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Jan Sobieski

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In richtiger Wertung hat die Nachwelt den bedeutenden Anteil an dem Entsatz Wiens als das glorreichste Verdienst eines Mannes hervorgehoben, dessen Leben reich an herrlichem Vollbringen, allerdings auch an tragisch gescheiterten Bemühungen war. Um jenen 12. September 1683, da die verbündeten christlichen Heere den Scharen Kana Mustaphas eine vernichtende Niederlage beibrachten, hat sich nicht nur ein Kranz von Anekdoten geschlungen, die — im Gegensatz zu den andere historische Ereignisse begleitenden Erinnerungen — zumeist geschichtliche Wahrheit sind, sondern auch eine Kette wissenschaftlicher oder wissenschaftlich verkleideter politischer Polemik. Man hat versucht, den Polenkönig gegen Herzog Karl von Lothringen, den „General-Lieutenant“ des Kaisers, auszuspielen, den Anteil des polnischen Heeres an der Befreiung Wiens zu verkleinern, Sobieski aber niedrige Motive seines Handelns zu unterschieben. Derlei Kritiken an einer unvergänglichen Leistung des großen Königs und Feldherrn der vom heiligen Eifer erfüllten polnischen Nation steht heftiger Tadel gegenüber, der im Sarmatenzug an die Donau eine unverzeihliche Torheit er blickt; der gesunde Egoismus hätte den Polen und ihrem Herrscher jene romantische Geste verbieten müssen, die ihnen wenig Dank bescherte.

Nicht nur mit diesem Mäkeln an einer der rühm würdigsten Episoden europäischer Vergangenheit haben die Geschichtsklitterer unrecht; fast die gesamte, vom 19. .ins 20. Jahrhundert hinübergeschleppte Auffassung der Gestalt und des Lebenswerks Jans III. Sobieskis bedarf oder vielmehr sie bedurfte einer gründlichen Korrektur, die von den zeitgenössischen Historikern an der Hand der weitgeöffneten Archive vorgenommen worden ist. Der strahlende Held, den die Wienerinnen gleich einem rettenden Gott umringten, büßt dabei nichts von seinem romantischen Schimmer ein; der geniale Feldherr kann bei dfr fachkundigen Erforschung seiner Taktik und Strategie nur gewinnen. Neu und klarer erscheinen indessen die Umrisse des politischen Denkers, des Staatsmannes von hellblickenden Konzeptionen. Nach innen und nach außen hat er das Richtige gewollt, das Rechte getan und wenn er schließlich im wesentlichen, nämlich in der Umgestaltung Polens zu einem der damaligen Zeit gemäßen modernen Staatswesen, gescheitert ist, so entschuldigt ihn das Sprichwort der Alten; Nec Heracles contra piures; auch ein großer Monarch vermag nicht den zähen Widerstand einer geschlossenen Clique zu überwinden, die mit fremder Hilfe jede Erneuerung des Staates und der Gesellschaft vereitelt, jeden Fortschritt hemmt. Jan III. ist picht zum Begründer eines erneuerten Reiches geworden, wie er es gewollt hatte, doch seine Richtlinien hat er den Späteren unverlierbar vermacht.

Dieser treffliche Kenner ganz Europas und dee muselmanischen Ostens, der auf besinnlichen Reisen von Istanbul bis London und an die Pyrenäen gekommen war, der ein Halbdutzend Sprachen gleich vollkommen und ein weiteres Halbdutzend genügend verstand, der mit Descartes und Pascal gleichermaßen vertraut war, wie mit der Theorie ,des Festungsbaus, mit der Geschichte des Altertums so gut wie mit der Astronomie, der sich um jede Neuheit auf dem französischen Büchermarkt und um theologische Streitfragen ebenso kümmerte wie um die wirtschaftliche Hebung des Bauernstandes: dieser Uorno universale hat den Zug nach Wien keineswegs aus plötzlicher Gefühlsaufwallung unternommen. Wir können die Voabereitungen zum 12. September 1683 Tag für Tag auf Grund der Gesandtschaftsberichte und der eigenen Aufzeichnungen des Königs verfolgen. Die Schlacht am Kahlenberg gehörte in ein wohldurchdachtes politisches System, das sich Jan III. zurechtgelegt hatte und bei dem er sowohl die eigenen Interessen seines Reichs wie die der europäischen Völker- familie als Gesamtheit, die der Christenheit, berücksichtigte.

