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Üble Hausierer

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Im September 1936 er- schien die hier wiedergege- bene Rezension des Stan- dardwerkes „Die Juden in Niederösterreich" von Leo- pold Moses, zu der der Au- tor Stellung nahm. Wir ver- danken den Text Anni Stern.

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Im September 1936 er- schien die hier wiedergege- bene Rezension des Stan- dardwerkes „Die Juden in Niederösterreich" von Leo- pold Moses, zu der der Au- tor Stellung nahm. Wir ver- danken den Text Anni Stern.

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Der Verfasser hat mit zähem Fleiß Archive und Literatur durchforscht und daraus eine reiche Ausbeute gezogen. Sein Verdienst ist, einmal eine Grundlage für die Kenntnis des Vorkommens der Juden in der Vergangenheit Niederösterreichs geschaffen zu haben. Das Material ist im Verhältnis zum berücksich- tigten Zeitraum von etwa tausend Jahren (seit der Raffelstätter Zoll- ordnung) lückenhaft.

Der Verfasser konnte nur das 17. Jahrhundert recht ins Auge fassen, weil ihm für diese Zeit das Hof- kammerarchiv Akten über die Be- steuerung und über Geschäfte der niederösterreichischen Juden be- sonders um und nach 1650 bot, die wertvolle Aufschlüsse über die Verbreitung der Juden in Nieder- österreich im 17. Jahrhundert ge- währen.

Für die Darstellung der „wirt- schaftlichen Funktion" und des „Kulturzustandes" der niederöster- reichischen Landjuden und deren Auswanderung tragen sie eigent- lich recht wenig bei, doch bot sich dem Verfasser für den Abschnitt über die wirtschaftliche Betätigung der Juden sonstiges interessantes Material dar.

So groß der Wert des Buches als grundlegende geschichtliche Topo- graphie des Judentums in Nieder- österreich ist, so kann ich doch nicht zu allem im Buche Ja und Amen sagen. Zum Beispiel folgendes:

Kerschbaumers Geschichte von Krems erzählt, daß 1700 zu Krems ein diebischer Jude hingerichtet wurde. Der Verfasser macht daraus einen „angeblichen" Dieb. Ein andermal ist ein Jude erschlagen worden. Obgleich die Einzelheiten des Falles unaufgeklärt sind, ist er bei Herrn Moses Leopold wie andere, die nicht ihres Glaubens wegen ums Leben kamen, ein „Märtyrer".

Zur historischen Karte der jüdi- schen Siedlungen: Orte, in denen nur einmal ein Jude erwähnt ist, oder in denen, sagen wir, ein bis drei Judenfamilien wohnten, ge- traue ich mir nicht als Judensied- lung oder -gemeinde anzuführen. Die Karte übertreibt daher stark. Zum Beispiel: für die entlang der Donau als mittelalterliche Juden- gemeinden aufscheinenden Orte Ybbs, Melk, Emmersdorf, Heili- genblut, Loiben, Winkel und Pi- schelsdorf gibt es nur vereinzelt unsichere, wenn nicht gar keine Belege.

Der Verfasser vertritt die Mei- nung, wirtschaftliche Gründe hät- ten die Judenverfolgungen weniger verschuldet als die religiöse Ver- schiedenheit. Wirtschaftliche Moti- ve seien kein treibendes Element bei den Judenaustreibungen gewe- sen.

Es ist nicht nur von wirtschaftli- chen Gründen zu reden, sondern vielmehr von der Art der Ausübimg einer Tätigkeit durch die Juden.

Der Verfasser gesteht zum Bei- spiel zu, man dürfe zumindest ver- muten, zwischen der Judenverfol- gung in Österreich im Jahre 1420 und einem die Hussiten unterstüt- zenden Verhalten der Juden wären ursächliche Zusammenhänge, mehr als allgemein geglaubt werde. Im Buch von S.G. Frieß, Herzog Al- brecht V. von Österreich und die Hussiten, „behauptet" Frieß nicht nur, sondern er hat sehr beachtens- werte Nachweise für diese Zusam- menhänge gesammelt. Die von ihm abgedruckten Klagen und Be- schwerden der BewohnervonBruck an der Leitha, Hainburg, Horn, Waidhofen an der Thaya, Ybbs, übe

die für sie überaus schäd- lichen Folgen des Han- dels von Juden schätzt er als Gegenwehr eines zünftlerischen Denkens und Handelns befange- nen Bürgertums ein, das den durch Kriege, religiö- se und technische Neue- rungen aller Art gestei- gerten Anforderungen nicht gerecht zu werden vermochte und gegen die jüdische Konkurrenz in die Hinterhand kam.

Allein die landesfürst- lichen Ausschaffungspa- tente reden die gleiche Sprache wie die genann- ten Klagen. Nicht nur die Konkurrenz, sondern vornehmlich die uner- laubten Mittel dabei ver- bitterten. So wurden zum Beispiel 1666 zwei Juden aus Michelstetten im nahen Asparn an der Zaya mit falschen Ellen er- tappt.

