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Die Prager Universität

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Alma Mater Pragensis! — Verklärt vom Zauber der Romantik, doch auch gezeichnet von tragischem Schicksal ist der berühmte Name dieser ältesten Universität des Heiligen Römischen Reiches, der fünftältesten des Abendlandes nach Bologna, Paris, Oxford und Neapel. In diesem Jahr wird es 600 Jahre, daß sie die wechselvollen Schicksale Prags miterlebt und mitbestimmt, dieser wunderschönen, geheimnisvollen Stadt, die seit jeher ihre Bürger und viele Fremde in die Dämonie ihres widerspruchsvollen, unergründlichen Wesens verstrickt hat.

Am 7. April 1348 verfügte Kaiser Karl IV. die Errichtung des Studium generale in Prag, nachdem Papst Klemens VI., Karls einstiger Lehrer in Paris, den schon seit Wenzel II. betriebenen Gründungsplan durch eine Bulle sanktioniert hatte. Das Generalstudium war ein geistliches Institut, der jeweilige Erzbisdiof von Prag war Oberkanzler; es gliederte sich in vier Fakultäten, denen je ein gewählter Dekan Vorstand. Alle Teilnehmer, Magister, Bakka- lauren und Studenten, bildeten die Universitas, sie wählten aus ihrer Mitte den Rektor und den Universitätsrat, denen die gesamte Verwaltung und die Gerichtsbarkeit dieses Staates im Staate onlag. Die Universitas, deren Unterrichts- und Verkehrssprache natürlich die lateinische war, war landsmannschaftlich in vier „Nationen“ gegliedert, die böhmische (zu der auch die deutschsprachigen Untertanen der böhmischen Krone, aber auch Ungarn und Siebenbürger gehörten), die bayrische (Süddeutsche, Österreicher und Italiener), die polnische (Polen, Litauer, Preußen und Schlesier) und die sächsische (Norddeutsche, Skandinavier). Große Stiftungen des Kaisers, des ersten Kanzlers Erzbischof Arnestus von Pardubitz, der geistlichen Orden und einiger Stand 'sherren sicherten die materielle Grundlage. Die wichtigsten waren die großen Kollegienhäuser, in denen Magister und Studenten zusammenwohnten. Von dem von Karl IV. gestifteten Karls- Kolleg führte später die ganze Universität den Namen Carolinum.

Nach einem zwei- bis dreijährigen Studium an der Artistenfakultät konnte der Student Bakkalaureus werden, nach einem weiteren Studium von sechs bis acht Jahren an einer der höheren Fakultäten konnte er den Grad eines Magister (der Theologie, der freien Künste, der Chirurgie oder Geburtshilfe), beziehungsweise eines Doktors (des geistlichen oder weltlichen Rechts, der Medizin) erwerben. Der Ruhm der neuen hohen Schule lockte bald unzählige Lehrer und Hörer aus allen Ländern nach Prag, das zur internationalen Weltstadt wurde und eine kulturelle Glanzzeit erlebte, die bis heute das Antlitz der Stadt prägt. Die Hörerzahl stieg zeitweise über 11.000, davon allein 7000 an der Artistenfakultät, von der wir für den Zeitraum 1366 bis 1409 234 lehrende Magister kennen und die Promotion von 844 Magistern und 3823 Bak- kalauren. Auch die bald darauf erfolgte Gründung von Universitäten in Krakau (1364) und Wien (13681 konnte dem Ruhm Prags keinen Abbruch tun.

Diese Blütezeit sollte jedoch nicht lange dauern. Latente Spannungen entluden sich in den Hussitenstürmen, die Land und Stadt in tiefen kulturellen Verfall rissen. Die religiöse Reformbewegung des Hus wurde bald zum nationalen und politischen Schlagwort auch innerhalb der Universität, deren Hörerzahl infolge der steigenden Fremdenfeindschaft der Sektierer um die Jahrhundertwende schon stark abgesunken war. Das Kuttenberger Dekret von 1409 bestimmte, daß die böhmische Nation von nun an drei, die anderen Nationen zusammen nur eine Stimme haben sollten. Der letzte freigewählte Rektor wurde mit

