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Die Tragodie der keisertochter

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Aus der Kinderstube am sittenstrengen Wiener Hof in das amoralische Intrigennest von Versailles verpflanzt, dem nur ein Jahr älteren, gutmütigen, zeitlebens apathischen Dauphin angetraut, inmitten der sich stets befehdenden Anhänger und Gegner der Gräfin Dubarry, deren Rolle an der Seite des Königs dem ahnungslosen Kind erst mit aller Vorsicht klar gemacht werden mußte, wurde Marie Antoinette in keiner Weise für ihre Mission als Souveränin vorbereitet. Selbst in der königlichen Familie fand sich niemand, der das Mädchen auf die richtige Bahn hätte hinweisen können. Ihre frömmelnden Tanten, die ltjungferlichen Töchter Ludwigs XV., waren in ihrem Haß gegen die Gräfin Dubarry ganz ungeeignet, ihre Nichte vom Intrigenspiel um die Geliebte des Königs möglichst fernzuhalten. Ihre Schwäger, die nachmaligen Könige Ludwig XVIII. und Karl X., haben durch ihre Frivolität und ihr wenig respektvolles Benehmen der Souveränin gegenüber, ebenfalls erheblich zur Herabwürdigung des Königshauses beigetragen.

Indem der durch die Abgeschlossenheit des Hofes gänzlich weltfremden Marie Antoinette, die daher neben so vielem im Leben des übrigen Frankreichs auch den Wert de Geldes nicht erfassen konnte,.in ihrer hemmungslosen Verschwendungslust freie Hand gelassen wurde, verscherzte sie sich bald die Sympathien, die ganz Frankreich dem neuen Königspaar entgegengebracht hatte. Besonders verargt wurden der Königin die wahllos, zumeist Unwürdigen gewährten Zuwendungen und Renten, die hohen Spielverluste, welche zusammen mit einem auch sonst sträflichen Luxus den Staatsschatz erheblich belasteten.

Vergeblich ermahnte die durch den Botschafter Mercy-Argenteau fortlaufend informierte Kaiserin Maria Theresia ihre Tochter, die sich jedoch an die vernünftigen Ratschläge ihrer Mutter nicht kehrte, sondern nur ausweichend darauf reagierte. Als Mercy nach Wien meldete: ,,Die Dauphine vergißt ihre äußere Würde“ und läßt sich sogar zu boshaften Bemerkungen hinreißen, schrieb die Kaiserin: „Es wird behauptet, daß Sie den Leuten Lächerlichkeiten andichten und ihnen ins Gesicht lachen ... Um fünf oder sechj jungen Damen oder Kavalieren zu gefallen, würden Sie die anderen verlieren!“ König Ludwig, von dieser Ungezogenheit unterrichtet, ließ seiner Enkelin sein Mißfallen ausdrücken. Marie Antoinette nahm jedoch diese Zurechtweisung verärgert zur Kenntnis: sie sei kein Kind mehr und betrachte ihre Erziehung als vollendet.

Wie wenig dies der Fall war, ergibt sich aus den Berichten Kaiser Josefs II., der seine nunmehr 22jährige Schwester besucht hatte. An dieser Stelle seiner Arbeit hat Andre Castelot es an der erforderlichen Sorgfalt in der Wahl seiner Belege fehlen lassen, indem er ein wie so viele andere im Wiener Staatsarchiv aufbewahrtes Pamphlet als vollwertig betrachtet. Der unbekannte Autor spricht von „bizarren“ Gewohnheiten des Kaisers, der seinen Sekretären die Enden ihrer Zöpfe abschnitt, von seinen Fenstern auf sich herumtreibende Hunde schoß und „Demoisellen, die ihm Bittschriften überreichten, mit der Peitsche davonjagte“. Nichts ergötzte ihn mehr, als die Niederkunft armer Frauen im Krankenhaus zu beobachten. Andre Castelot scheint nicht zu wissen, daß Josef II. gerade dem Bürgertum und einfachen Leuten stets mit besonderem Wohlwollen entgegenkam.