Jan III. ging vom Lebensrecht Polens aus, wie es bei einem Staatsoberhaupt dieses Landes selbstverständlich war. Er wollte seine Heimat, die unter den vorangehenden Regierungen der beiden letzten Wasa und de unglückseligen Michal Wisniowiecki

Schreckliches erduldet hatte, wieder auf die Stufe ihrer einstigen Macht und Blüte bringen. Dazu waren innere Reformen staatsrechtlicher und sozialer Natur nötig: Schaffung einer starken Zentragewalt; Beseitigung des politischen Einflusses der Latifundien- besitzer, die aus Wirtschaftsegoismus Polet) immer weiter nach Osten, damit aber auf verhängnisvolle Abwege drängten; unmittelbarer Kontakt der Zentralgewalt mit den breiten Massen der damaligen Vollstaatsbürger, der sogenannten Szlachta, und allmähliches Heranziehen der noch zahlreicheren Schichten, die überhaupt von der Teilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen waren und die deshalb dem Staate mit Gleichgültigkeit gegenüberstanden. Sobieski hat jede einzelne dieser fundamentalen Umwälzungen angebahnt. Er strebte die Errichtung einer konstitutionellen Erbmonarchie seines Hauses an: das scheiterte gleichermaßen an den Intrigen der Nachbarstaaten und Frankreichs, die in einer dauernden Schwächung Polens ihren Vorteil sahen, an der Unfähigkeit und moralischen Minderwertigkeit der zur Erbfolge berufenen Kinder Jans III. und am eigensüchtigen Widerstand der Magnaten. Der König holte siela tüchtige Feldherren, Diplomaten aus der Schicht des unserem Mittelstand vergleichbaren Kleinadels; er hatte zeit seiner Regierung mit den grollenden Feudalgeschlechtern zu schaffen; es gelang ihm nicht, jene wertvollen Elemente rechtzeitig ans Staatsruder zu bringen, die — mit Kosciuszko, Staszic, mit Mickiewicz, Lelewel, Traugutt — später und zu spät ihr Volk auf den Weg zu echter Demokratie geleiteten. Von seiner Fürsorge für den städtischen Bürger, für die Bauern und sogar für die Juden haben wir eine Menge Zeugnisse, die den Herrscher ebenso als seiner Zeit vorauseilenden Staatsmann wie als gütigen Menschen bestätigen. Alles das reichte jedoch nicht aus, im 17. Jahrhundert einen politischen Organismus, der mit seinen Formen noch dem 15. Jahrhundert angehörte, in einen des 19. Jahrhunderts umzuwandeln: und das, dieses Wunder, hätte

Jan III. verwirklichen müssen, um seinem Lande jene Kraft zu geben, deren es zur Ausführung der großen Pläne des Königs bedurfte.

Bar der natürlichen Grenzen, gefährdet durch die Nachbarschaft zweier dynamischer Großreiche im Osten und eines aggressiven Mittelstäats im Westen, eines zweiten, kaum an der Schwelle des Niedergangs befindlichen Militärstaats im Norden, mußte Polen, klug und seinen natürlichen Gesetzen entsprechend, einerseits sich Verbündete wählen, andererseits und sobald dies unvermeidbar war, den Kampf nicht scheuen. Sobieski entschied sich für die Allianz mit dem Osten, mit Moskau, der orthodoxen Großmacht. Er bekam dadurch die Hände frei gegen den bedrohlicheren, stärkeren Widersacher, das türkische islamische Weltreich der Osmanen mit seinen tatarischen Vasallen und Verbündeten. Dieser Entscheid war leicht. Schwerer war der im Westen. Hier erwog der König ohne Vorurteil, ob er sich dem Hause Habsburg oder den Bourbonen anschließen sollte. Zu Frankreich zogen ihn die Bewunderung für die geistigen und künstlerischen Leistungen des Grand Siecle, für die Staatskunst Ludwigs XIV. und seiner Minister, dann die Liebe zu seiner Gattin, Maria Kazimiera de la Grange d’Arquien. Diese Tendenzen traten aber zurück, al Sobieski bei seinen inneren Reformen auf französische Gegnerschaft stieß und vor allem, im weltpolitischen Zusammenhang, als der Sonnenkönig die Allianz mit dem Sultan pflegte, der Polens furchtbarster Feind war. Im Hinblick auf die Türkengefahr kehrte sich Jan III. dem Großstaat zu, der ebenfalls durch die noch ungebrochene Expansionslust der Hohen Pforte zu leiden hatte und der zugleich Frankreichs historischer Widerpart war, dem Kaiserhof. Sobieski, der strategisch und staatsmännisch sehr nüchtern urteilte, durfte es nicht zulassen, daß Polen, dem von Südosten her ständig die Invasionen der Tataren und periodisch die Einfälle des türkischen Gesamtheeres verhängt waren, im Falle einer vernichtenden Niederlage de Hauses Österreich den osmanischen Militärstaat längs der gesamten Karpathen und damit an der schutzlosen Südgrenze zum Anrainer erhalte. Darin liegt der Schlüsse! zum scheinbaren Rätsel des Zugs vor Wien.

