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Die Probe von Preßburg

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Am 8. Mai wird das neue Werk von Gertrud Fussenegger „Maria Theresia” (Verlag Fritz Molden, Wien)präsentiert. Die Autorin hat für die Leser der FURCHE einen Abschnitt ihres Buches ausgewählt: Maria Theresias Krönung zur Königin von Ungarn.

Maria Theresia war, wie bekannt, kurz nach ihrem Regierungsantritt 1740 von Friedrich II. überfallen worden. Mit den Sachsen Verbündet rückte er in Schlesien ein, sein Heer gewann die Schlacht von Mollwitz. Maria Theresia setzte sich verzweifelt zur Wehr.

Seltsamerweise kam gerade in jenen schwarzen Wochen der jungen Königin von einer Seite Beistand, von der er am allerwenigsten zu erwarten gewesen wäre, nämlich vom alten Erbfeind; dem Türken, und wenn dieser Beistand auch nur darin bestand, daß sie nicht ebenfalls in den Reigen der Feinde traten. Im Gegenteil. Die Hohe Pforte verurteilte das Vorgehen Friedrichs mit scharfen Worten, sie versicherte Maria Theresia ihrer sympathisierenden Neutralität. Damit waren die Weichen gestellt, Maria Theresia konnte nach Preßburg reisen und sich dort krönen lassen.

Im Januar hatte man die Mitglieder des Landtags, Adel, Geistlichkeit und die Vertreter der Städte nach Preßburg geladen, am 18. Mai sollte der Landtag eröffnet, im Juni die Krönung vollzogen werden.

Maria Theresia brach zu ihrer Krönung nicht auf wie zu einem Fest, sondern wie zu einer schrecklichen, lebensentscheidenden Prüfung. Zwei Punkte lagen ihr am Herzen mit Mühlsteingewicht. Der erste war, daß sie auch Ungarn zur Anerkennung ihres Gatten als Mitregenten bringen wollte; der zweite Punkt: daß sie militärische Hilfe erhielt. Das hieß nichts anderes, als daß sie nicht sosehr das Volk als den Adel für sich gewinnen mußte, denn nur der Adel konnte Subsidien leisten, er konnte Soldaten stellen, der Adel und die Stände, sie waren in diesem Land allmächtig.

Nicht alle, das wußte die Königin, waren gut habsburgisch gesinnt. Zu deutlich waren gewisse Jahre ins Gedächtnis geprägt, Kriegsjahre, Greueljahre. Der Name Rakoczi war noch nicht vergessen. Damals hatte Ungarn gemeint, daß es zwischen der Pforte und Habsburg eine eigene freistaatliche Existenz behaupten könnte. Der Traum war zerronnen, und es lag doch wohl klar auf der Hand, daß Habsburgs Herrschaft besser, erträglicher, auch einträglicher und gerechter war als die Herrschaft der Pforte. Trotzdem lauerten überall alte Bedenklichkeiten, mißtrauische Vermutungen und Widersetzlichkeit. Die Königin von Ungarn war eine Deutsche. Kam sie als Feind ins Land?

Maria Theresia fürchtete das Mißtrauen der Magnaten. Sie war entschlossen, es zu entschärfen. Sie war entschlossen, um die Gunst jedes einzelnen Ungarn zu werben. Sie lernte ein paar Phrasen in dieser seltsamen Sprache, die keiner anderen in Europa glich. Sie memorierte ihr Latein, Amts- und Schriftsprache jenseits der Leitha. Sie lernte reiten, um, wie in Ungarn üblich, als berittener König die Huldigung zu empfangen. Sie prüfte vielleicht auch vor den Spiegeln der Hofburg ihr Lächeln, ihren Gang, Huld und Ernst, Gnade und Festigkeit in Mienen, Blik-ken und Gesten. Hilfe in schwerer Stunde erwartete sie von der Nähe ihres Gatten, der sie begleiten sollte. Doch man hatte ihr gesagt, man werde ihn eben in den Stunden der Krönungsfeierlichkeiten nicht an ihrer Seite dulden; alles müsse sie selber durchstehen, und allein. Sie stand es durch.

Während sich die Armeen Europas gegen ihr Land in Bewegung setzten, bestieg sie mit ihrer Familie ein in den Farben Ungarns, Rot-Weiß-Grün, über und über bunt bewimpeltes Schiff, um sich auf dem Donaustrom nach Preßburg zu begeben. An der Landesgrenze willkommen geheißen, dann in das alte Schloß geführt, das, vor wenigen Jahren eingeäschert, teilweise noch den Anblick einer Ruine bot, am nächsten Tag der Versammlung vorgestellt, von deren Wohlwollen alles für sie abhing: man hat diese Vorgänge oft beschrieben, und eine vaterländische Geschichtsschreibung hat sich darin gesonnt, das Entzücken zu schildern, das die junge schöne Frau erregt und die ritterlichen Ungarn in opferwillige Begeisterung versetzt hatte. Später hat man dann, um das idyllische Bild abzurunden, auch noch die Sage aufgebracht, Maria Theresia habe sich sogleich mit dem kleinen Joseph auf dem Arm den Ungarn präsentiert, eine königliche Madonna, und habe mit dieser Geste im ersten Ansturm auf ganzer Linie gesiegt.

