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Erste Verfolgungen vor 700 Jahren

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„Holocaust“ steht Österreichs Fernsehern Anfang März ins Haus. Die FURCHE bringt als Einführung heute einen gerafften Auszug aus dem (vergriffenen) Styria-Buch der Historikerin Weinzierl „Zu wenig Gerechte“ und nächste Woche eine Darstellung des eben bei Herold erschienenen Werkes „Verfolgung und Selbstbehauptung (Die Juden in Österreich 1938-45)“ von Herbert Rosenkranz.

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„Holocaust“ steht Österreichs Fernsehern Anfang März ins Haus. Die FURCHE bringt als Einführung heute einen gerafften Auszug aus dem (vergriffenen) Styria-Buch der Historikerin Weinzierl „Zu wenig Gerechte“ und nächste Woche eine Darstellung des eben bei Herold erschienenen Werkes „Verfolgung und Selbstbehauptung (Die Juden in Österreich 1938-45)“ von Herbert Rosenkranz.

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Die erste urkundlich gesicherte Erwähnung von Juden auf österreichischem Boden in der Zollordnung von Raffelstätten stammt aus dem Beginn des 10. Jahrhunderts. Die Anordnungen der mittelalterlichen kirchlichen Judengesetzgebung -Errichtung von Ghettos, Kennzeichnung der Juden durch eigene Tracht und anderes - setzten sich in Österreich zunächst sehr langsam durch.

Trotz ihrer Beschränkungen wurdfc die Wiener Judengemeinde unter dem Schutz der Babenberger im 13. Jahrhundert zur größten des Heiligen Römischen Reiches. Der letzte Babenberger, Herzog Friedrich II. der Streitbare, erließ 1244 ein Judenprivileg, in dem er die Juden rechtlich sicherte. Schwere Anklagen gegen Person oder Eigentum eines Juden sollten künftig nicht mehr allein auf Grund der Aussagen christlicher Zeugen entschieden werden.

Am Ende des 13. Jahrhunderts kam es in einigen kleineren Städten zu Judenverfolgungen. Sie erreichten ihren Höhepunkt nach der großen Pest von 1348, für deren Urheber man die Juden hielt.

Die habsburgischen Herzöge Albrecht II. (1330-1358) und Rudolf IV. (1358-1365) haben mit ihren Verordnungen die judenfreundliche Politik der letzten Babenberger trotzdem noch fortgesetzt. Erst unter Albrecht III. (1365-1395) und Albrecht IV. (1395-1405) wurden die Rechte der Juden eingeschränkt. Schließlich haben die Hussitenkriege zur ersten großen Austreibungs- und Vernichtungsaktion unter den österreichischen Juden geführt. Der Vorwurf der Zusammenarbeit mit dem hussi-tischen Feind und angeblicher Hostienfrevel dienten Herzog Albrecht V. 1420/21 als Vorwand für die Ausweisung und Verbrennung der Juden in seinem Herrschaftsbereich.

Wenige Jahrzehnte später bewirke die Ritualmordbeschuldigung die Verfolgung und Austreibung der Tiroler Juden. Vermutlich ist auch die Vertreibung der Juden aus Steiermark und Kärnten 1476 und aus Salzburg 1498 vom Ausgang des kirchlichen Prozesses gegen die an-

geblichen Mörder des Knaben Simon von Trient (1475) beeinflußt worden.

Im 16. Jahrhundert durften sich aber in Wien wieder einzelne Juden niederlassen, da der Landesfürst ihre finanziellen Dienste, auf die sie ja infolge der kirchlichen Gesetze beschränkt waren, benötigte. 1625 wurde das zweite Wiener Ghetto gegründet. Es wurde von Kaiser Ferdinand II. (1619-1637) trotz des heftigen Widerstandes des Wiener Magistrats in Schutz genommen. Erst Kaiser Leopold I. entschloß sich zur neuerlichen Austreibung aller Wiener Juden, die die Zwangstaufe verweigerten.

Die Judenaustreibung bewirkte jedoch im Handel und im Finanzwesen solche Schäden, daß noch während der Regierungszeit Leopolds I. wieder einzelne Juden in Wien zugelassen wurden. Als sogenannte „Hof-

„Es war ihnen nicht erlaubt, sich den Bart scheren zu lassen, sie rangierten im Zolltarif neben dem Vieh“

Juden“ erhielten sie besondere Privilegien, darüber hinaus Macht und Einfluß als kaiserliche Heereslieferanten und Darlehensgeber.