Jan III. erkannte aber noch ein Zweites: daß der brandenburgische Kurfürst und der Hohenzollernstaat die unversöhnbaren Todfeinde Polens waren; daß die Zukunft der Rzeczpospolita nur durch den Besitz einer breiten Küste zu sichern war. Auch dieses Ziel trachtete er, gemeinsam mit dem Kaiserhof zu verwirklichen. Die Abwehr der osmanischen Expansion ist in der Schlacht am Kahlenberg mit so vollkommener Wirkung geglückt, daß die Türken Polen niemals mehr gefährlich wurden. Die

Ostseepläne Sobieskis scheiterten an der Unvernunft und an der Kleinlichkeit der polnischen Magnaten. Immerhin hat der Sieg des 12. September nicht nur Wien befreit, sondern auch Polen auf ein Jahrhundert vor dem Untergang bewahrt. Daß Sobieski gemeinsam mit Karl von Lothringen in schöner und von jedem Schatten freier Gemeinschaft diesen Erfolg errungen hat, ist durch das eigene Wort des kaiserlichen Feldherrn und durch viele sonstige Quellen verbürgt. Daß die entscheidenden Pläne vom Polenkönig stammten, erklärte der Lothringer mit den von edler Bescheidenheit zeugenden Sätzen: „Je n’ai agi que par ses dispositions qui ont ete approuvees et suivies. („Ich habe nur nach seinen — Sobieskis — Anordnungen gehandelt, die gebilligt und befolgt worden sind.") Zerstören diese Worte eine böswillige Legende, so gehört andererseits die schnöde Undankbarkeit der Habsburger ins Reich der Fabel. Leopold I. war dem Polenkönig aufrichtig verpflichtet. Die Unstimmigkeiten bei der Begegnung der beiden Herrscher nach der Schlacht am Kahlenberg sind maßlos übertrieben worden; sie erschöpften sich in Zeremoniellplänkeleien, die im Barockzeitalter nie auszuschalten waren. Tiefer traf es Sobieski, daß der Kaiser dem polnischen Erbprinzen die Hand einer Erzherzogin verweigerte. Doch auch da ist später durch die Heirat dieses, übrigens weniger sympathischen Fürsten mit einer Schwägerin des Kaisers gutgemacht worden. Jan III. blieb bis an sein Ende der treue Alliierte Österreichs und Moskaus. Doch nicht darin allein ist ein Vermächtnis beschlossen. Dem wahrhaft humanen und christlichen Herrscher war es beschieden, sich auch die Herzen seiner Kriegsgegner zu gewinnen. Türken und Tataren liebten den „Löwen von Lechistan“, der sich der Gefangenen freundlich annahm, der mit ihnen in ihrer Sprache redete und der mit der muselmanischen Kultur wohlvertraut war. Und in der Zeit des heftigsten politischen Gegensätze zu Frankreich blieb Sobieski mit der französischen Kultur in engster Fühlung. Er kannte überhaupt keine nationalen Vorurteile. Der überzeugte Katholik war menschlich duldsam gegen Protestanten, Orthodoxe, Juden, Mohammedaner. Klug, gut, hochgesinnt, tapfer, ein zärtlicher Gatte und Vater, ein treuer Freund, ein milder Gebieter, ein Mann des Schwertes und zugleich der Feder — seine Briefe an die Königin, die kapriziöse „Ma- rysienka“,. sind Perlen der Barockliteratur —, hatte der temperamentvolle große Field nur zwei Fehler: eine glühende Sinnlichkeit und den unvermittelt aufbrausenden Jähzorn. Er war nicht der Engel, als der er den von ihm befreiten zehntausenden Sklaven schien ,.., doch, obgleich nur ein Mensch, ein großer Mensch, nehmt alles nur in allem: Polen hat, wir haben nicht oft seinesgleichen gesehen.

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