Gewalt abgesetzt und es kam zum berühmten Auszug der ausländischen, vorwiegend deutschen Professoren und Studenten, etwa' 2000 bis 3000 an der Zahl unter Führung ihres letzten Rektors. Die Prager Hochschule sank unter dem neuen Rektor Hus zu einer bedeutungslosen Landesuniversität herab und verfiel unter fortgesetzten politischen Streitereien vollkommen. 1416 bis 1430 wurde überhaupt kein Magister promoviert, die höheren Fakultäten waren praktisch verschwunden und es bleibt für die folgenden 200 Jahre nur die Artistenfakultät in bescheidenem Umfang erhalten. So sind auch hervorragende Tschechen, wie Komensky und Zaluzansky, gezwungen, ihre Ausbildung im Ausland zu ergänzen. Das Eindringen des Humanismus in Böhmen im 16. Jahrhundert erweckte wieder neues geistiges Leben im Land und die kulturelle Blüte unter Rudolph II. brachte auch der alten Karls-Universität einen neuen, wenn auch nur kurzen Aufschwung. Der hervorragende Arzt Hajek lehrte an der Universität und veranlaßte bei Rudolph II. die Berufung Tycho de Brahes, der wieder Kepler nach Prag brachte. Der kaiserliche Leibarzt Huber von Rissenbach und vor allem der berühmte, aus Wittenberg berufene Arzt Jessenius nehmen sich der verfallenen Lehmätte an.

Doch schon war der unter utraquistischer Führung stehenden Karls-Universität eine starke aufstrebende Konkurrenz in dem von Ferdinand I. unter Mitwirkung von Petrus Canisius gegründeten Collegium Clementinum der Jesuiten erstanden, deren moderne Lehrmethoden den Adel und das gebildete Bürgertum beider Konfessionen anlocken und deren mustergültige soziale Einrichtungen auch den Söhnen armer Eltern das Studium ermöglichen. Noch heute bietet der herrliche Komplex dieses Kollegiums in der Prager Altstadt das schönste Beispiel einer Jesuitenuniversität mit prächtigen Bibliothekssälen, Sternwarte, Refektorium, Theatersaal und Kollegienräumen. Wieder wird die Universität in die politischen Spannungen der Zeit verstrickt. Durch den Majestätsbrief von 1609 wurde die alte Karls-Universität den Defensoren der protestantischen Stände übergeben: ihre Hörerzahl sinkt unter 30. Maßgeblich am böhmischen Aufstand beteiligt, starb der protestantische Rektor Jessenius am Schafott. Nach dem Sieg der Gegenreformation übergaben die Professoren die Reste der alten Karls-Universität den Jesuiten, doch protestierte der Erzbischof als Kanzler dagegen und erwirkte die Freigabe der juridischen und medizinischen Fakultät. Beim Schwedeneinfall 1648 nahm die Studentenschaft unter Führung der Jesuiten an der Verteidigung der Karlsbrücke teil, woran das Studentendenkmal im Clementinum erinnert.

1654 kam es zur endgültigen Zusammenlegung der beiden Akademien zur Karl- Ferdinands-Universität. Die Hörerzahl stieg wieder über 800. Der Historiker Bal- binus, der Dichter Brydelius und andere Gelehrte aus dem Jesuitenorden sind patriotische Böhmen. Während das reiche Kunstleben des Barock die friedlich gewordene Stadt verschönt, erstarrt das Leben an der Universität allmählich in veraltenden Schematismen. Nach einigen Reformversuchen wurde durch die neue Schulordnung Maria Theresias 1752 grundlegend eingegriffen. Die Leitung wurde den Jesuiten entzogen und alle Fakultäten, besonders die medizinische, von Grund auf reformiert. Bald hält die Aufklärung ihren Einzug an der Universität und. von ihr getragen, ein neuer Landespatriotismus, in dessen Zeichen die Universität einer längeren Blütezeit entgegengeht. Der Abbe Dobrovsky begründet die slawische Philologie, der Historiker Pelzl .begeistert für die Geschichte des Landes. Deutsche und Tschechen waren gleicherweise umfangen vom böhmischen Patriotismus, sie fühlten sich als Böhmen. Die Vernunft der Aufklärung treibt zur einheitlichen deutschen Staatssprache, seit 1784 wird die lateinische Unterrichtssprache an der Prager Universität durch die deutsche ersetzt Das Gefühl der Romantik aber treibt zur Erweckung der tschechischen Volkssprache und die Romantik verdrängt allmählich die Aufklärung.

