Gesera - © Foto: Pixabay

Universität Wien und "Wiener Gesera": Ambivalente Haltungen

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600 Jahre „Wiener Gesera“: Am 12. März 1421 fanden mehr als 200 Wiener Jüdinnen und Juden den Feuertod. Welche Rolle spielte die Universität Wien rund um diese Ereignisse?

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600 Jahre „Wiener Gesera“: Am 12. März 1421 fanden mehr als 200 Wiener Jüdinnen und Juden den Feuertod. Welche Rolle spielte die Universität Wien rund um diese Ereignisse?

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Am 12. März jährt sich zum 600. Mal die Vertreibung und Hinrichtung der österreichischen Judengemeinden, die nach dem Bericht einer deutsch-hebräischen Quelle aus dem 16. Jahrhundert als Wiener Gesera bekannt ist. Das Verbrechen geschah auf Befehl Herzog Albrechts V. Er pervertierte damit nicht nur seine Schutzpflicht gegenüber den Juden, sondern beging auch eine der größten Raub­aktionen des späten Mittelalters.

Immobilien, Vermögen und nicht zuletzt die Schuldscheine der getöteten jüdischen Bankiers verdoppelten über Jahre hinweg das Einkommen des Herzogtums. Trotz dieses offenkundigen Befunds – die ­Gesera bezeichnet den Herzog konsequent als rascha (Frevler) und damit als den Hauptschuldigen – stellt sich die Frage, welche Rolle damals die Gelehrten spielten, allen voran die Theologen der Universität Wien, begründete doch der Herzog das Verbrechen auch mit religiösen Motiven.

Jüdisch-hussitische Verschwörung?

Im vom Herzog unterzeichneten Todesurteil wird ein Hostienraub angeführt. Juden hätten Jahre zuvor von einer Mesnerin in Enns konsekrierte Hostien erhalten und unter sich verteilt. Die Darstellungen in der Gesera wiederum bringt das Pogrom mit dem Hussitenkreuzzug des Herzogs in Verbindung. Die Inhaftierung aller Juden in den Städten ob und unter der Enns sei als Strafe für angebliche Waffenlieferungen an die Feinde des Herzogs erfolgt. Die Niederlage in Böhmen habe ein Übriges getan, um die Wut des Herzogs zu entfesseln. Das Gerücht einer jüdischen Verschwörung kursierte bereits ein Jahr zuvor. Es ist in den Akten der theologischen Fakultät festgehalten.

In einer Fakultätssitzung am 9. Juni 1419 wurde als Tagesordnungspunkt ein angebliches Bündnis von Juden, Hussiten und Waldensern eingebracht. Der Passus geht nicht näher auf die Art des Bündnisses ein, wiederholt aber stereotype Auffassungen über die Juden: dass sie ein ausschweifendes Leben führten, dass Christus im Talmud geschmäht werde und dass dies ein großes Unrecht gegenüber den Christen sei. Über diese Diffamierungen hinaus gewinnt man nicht den Eindruck, dass die Fakultät die Angelegenheit intensiv verfolgt hätte, denn folgt man den Akten, ­wurde das Thema nie mehr aufgegriffen. Vielmehr vertagte man sich mit dem Hinweis, dass nicht alle Professoren anwesend seien. Sollte die Fakultät es für richtig erachten, den Herzog darüber zu informieren, so der Schlusssatz im Protokoll, könnte man dies u.U. über den Prior der Kartause Gaming einfädeln.

Dieser war der Beichtvater des Herzogs und offenbar ein Mittelsmann zwischen Hof und Universität. Als die Fakultät dies erörterte, war ein Krieg gegen die Hussiten noch nicht absehbar, da es erst im Herbst desselben Jahres zu Aufständen in Böhmen kam. Daher dürfte das Gerücht kaum unmittelbarer Auslöser für die landes­weite Verhaftung von Juden ein Jahr später gewesen sein. Gleichwohl sollten die Juden damit gezielt verleumdet werden. In einen Topf mit zwei häretischen Gruppierungen geworfen, wurden sie als böswillige Feinde der christlichen Gesellschaft abgestempelt und gerieten dadurch selbst in den Ruch der Häresie.

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