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Der preußische Mythos

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Immer wieder erscheinen in Zeitschriften Aufsätze, welche die Darstellung geschichtlicher Ereignisse im preußischen Sinn behandeln und zu berichtigen suchen. Bald handelt es sich um wichtige Tatsachen, wie um die Schuld Friedrichs II. an der Entfesselung der schlesischen Kriege, bald um Kleinigkeiten, wie das Verhältnis Bismarcks zu seinem Bankier. Immer aber sind es Einzelheiten, die als solche wohl manche interessante Züge enthalten, für die Gegenwart aber ohne Bedeutung sind. Der grundsätzliche Zusammenhang jedoch, der die einzelnen Tatsachen auch heute noch bedeutungsvoll erscheinen läßt, kommt kaum zur Sprache und wird dem Leser jedenfalls nicht zu Bewußtsein gebracht. Und so ist es wohl an der Zeit, dieses Grundsätzliche einmal ins rechte Licht zu stellen.

Das Wesentliche ist dabei folgendes: Das Preußentum hat eine Geschichtsauffassung .gechaffen, welche man vielleicht am besten als preußisch-teleologisch (Geschichtsauffassung) bezeichnen könnte. Sie hatte bewußt den Zweck, Preußens Entwicklung und Politik z*j rechtfertigen und seinen Führungsanspruch im deutschen Raum zu begründen. Das geschah, indem man die deutsche Geschichte der letzten Jahrhunderte so darstellte, daß der Aufstieg Preußens das beherrschende Motiv bildete, und indem man diesen Aufstieg als eine sinnvolle und zielstrebige Entwicklung schilderte. So konnte er gleichsam als Sinn der Geschichte erscheinen und wurde gewissermaßen als höhere Schickung gereditfertigt.

Zu diesem Zweck setzte man beim Westfälischen Frieden ein und zeichnete etwa folgenden Entwicklungsgang: An den Anfang stellte man die Taten des Großen Kurfürsten, gleichsam als Auftakt für das weitere Geschehen. Daran schloß man das Zeitalter Friedrichs des Großen, der durch seinen Heldenkampf die Grundlagen für Preußens Großmachtstellung schafft. Als nächste Stufe folgt die Zeit der Befreiungskriege, in denen man Preußen die RoHe der führenden deutschen Macht und treibenden

Kraft bei der Befreiung vom napoleonischen Joch zuwies. Den Abschluß und die Krönung der Entwicklung bildete schließlich der siegreiche Kampf gegen die Nebenbuhler Preußens und die Reichsgründung durch Bismarck.

Damit war eki klarer und einleuchtender

Entwicklungsgang gegeben. Nur war es nicht immer leicht, die geschichtlichen Tatsachen mit ihm in Einklang zu bringen. Hier setzten die Umgestaltungen und Entstellungen ein. Zunächst bildete tatsächlich in der ersten Hälfte des erwähnten Zeitraumes

keineswegs der preußische Aufstieg den Mittelpunkt der deutschen Gesdiichte. Er steht vielmehr im Schatten der Entwicklung Österreichs, das unter dem genialen Feldherrn und Staatsmann Prinz Eugen durch siegreiche Kämpfe im Westen und Osten zur Großmacht aufsteigt und unter der segensreichen Herrschaft Maria Theresias und Josefs II. einen Höhepunkt seiner Geschichte erlebt. Das mußte verdunkelt werden, um Preußen besser hervortreten zu lassen. Und das ger schah auch. Wer ein preußisches Geschichtsbuch der wilhelminischen Zeit in che Hand nimmt, kann mit Staunen sehen, wie Österreichs Kämpfe im Westen, in denen es dem Vordringen Ludwigs XIV. erfolgreich Einhalt gebot, nur kurz abgetan werden, während die Türkenkriege überhaupt mit Stillschweigen übergangen werden.