1704 bestätigte Kaiser Leopold I. Emanuel Oppenheimer eine Schuld von mehr als zwei Millionen Gulden. Von 1688 bis 1709 streckten die Juden der Staatskasse 78 Millionen Gulden vor. Dennoch durften auch die privilegierten Hofjuden und kaiserlichen „Oberfaktoren“ nicht beherbergen und nur leise beten, um ihren christlichen Nachbarn kein Ärgernis zu geben.

Joseph II. hat schon als Mitregent seiner Mutter Maria Theresia versucht, in den österreichischen Erbländern eine Religionspolitik der Toleranz durchzusetzen. Er scheiterte am Widerstand der streng katholischen Kaiserin. Sie starb Ende November 1780. Bereits am 13. Mai 1781 erließ Joseph II. zur „besseren Bildung und Nutzung der Juden für den Staat“ Verfügungen, die die Lage der

Juden in Böhmen wesentlich erleichterten. Das Toleranzedikt für die Juden Wiens und Niederösterreichs stammt vom 2. Jänner 1782.

Der Inhalt dieser Dekrete: Abschaffung des Leibzolles und der Ghettos, Erweiterung der jüdischen Handelsfreiheiten, Ermunterung zur Anlegung von Fabriken, Pflicht des Besuches deutscher Normalschulen, Zulassung zu allen öffentlichen Lehranstalten und akademischen Berufen, zu den Künsten, dem Handwerk, allerdings ohne Recht auf die Erlangung der Meisterwürde und zum Ackerbau. Die Militärpflicht für Juden wurde 1788 eingeführt, freiwilliger Dienst in der Armee war schon vorher möglich.

Von den früheren Beschränkungen wurden jene der Einwanderung, die Toleranzsteuer und die jüdischen Heiratstaxen, das Verbot der Erwerbung von Haus- und Grundbesitz, die Verweigerung des Bürgerrechtes und das Einfuhrverbot für ausländische jüdische Bücher beibehalten.

Unter Karl IV. war sogar das mittelalterliche gelbe Judenzeichen wieder eingeführt worden. Unter Maria Theresia wurden die Juden aus Prag ausgewiesen. Es war ihnen nicht erlaubt, sich gleich den Christen den Bart scheren zu lassen, sie rangierten im Zolltarif neben dem Vieh. So bereitwillig Maria Theresia auf den Rat getaufter Juden, wie zum Beispiel Joseph von Sonnenfels, hörte, ihre jüdischen Hoffaktoren empfing sie nur hinter einem Vorhang verborgen.

Nach dem Tod Josephs II. (1790) forderte der Wiener Magistrat die Aufhebung des Toleranzpatentes, obwohl damals die Zahl der in Wien lebenden Juden noch sehr gering war (1784: 65 Tolerierte mit ihren 504 Personen zählenden Familien). Leopold II. lehnte dies zwar ab, doch kam es unter der Regierung seines Sohnes Franz II. zu einem Rückschlag: Ein Nicht-Tolerierter durfte sich nicht länger als einen Monat in Wien aufhalten.

Erst nach 1830 setzte sich der auch schon vorher in Einzelfällen nachweisbare Geist des Liberalismus in der Bürokratie allmählich durch. Zum Durchbruch verhalf ihm zunächst die Revolution 1848. Der Aufstieg des Bürgertums hatte aber schon früher begonnen und die Juden hatten an ihm Anteil. Vereinzelt gehörten sie sogar bereits zu den Spitzen der Gesellschaft.

Ab 1811 war es den Wiener Juden möglich, gemeinschaftlichen Hausbesitz zu erwerben, so daß erstmals ein gemeinsames Bethaus eingerichtet werden konnte. 1826 wurde der neuerbaute Tempel in der heutigen Seitenstettengasse eingeweiht. Auch der Aufbau sozialer und karitativer Institutionen war bereits im Gange.

Die Mehrheit der Juden - 1830 lebten in Wien 1600 - verdiente ihren Lebensunterhalt im Kleinhandel, da sie durch die Abneigung christlicher Meister gegen jüdische Lehrlinge von handwerklicher Beschäftigung weitgehend ausgeschlossen waren. Um so stärker war daher auch der Drang nach höherer Bildung, zur Universität, war das Streben gerade der intelligenten und begabten Juden, sich in den freien Berufen Rang und Ansehen zu verschaffen.