Trotzdem er sich, durch die Berichte Mercys belehrt, keinen Illusionen über Marie Antoinette hingeben konnte, war der erste Eindruck, den er von ihr gewann, ein durchaus günstiger: wäre sie nicht meine Schwester, meinte der Kaiser scherzend, würde ich nicht zögern, eine so scharmante Frau zu heiraten. „Ich habe viele Stunden mit ihr verbracht, ohne jedoch gewahr zu werden, wie sie vergingen. Ihre Tugend hat standgehalten, was mehr ihrem Charakter (der Kaiser hätte sagen sollen: Temperament) als der Besonnenheit zuzuschreiben ist.“ Hat man doch vielfach die Zerfahrenheit Marie Antoinettes auf die wegen eines physischen Defekts Ludwigs XVI. nicht konsumierte Ehe zurückgeführt.

Doch schon nach einigen Tagen sah sich Josef II. gezwungen, Marie Antoinette unter vier Augen ihre „ewige Frivolität“ vorzuhalten. Er wies sie auf die Gefahren hin, denen sie sich durch sie aussetzte, tadelte ihre Gleichgültigkeit ihrem Gatten gegenüber und „die schlechte Wirkung ihres gesellschaftlichen Umgangs, die Vernachlässigung jeder ernsten Beschäftigung“. Heftig rügte er besonders ihre Spielleidenschaft, das freie Benehmen, eine folge des Pharaospieles bei der Herzogin von Guemenee. „Dieses Haus ist eine wahre Gaunerhöhle.“ Marie Antoinette ging auf diese Strafpredigt mit der Einschränkung ein, sie könne diese Ermahnungen erst nach Josefs Abreise befolgen, um nicht den Anschein zu erwecken, sie lasse sich beeinflussen.

Vor seiner Abreise übergab Kaiser Josef der Königin ein ausführliches Memorandum, in dem er schonungslos alles Tadelnswerte zusammenfaßte: „Scheinen Sie nicht gelangweilt, ja abgestoßen, wenn der König seine Gefühle zeigt, wenn er mit Ihnen spricht.“ Marie Antoinette möge auch an den schlechten Eindruck, den sie durch die verfehlte Auswahl ihrer Umgebung hervorruft, denken, durch welche sie „das Laster zu billigen scheint“. Von allen üblen Folgen des Hasardspieles, von den Maskenbällen in der Pariser Oper nicht1 zu reden. „Warum mischen Sie sich unter diese zügellosen Burschen. Dirnen und Fremden? Etwa um ihre zweideutigen Reden zu hören und vielleicht selbst solche zu führen?“ Gerade dies hat „alle Leute, die Sie lieben und die anständig denken, am meisten empört“. Während der König in Versailles allein die Nacht verbringt, „befinden Sie sich unterdessen inmitten der ganzen Kanaille von Paris. So kann es nicht weitergehen! Die Revolution wird grausam sein“.

Kaiser Josef, überzeugt, die königliche Regierung sei den zumeist selbst verschuldeten Schwierigkeiten nicht mehr gewachsen, dachte wohl nicht an eine Umwälzung, wie sie das Jahr 1789 gebracht hat. Er wurde in seinem Pessimismus durch den Abschluß der Halsbandaffäre bestärkt, der seine Schwester vor der ganzen Welt herabwürdigte, als im Mai 1786 das Pariser Parlament ein durchaus sachliches Plädoyer zugunsten der gänzlich unschuldigen Königin verwarf und den Kardinal von Rohan freisprach. In den drei Jahren bis zur Uebersiedlung des Hofes nach Paris geschah dann, trotz aller Sturmzeichen seitens der Krone, nichts von Belang, was die Abkehr vom verhängnisvollen Kurs angedeutet hätte.