Nicht viel kleiner waren die geschichtlichen Korrekturen, welche die Zeit Friedrichs II. erforderte. Friedrich II. ist vielleicht eine der unheilvollsten Gestalten der deutschen Geschichte. Auch vom großdeut-

sehen Standpunkt läßt sich sein Werk nur rechtfertigen, insofern es die Grundlage für die Reichsgründung Bismarcks schuf. Für sich gesehen ist' er Rebell gegen Kaiser und Reich, der aus eigensüchtigen Motiven einen der blutigsten deutschen Bruderkriege heraufbeschwört. Und wenn' er die Stellung Preußens stärkte, so war der Schaden viel größer, den er der deutschen Sache dadurch zufügte, daß er dem großen Österreich Maria Theresias und Josephs II. die Verankerung im deutschen Raum raubte und ihm eine Wunde beibrachte, von der es sich nicht mehr erholen sollte. Davon mußte man den Gründer der preußischen Großmacht reinwaschen. Man rückte den Siebenjährigen Krieg, in dem sein Heldentum am eindruckvollsten zur Geltung kommt, in den Vordergrund. Seine Schuld an der Entfesselung des Krieges, sein Kampf gegen die deutsche Politik Josephs II. wurde geleugnet oder beschönigt. Uber seine merkwürdige Rolle als Söldner Englands in der weltpolitisch bedeutendsten Auseinandersetzung des Jahrhunderts, im großen Entscheidungskampf zwischen England und Frankreich, ging man mit Stillschweigen hinweg.

Um die Rolle Preußens in den napoleonischen Kriegen möglichst bedeutend erscheinen zu lassen, schob man die Koalitionskriege, in denen die Rolle Preußens mehr als dürftig war ,in den Hintergrund und sammelte alles Interesse auf den Befreiungskampf selbst, wo Preußens Anteil am gewichtigsten erscheinen konnte. Überdies drückte man die Leistung Österreichs möglichst herab, verschwieg den Feldzug in Oberitalien, vergaß, daß Österreich das größte Truppenkontingent stellte, berücksichtigte nicht, daß die Hauptarmee unter Schwarzenberg Napoleon selber gegenüberstand und um so vorsichtiger handeln mußte, je mehr die Entscheidung von ihr abhing, und ließ alles Licht auf die preußischen Erfolge fallen.

Um schließlich ^ür Preußen Machtkampf 1866 und für Bismarcks Reichsgründung die richtige Folie zu schaffen, mußte Metternichs Bedeutung möglichst herabgesetzt und seiner Zeit der Stempel schwärzester Reaktion aufgedrückt werden, während man das weitaus ärgere Polizeiregiment in Preußen nachsichtig möglichst vergaß.

So waren' für den vorhin skizzierten Entwicklungsgang Preußens die gewünschten Farben gewonnen und das Bild eines glänzenden zielvollen Aufstiegs vollendet.

Dieses Bild war aber nicht die müßige Konstruktion nationalstolzer Historiker, es hatte vielmehr entscheidende politische Bedeutung. Auch historische Fiktionen können, wenn sie überzeugend gebracht werden und im Bewußtsein der Völker Wurzel fassen, zu geschichtlichen Mächten werden. Und das war auch hier der Fall. Dieser preußische Mythos wurde zur politischen Uberzeugung und bestimmte das Denken und Handeln. Wie sehr er auch das Denken führender Männer beeinflußte, zeigt der mehrfach angeführte Ausspruch Bismarcks: „Jeder deutsche Fürst, der vor dem Dreißigjährigen Krieg dem Kaiser widerstrebt, ärgerte mich; vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urteilen und natürlich zu finden, daß der Siebenjährige Krieg sich vor-

bereitete.“ Daraus geht klar hervor, daß auch Bismarcks historisches Denken am entscheidenden Wendepunkt in die vom preußischen Mythos vorgezeichnete Bahn einbog, freilich nicht, ohne daß er es später erkannte.

Besonders verhängnisvoll wirkte sich aber dieser Mythos zur Zeit des Dritten Reiches aus. Nach der Deutung, die er dem geschichtlichen Geschehen gab, konnte man sich mit dem Zusammenbruch des Bismarck-Reiches im ersten Weltkrieg nicht abfinden. Man mußte einen neuen Aufstieg und einen noch glänzenderen Höhepunkt erwarten und diesen versprach man sich vom Dritten Reich Adolf Hitlers.