Fortschritte wurden auch in der Ära des Neoabsolutismus erzielt, was zum Teil auf den jungen Kaiser Franz Joseph persönlich zurückging. Da die Wirtschaft bereits weitgehend vom liberalen Geist durchdrungen war, konnte der Aufstieg der Juden in ihr ungestört fortschreiten.

Zunächst erhielten die Juden das Recht, auch außerhalb Wiens christliche Dienstboten zu halten. 1860 wurden sie zum Bau-, Müller- und Apothekergewerbe zugelassen, der Erwerb von Grund und Boden wurde ihnen gestattet. Das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 gewähr-

leistete jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und den vom Religionsbekenntnis unabhängigen „Genuß der bürgerlichen und

politischen Rechte“.

Der liberale Verfassungsstaat brachte den Juden die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Sie ermöglichte den Juden den Aufstieg in der Wissenschaft, vor allem in der Medizin, in Industrie und Wirtschaft, in der Presse und in der Literatur. 1856 gab es in Wien 15.600 Juden, 1869 schon 40.300, 1880 dann 72.590, und 1910 gar 175.318 Juden - 8,6 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Der große Durchbruch der Juden ist in der Ära des Hochliberalismus erfolgt, die für Österreich gleichzu-

„Der liberale Verfassungsstaat brachte den Juden die volle bürgerliche Gleichberechtigung“

setzen ist mit der Epoche der Industrialisierung im liberal-kapitalistischen Geist. Die durch sie bewirkten sozialen Umwälzungen förderten Existenzangst und Konkurrenzneid gerade im deklassierten Kleinbürgertum.

1878 schloß die Verbindung „Liberias“ als erste Wiener Burschenschaft ihre jüdischen Mitglieder aus. Durch Kontakte mit deutschnationalen Burschenschaften wurde auch Georg Ritter von Schönerer auf den Antisemitismus aufmerksam. Er und seine Anhänger haben ihn dann rassistisch aufgeladen und maßlose Judenhetze zur Grundlage ihrer Politik gemacht.

Seine mit ihr errungenen Erfolge haben schließlich Karl Lueger dazu veranlaßt, den Antisemitismus auch auf die Fahnen der unter seiner Führung um den Aufstieg kämpfenden Christlich- sozialen Partei zu schreiben.

1890 betrug der Anteil der Juden unter den Wiener Studenten 33 Prozent, in den Berufen der Rechtsanwälte, Arzte und Journalisten ungefähr 50 Prozent. Die Weltgeltung österreichischer Wissenschaft und Kunst beruht vor allem auf den Leistungen von Juden, die, wie Breuer, Freud, Mahler, Hofmannsthal, Schnitzler, Zweig, Werfet, Kafka oder Broch, im Vorkriegsösterreich geboren waren.

Die Notsituation der Nachkriegszeit ließ auch viele Österreicher wieder nach einem „Sündenbock“ Ausschau halten. Der politische Antisemitismus flammte erneut auf, geschürt von den Deutschnationalen, von den Christlichsozialen nicht eingedämmt. Der im Mai 1919von einem Christlichsozialen der Nationalversammlung vorgelegte Vorschlag, die Ostjuden in Lagern zu internieren, wurde jedoch von einem Sozialdemokraten abgewiesen.

In den dreißiger Jahren mäßigten die Christlichsozialen angesichts der Judenpolitik Hitlers ihren Standpunkt. Die österreichischen Juden wurden daher auch nach der Niederwerfung der österreichischen Sozialdemokratie, die von 1889 bis 1934 aus dem Judentum kommende Führer besessen hatte (Adler und Bauer), in ihrer Gleichberechtigung nicht beeinträchtigt

Der christliche Ständestaat Dollfuß' und Schuschniggs fand deshalb auch unter den Juden treue Anhänger. Er wurde sogar zur Zuflucht jüdischer Emigranten aus dem Dritten Reich. In Presse, Kunst und Wissenschaft kam es zu einer letzten Blüte der österreichischen jüdischen Geistigkeit, der gerade auch Karl Kraus so sehr zugehört. Im Salon des Ehepaares Werfel verkehrten Bundeskanzler Schuschnigg, Minister, Gelehrte und Künstler.

Der 11. März 1938 besiegelte das Schicksal der Juden und der Österreicher.

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