Wie die Juden von Wei- tersfeld den Handel der dortigen Umgebung in der Hand hatten, so wird es überall auf dem Lande gewesen sein, wo Juden lebten, nicht nur in den genannten zehn Orten.

Es gab auch Hausierer im Dienste wohlhabender Juden, die deren Waren im Lande vertrieben.

Man überlege auch: 1703 bis 1708 fliehen zum Beispiel so viele jüdische Flüchtlinge (vor den Kuruzzen) aus West-Ungarn nach Wiener-Neu- stadt, daß damals über 500 Juden in der Stadt lebten. Welcher Schwärm von Hausierern kam damit in die Gegend!

Oder wenn auf einem Kremser Jahrmarkt 300 Juden auf einmal auftauchen!

Namhafte Historiker wie Vanc- sa, G. Frieß, Giannoni, Kerschbau- mer, können ihre Meinung von dem der Bevölkerung schädlichen Han- del und Wandel der Juden wohl begründen. Siehe auch den Aus- gang der Toleranzgeldpachtung durch Hirschl Mayer, der zuletzt eingesperrt wurde.

Es ist weiter nicht von ungefähr, daß 1631 einem jüdischen Wein- händler aus Langenlois bei der Maut am Rotenturm 200 Eimer Wein als geschwärzte Ware abgenommen wurden. Wohl mußte der Wein gegen Bezahlung der Gebühren wieder freigegeben werden. Hier ist der Einfluß jüdischen Geldes bei einem Amte spürbar, der auch in anderen, vielleicht nicht wenigen Fällen den Juden sicher gute Dien- ste leistete - sich aber sehr selten beweisen lassen wird.

Wer das für eine Verleumdung anzusehen geneigt ist, der sehe Josef Hirns Buch über den tirolischen Kanzler Wilhelm Bienner ein (über das Treiben des reichen Juden Samuel May).

Noch eines: Der Verfasser findet in Brunners Geschichte von Eggen- burg den Juden gegenüber einen hämisch-verletzenden Ton ange- schlagen. Was für eine Sprache über die Christen hat er selber aber in der von ihm bearbeiteten Schrift Pollaks über die Juden in Wiener- Neustadt durchgehen lassen?

Für die Geschichte der nieder- österreichischen Landjudenschaft des 17. Jahrhunderts und für die geschichtliche Topographie des Judentums in Niederösterreich ist das mit tadellosen Bildern versehe- ne Buch wohl grundlegend, nur für unvoreingenommene Betrachtung des geschichtlichen Materials in wichtigen Punkten nicht zur Über- einstimmung mit dem Verfasser.

UNSERE HEIMAT, Monatsblatt des Vereines für Landeskunde und Heimatschutz von Niederösterreich und Wien, Jahrgang 9, Nr 8/9,1936

Die Besprechung, die J. Kraft meinem Buch „Die Juden in Nie- derösterreich" gewidmet hat, zwingt mich zu einer kurzen Erwi- derung. Es ist natürlich schwer zu entscheiden, wer mehr Grund zur Empfindlichkeit hat. Was aber die jüdische Konkurrenz und ihre „unerlaubten Mittel" betrifft, kann ich nur sagen, daß niemand weni- ger als ich solche Mittel billigen würde. Man muß aber auch zuge- ben, daß von solcher Schuld die Angehörigen keines Standes und keiner Klasse, keiner Glaubens- und Volksgemeinschaft freizusprechen sind.

Ich will mich in meiner Entgeg- nung aber nur auf Tatsachen be- schränken und da muß festgestellt werden, daß ich deutlich genug da- gegen Stellung nehme, daß jeder

erschlagene Jude zum „Märtyrer" seines Glaubens gestempelt werde, indem ich gerade an der von Kraft angeführten Stelle sage, daß alle diese „Märtyrer ebensowohl Opfer der ungesunden und darum unhalt- baren Stellung" sind, wobei ich das Wort „Märtyrer" selbst unter An- führungszeichen setzte.

Wenn die Anzahl von 300 Juden, die den Kremser Markt besuchten, dem Rezensenten horrend vor- kommt, so scheint sie den Krem- sern nicht zu hoch gewesen zu sein, da sie sonst nicht in einem bestimm- ten Fall verlangt hätten, daß die Juden zum Besuch der Kremser Märkte gezwungen werden mögen. (Kerschbaumer, Geschichte der Stadt Krems, Seite 445).

Auch die jüdischen Hausierer waren weder gefährlich, noch so überflüssig, wie man es heute in den Zeiten des motorisierten Klein- handels meinen möchte. Noch vor 30 Jahren war der jüdische Hausie- rer an vielen Orten notwendig und gern gesehen.