Vielleicht war es so: Zum erstenmal war Maria Theresia einer reinen Männergesellschaft ausgesetzt - und zwar nicht einer höfisch-domestizierten Greisenrunde wie im Wiener Kabinett, sondern einer vielköpfigen, höchst vitalen und von brennenden Interessenkonflikten aufgeheizten, mehr oder minder ungezügelten Schar. Diese Leute waren Fürsten, Grafen, Geistliche und Richter. Sie waren es gewohnt, allein und unbeschränkt zu herrschen, jeder in seinem Bereich. Sie brachten den unbändigen Stolz und den aus allen Nähten platzenden Egoismus ihrer Klasse mit, und jeder hielt sich für den Wichtigsten, seine Interessen, Rechte und Freiheiten für den Angelpunkt der Welt. Die Gesellschaft war in zwei Tafeln geteilt, die eine umfaßte den hohen, die andere den niederen Adel und die Vertreter der Städte. Hier gab es Gegensätze. Eine weitere Parteiung war zwischen Katholiken und Protestanten. So wogte es zwischen ihnen von Streitigkeiten und Widersprüchen. Kam einer zu Wort, wurde er von anderen niedergeschrien, ein festes Verfahren war nicht vorgesehen, alle standen zugleich auf und wollten zugleich sprechen. Da saß nun die junge Frau, nahm Forderungen entgegen und mußte doch die eigenen Rechte wahrnehmen. Sie mußte dabei klug und hinhaltend taktieren, sie mußte merken, wo ihr Fallen gestellt waren. Obgleich ihr sicher der Kopf dröhnte von dem Geschrei und obgleich kein Vertrauter ihr zur Seite stand, mußte sie doch das beste aus der Lage machen: mußte in Aussicht stellen, ohne sich zu binden, mußte Unumgängliches zugestehen und Vermeidliches zu vermeiden versuchen.

Zwar - sie hatte hier in Ungarn einen sicheren Freund, Johann Graf Palffy, und es bedeutete schon einen Sieg für sie, daß dieser treue Diener des Kaiserhauses zum Palatin gewählt wurde. Doch leider war er krank, uralt, eine schwankende Greisengestalt. Er konnte während der Verhandlungen nicht einmal zugegen sein. Nur für eine kurze Weile wurde er herangebracht und auf einer Bahre in den Saal getragen. Als ihm Maria Theresia gerührt die Hand entgegenstreckte, so bedeckte er sie mit Küssen und Tränen, Tränen vermutlich vor allem über das eigene Elend. Das war nun Maria Theresias zuverlässigster Freund in diesem Land.

Aber - und es ist in der Tat ein Wunder zu nennen -die ruhige Besonnenheit der jungen Frau, ihre Fassung und Vorsicht, die durch keinerlei Ausbruch zu verwirren war, die Unbeugsamkeit, mit der sie ihre Rechte verteidigte, ohne jemals heftig zu werden, das alles imponierte und erwarb ihr Sympathien. Die Männer spürten, diese Frau ruhte in sich selbst. Schmeicheleien, die andere Frauen in Verwirrung versetzt oder doch zu einem Anflug von Koketterie verführt haben würden, glitten an ihr ab. Sie argumentierte sachlich, wenn auch gewiß nur selten perfekt, und ließ doch ahnen, daß sie eine warmherzige Frau war, ein weibliches Wesen voll Temperament, Charme, Sinnlichkeit. Das imponierte. Und die vitale Ausstrahlung ihres mütterlich-gefestigten Wesens half ihr weiter. Drei Tage dauerte das große Palaver. Am späten Abend des 24. Juni 1741 war alles so weit ausgeheckt, daß Maria Theresia die Unterzeichnung des Diploms vornehmen und sich dann, am Morgen des 25., eines Sonntags, die Krone des heiligen Stephan aufs Haupt setzen lassen konnte. Alle zeitgenössischen Quellen stimmen darin überein, daß die Krönung mit außerordentlicher Pracht gefeiert wurde. Volk und Adel schienen zufriedengestellt und in Begeisterung geraten. Nur die Königin selbst sah zuerst bleich und traurig drein. Der Primas von Ungarn, auch er ein Greis, setzte ihr die Krone auf, bekleidete sie mit dem Krönungsmantel und überreichte ihr den Reichsapfel...

Später leistete sie unter freiem Himmel und weithin sichtbar auf einer mit rot-weiß-grünem Tuch bedeckten Tribüne den Krönungseid, den ihr der Primas vorsprach. Dann sprengte sie auf einem auf ungarische Art prachtvoll aufgeschirrten Rappen auf den Krönungshügel und schwang das Schwert in alle vier Weltrichtungen zum Zeichen dafür, daß sie das Reich der Ungarn gegen alle Feinde verteidigen und es sogar vergrößern wolle.

In Wahrheit zitterte sie um die Hilfe eben dieses Landes und hatte selbst Verteidigung am allernötigsten. Während sie auf die Jubelrufe „Vivat domi-na, rex noster!” mit Winken und Lächeln zu danken hatte, hatte sie zugleich die Bitternis herunterzuschlucken, daß der Mann, den sie liebte, der Vater ihrer Kinder, gerade in dieser Stunde nicht an ihrer Seite weilen durfte. Man hatte Franz Stephan nicht einmal erlaubt, in ihrem engeren Gefolge zu erscheinen. Durch ein Seitengäßchen mußte er sich wie ein beliebiger Bürger durchdrängen, um wenigstens von Ferne einen Blick auf die gekrönte Gattin werfen zu können: eine groteske Situation, eine Demütigung, die sogar Franz Stephan beinahe unerträglich war; er war wütend und dachte eine Weile daran, abzureisen. Dann bezwang er sich und blieb - und spielte das Spiel weiter, das ihm das Leben auferlegt hatte.

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