Andre Castelot meint, „die Katastrophe hätte vielleicht ohne die Einberufung der Generalstände vermieden werden können“. Vielleicht, wenn der König am 20. Juni 1789 den Rat seiner einsichtigen Minister, „den dritten Stand, das Echo der öffentlichen Meinung, nicht zu verbittern“, befolgt und die Vertreter des Bürgertums gleichzeitig mit Adel und Klerus empfangen und sie nicht rücksichtslos im strömenden Regen ausgesetzt hätte.

Der nicht tufzuhalrende Abstieg des Königtums begann am 5. Oktober mit dem Ueberfall auf das Versailier Schloß- durch die aus Paris herbeigeeilte Menge. In der folgenden Nacht „trat die Königin in die Weltgeschichte ein. Ihre Haltung war vornehm und ruhig“. Der ihr drohenden Gefahr bewußt, verriet sie nicht im geringsten ihre Besorgnisse. „Sie beruhigte einen jeden“, erzählt ein Augenzeuge, „dachte an alles und kümmerte sich weit mehr um jene, die ihr teuer waren, als um ihre eigene Person :. .• Sie sprach zu allen mit Seelenruhe und Würde.“ — „Ich weiß, daß die Leute aus Paris gekommen sind, um meinen Kopf zu fordern. Ich habe aber von meiner Mutter gelernt, den Tod nicht zu fürchten; ich sehe ihm mit Ruhe entgegen.“ Am frühen Morgen des 6. Oktober erscholl aus der in den Schloßhof gedrungenen Menge der Ruf: „Die Königin auf den Balkon!“ Ohne die flehentlichen Bitten ihrer Umgebung zu beachten, trat Marie Antoinette mit ihren beiden Kindern aus dem Zimmer heraus. „Keine Kinder! Die Königin allein!“ gellte es ihr entgegen. Mit einer Handbewegung schob sie die Kinder zurück. Sie stand nun allein auf dem Balkon, unfrisiert, in einer einfachen, gelben Jacke. „Schießt auf sie!“ hörte man rufen. Da verbeugte sich die Königin mit einer grüßenden Gebärde. Diese Unerschrockenheit löste einen ungeheuren Jubel aus; der Ruf „Es lebe die Königin!“ brauste dröhnend über den weiten Platz. Wie immer und wie in jeder Umgebung hatte Marie Antoinette durch ihre unnachahmlich würdevolle Haltung auch dieser haßerfüllten Menge gegenüber den schwindenden Nimbus der Dynastie noch einmal zur Geltung gebracht. Diese von den Anstiftern des Zuges der Pariser unerwartete Ovation fand ihre Fortsetzung, als Lafayette vom Balkon herab, nachdem er Marie Antoinette die Hand geküßt, der Menge zurief, ihre Königin sei getäuscht worden, werde sich jedoch nicht mehr irreleiten lassen. Abermals jubelte die Menge, die sich weiter durch die Versicherung beruhigte, das Königspaar werde ihr nach Paris folgen. Mit dieser. Kapitulation der Krone begann der Leidensweg Marie Antoinettes, der nach unzähligen Gefahren und Demütigungen, denen sie in wahrer Selengröße die Stirne bot, am 16. Oktober 1793 ein blutiges Ende fand. Schuld und Sühne abzuwägen gehört nicht zu den Aufgaben der wahr-heitssuchenden Historik. die sich besonders davor zu hüten hat, auf Grund später bekanntgewordener Umstände, von versäumten Gelegenheiten und Fehlgriffen zu sprechen; die sich uns während der Geschehnisse als vermeidbar erscheinen lassen. Doch kann man nicht umhin, zu konstatieren, daß der von den lautersten Absichten beseelte Ludwig XVI. und die .allzu früh emanzipierte Marie . Antoinette ein durch, den, frondierenden Geist der Aufklärer und. tief verwurzelte Mißbräuche unterhöhltes System hatten übernehmen müssen, dessen Brüchigkeit in der Isoliertheit, in welcher gewissenlose Nutznießer des überalterten Regimes'das Herrscherpaar hielten, ihm verborgen geblieben war.

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