Schließlich muß aber zur Ehre der österreichischen Beamtenschaft gesagt werden, daß es nicht immer Einfluß jüdischen Geldes bei einem Amt ist - wie Kraft meint - wenn einem Juden seine beschlagnahmte Ware wieder ausgefolgt wurde. Oft hat so ein Beamter aus rein mensch- lichen Erwägungen gehandelt, wie ich in einem ähnlichen Falle einmal zeigen konnte, und manchmal wird es wohl auch reines Recht gewesen sein.

Wie manchmal aber auch - was ohne jede Verallgemeinerungsten- denz festgestellt werden kann - untergeordnete Organe auf eigene Faust Befehle und Wünsche der vor- gesetzten Stellen zu Ungunsten von Juden sabotierten, kann ich durch ein Beispiel aus den nach Abschluß meines Buches aufgefundenen Daten belegen:

Im Jahr 1622 wurde laut n.ö.Kammer-Protokoll Nr.243, Fol.132 (Hofkammerarchiv) „dem Hirschl Zitzkerl Jud das Urfahr und beide Mauth zu Thürnkruth und Angem auf drei Jahre gegen 700 fl. jährlich verlassen.

Einige Wochen später wurde (ibid.Fol.219) an Lorenz Otten, kai- serlichen Schöffmeister, der Rath- schlag gerichtet, er solle dem Zitz- kerl Juden seinem Bestand gemäß die allbereit zwai angehängten Zil- len unvorgehaltener passieren las- sen.

Zwei Monate später(ibid.Fol.298) muß aber wieder ein Ratschlag an Lorenz Ott, Schiffmeisteramts- Leutnant, des Inhaltes ergehen, er solle dem Juden die zwei ihm zuge- stellten Sibnerin-Zillen ohne Ver- halt seinem Bestände gemäß ab- führen lassen.

So mußte Hirschl Zitzkerl fast

ein halbes Jahr lang auf die Ausfol- gung der zum Betriebe der Maut er- forderlichen Zillen warten, bis sein Mautvertrag durch Verkauf der Herrschaft Khrudt und Angern an den Obristen von Tieffenbach ge- genstandslos wurde, worauf er vom August 1622 bis November 1623 um Rückzahlung der seinerseits vorausbezahlten Mautbestandgel- der bitten mußte.

Was sehr bezeichnend ist für den Einfluß jüdischen Geldes, der-nach Kraft - „den Juden sicher gute Dienste leistete."

DR. LEOPOLD MOSES

UNSERE HEIMAT, Heft 10, Ok- tober 1936

Beim besten Willen kann ich nicht erkennen, daß ich Moses wenigstens in den paar Punkten, zu denen er sich äußert, Unrecht getan hätte. Es handelt sich hier nicht um ein Gespräch darüber, wer eher Grund zur Empfindlichkeit hat, sondern darum, ob jemand an einem Neben- menschen einen Fehler ausstellen darf, von dem er selber nicht frei ist, wie seine vorstehende Entgeg- nung wieder gleich zeigt.

Moses frotzelt mich sozusagen damit, daß ich die Zahl von 300 jüdischen Besuchern der Kremser um 1638 für horrend finde - wel- chen Ausdruck meine Besprechung gar nicht verwendet während die damaligen Kremser scheinbar dar- an nichts fanden. Als ob man letz- teres so sicher wüßte! Ich halte die genannte Zahl für die damalige Größe der Stadt für sehr hoch und dabei bleibe ich!

Seine Meinung über jüdische Märtyrer hat Moses im besproche- nen Buche weniger deutlich ausge- drückt als hier. Wenn er für den in Frage stehenden Moses Kirchberg im Buch auf einen von ihm geschrie- benen Aufsatz über die jüdischen Märtyrer in Niederösterreich ver- weist, so sagt er damit deutlich, er halte ihn für einen solchen Märty- rer!

Moses erklärt die jüdischen Hau- sierer früherer Zeiten als notwen- dig und als gern gesehen. Meine Be- sprechung betont aber die üblen Folgen eines in einer Überzahl auf- . tretenden jüdischen Hausierhan- dels.

Ebenso habe ich nirgends be- hauptet, daß immer jüdisches Geld im Spiele gewesen sein muß, wenn dem Ersuchen eines Juden bei ei- nem Amte willfahrt wurde, ich sagte „in anderen, vielleicht nicht weni- gen Fällen". Das ist nun einmal nicht das gleiche wie „immer", und außerdem ist hier von anrüchigen Fällen die Rede.

Wie könnte mir als österreichi- schen Beamten auch einfallen, die Ehre der österreichischen Beam- tenschaft anzutasten? Sie mir ge- genüber in Schutz zu nehmen, ist wirklich überflüssig!

DR. JOSEF KRAFT

UNSERE HEIMAT, Heft 10, Oktober 1936

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