradiese.

Vor dem Hintergrund der anti-israelischen Kampagne, — in sämtlichen Teilen der Sowjetunion, besonders jedoch in den baltischen Republiken, in der Ukraine sowie in Aserbeid-schan und anderen von Mohammedanern bewohnten Sowjetrepubliken, erscheinen das öffentliche Auftreten, die mit Namen und genauer Adresse gezeichneten Petitionen sowjetischer Juden an die Sowjetbehörden und an die UNO um Auswanderung nach Israel als ein Mut, vor dem man sich in unserer konformistischen Welt mit Ehrfurcht verneigen muß.

Eingedenk zaristischer Ochrana-Traditionen wurde unlängst gegen diese Mutigen eine Aktion durchgeführt, die ihren provokatorischen Charakter nicht verbergen konnte. Irgendein Subjekt erschien bei einer Reihe dieser Menschen und redete ihnen ein, daß eine Möglichkeit bestehe, nach Israel zu gelangen, wenn sie sich an einem bestimmten Tage auf dem Leningrader Flugplatz zum Kursflugzeug nach Riga einfänden. Als sie dort erschienen, wurden sie allesamt dort von vorher aufgestellten Polizeiagenten wegen „beabsichtigter Entführung des Flugzeuges nach Israel“ verhaftet. Nicht genug damit, erschien die Polizei gleichzeitig auch in anderen Städten in den Wohnungen vieler als „Petenten“ um Auswanderung nach Israel bekannter Juden und verhaftete sie gleichfalls als potentielle Flugzeugentführer!

Die oben erwähnten Konzentrationspunkte der anti-israelischen Kampagne sowie die auffallend starke Beteiligung militärischer Institutionen — etwa durch im Verlag der Sowjetarmee erscheinende Hetzschriften gegen Israel und den Zionismus ergeben, mit der nunmehr offenen aktiven Intervention sowjetischer Heerespiloten, Raketenabschußtruppen, Artilleristen und Ausbildner bis auf Bataillonsebene in den arabischen Ländern einen Reim, den sich jeder bereits selber machen kann. Sicher aber ist, daß die ganze Kampagne, wenn schon nicht Begeisterung, so wenigstens stummes Sichabfinden mit dem so kostspieligen Engagement im Nahen Osten bei der Bevölkerung des Sowjetstaates hervorrufen soll.

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