Eine Nebenerscheinung, die den österreichischen Anschlußidealisten eine bittere Enttäuschung brachte, war dabei folgende. Sie hatten das Dritte Reich im Sinne des alten Ideals als wahrhaft großdeutsches Reich gedacht, in dem alle deutschen Stämme gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten, wie es Geibel in seinen Heroldsrufen ausgedrückt hatte, „wie die

Farben des Regenbogens oder die Saiten einer Harfe“. Dagegen mußte den im Dritten Reich so starken preußischen Kreisen das Dritte Reich, da es an den preußischen Mythos anknüpfte, als eine preußische Losung erscheinen, als eine übersteigerte Fortsetzung des Bismarck-Reiches. Und dementsprechend führten sie auch den Anschluß durch. Es war kein Anschluß an Großdeutschland, sondern eine Einverleibung in Großpreußen.

Am verhängnisvollsten aber war folgendes. Da man das Dritte Reich als folgerichtige Fortsetzung der bisherigen Entwicklung im Geist des preußischen Mythos ansah, glaubte man, daß in ihm erst der Sinn der geschichtlichen Entwicklung seine Vollendung fiJide. Die Logik der Geschichte schien, so gesehen, den Erfolg und den Sieg Deutschlands zu fordern und zu verbürgen. Es war keine leere Phrase, wenn Göbbels sagte, jnan müßte am Sinn der Weltgeschichte verzweifeln, wenn Deutschland nicht der Sieg beschieden sein sollte. Und aus dieser Geschichtsauffassung heraus erklärt skJi nicht zuletzt die blinde Zuversicht, njiit der man mit vollen Segeln ins Verderben steuerte. Man .glaubte an den Götzen, den man sich selbst geformt hatte, und erlag dem eigenen Betrug. Denn auch wenn rrian an einen Sinn der Weltgeschichte glaubt, 'darf man diesen Sinn nur besonnen und bedacht zu deuten versuchen. Man darf ihn aber nicht in die Ereignisse hineinfälschen. ,

Und schließlich noch eine unheilvolle Wirkung des preußischen Mythos für das gesamte deutsche Volk. Durch ihn wurde die Führung bei der Gestaltung der deutschen Geschicke für das Preußentum in Anspruch genomntien. Nun wird niemand Beson-

nener die tüchtigen Eigenschaften des Preu-ßentums in Abrede stellen. Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß gerade ihm in besonderem Maße die unglücklichen Eigenschaften anhaften, welche das Deutschtum in der ganzen Welt verhaßt gemacht haben. Frankreich ist eine ausgesprochen soldatische Nation. Das alte Österreich konnte auf eine stolze militärische Vergangenheit zurückblicken. Aber weder französischer noch österreichischer Militarismus sind zum verhaßten Begriff geworden. Und vor allem das mangelnde Verständnis für das Denken und Empfinden anderer, das dem deutschen Volke vorgeworfen wird, und das daraus entspringende Handeln, das den andern unnötig verletzt und reizt, weil es ihn nicht versteht, ist nirgends so stark ausgeprägt wie im Preußentum. Und unter dem dadurch entfesselten Haß hat nun das gesamte deutsche Volk zu leiden.

So hat der preußische Mythos bis in die jüngste Gegenwart seine verhängnisvolle Wirkung ausgeübt. Und er hat seine Bedeutung noch nicht verloren. Gedanken und Ideen sind durch- den äußeren Mißerfolg nicht beseitigt. Sie müssen widerlegt und so überwunden werden. Und so hat jede Widerlegung der geschichtlichen Entstellungen und Mißdeutungen, auf die sich der preußische Mythos stützt, auch jetzt noch ihren Wert. Nur darf man über den einzelnen nicht das Ganze übersehen, das ihm erst wirkliche Bedeutung verleiht. Und besonders bei der so notwendigen Neudarstellung der Geschichte für den Schulunterricht darf man sich nicht auf die Richtigstellung der Einzelheiten beschränken, sondern die falsche Grundauffassung muß beseitigt werden. Nur so wird man zum erwünschten Erfolg kommen.

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