Der romantische Nationalismus der Deutschen schlägt auch bei den Tschechen Wurzeln und reift im Vormärz zu eigener Kraft heran. 1848 einigt noch einmal äußerlich beide Nationen im Kampf um die bürgerlichen Freiheiten, von da an spaltet der Nationalismus die Bevölkerung Böhmens in zwei feindliche Lager zu hundertjährigem leidvollem Kampf.

Im Vormärz wirkte an der Universität Bernard Bolzano, auch der große Physiologe J. E. Purkinje, dessen Assistent Julius Sachs später der Begründer der deutschen Pflanzenphysiologie wird. Es kam zur Gründung des „Vaterländischen Museums“ durch Graf Kaspar Sternberg, dessen Freund Goethe diese Gründung tatkräftig förderte. Der geistreiche Historiker Fr. Pa- lacky und der Philologe Jungmann arbeiteten schon im Sinne eines bewußten Panslawismus, aber noch auf staatstreuer Grundlage, noch vielfach unterstützt von den Deutschen des Landes. Das Revolu- rionsjahr 1848 sieht Studenten, Tschechen und Deutsche, auf den Barrikaden, das Ka- rolinum wird vom Militär gestürmt. Bedrohliche Vorzeichen des Nationalitätenhasses vergiften schon die akademische Luft. 1848 wird die tschechische neben der deutschen als Unterrichtssprache der Universität eingeführt. Ihre Hörerzahl liegt in den nächsten Jahrzehnten durchschnittlich bei 2000.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ragt die medizinische Fakultät, die seit der Begründung des Allgemeinen Krankenhauses und einer eigenen Gebäranstalt durch Joseph II. stetigen Aufschwung genommen hatte, durch eine Reih befähigter Lehrer hervor und steht in innigem Zusammenhang mit der Blüte der jüngeren Wiener Schule. Da? Andenken des beliebten Primararztes Krombholz lebt noch heute in seiner Stiftung für erkrankte Hochschüler fort. Oppolzer, später in Wien, Anton Jaksch, Halla und Kiwisch waren seine Schüler. Hyrtl eröffnete in Prag eine Reihe berühmter Anatomen, die von Bochdalek, Toldt und Rabl fortgesetzt wird. Die Physiologen Hering und Biedermann, der Histologe Flemming, die Pathologen Klebs, Chiari und Philipp Knoll, der Pharmakologe Hofmeister, die Frauenärzte Jungmann, Scanzoni, Breisky und Schaöta, der Chirurg Gussenbauer, der Psychiater Riedel machen Prag zu einer international berühmten medizinischen Lehrstätte. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat die Prager medizinische Fakultät über 20 Lehrkräfte1 in führender Stellung an andere Universitäten abgegeben, vielfach an Wien.

Die Zuspitzung der nationalen Gegensätze führte 1882 zur Teilung der alten Carolo-Ferdinandea. De farbentragenden Verbindungen der Studenten, denen anfangs noch vielfach auch Tschechen angehört hatten, waren zum großen Teil ins alldeutsche Fahrwasser geraten, während man sich auf tschechischer Seite von jeder Bevormundung durch die Deutschen frei machen wollte, die bisher die Mehrzahl der Lehrstellen besetzt hielten. Auf beiden Seiten fehlte jeder Wille zur Verständigung. Die Wiener Regierung, besorgt über die zentrifugalen Tendenzen dieser nationalen Strömungen, versuchte der Universität noch einen gemeinsamen Überbau zu erhalten — vergebens, über Verlangen der Tschechen selbst kam es zur Neugründung einer rein tschechischeil Universität, während die deutsche den alten! Namen der Carolo-Ferdinandea und die alten Archive, Insignien und Andenken behielt. Der materielle Besitz der alten Universität wurde redlich geteilt. Von da an verzehrten sich die besten Kräfte auf beiden Seiten im nationalen Kampf. Immer mehr wurden die beiden Universitäten zu Repräsentanten der nationalen Politik des Tschechentums und des Sudetendeutschtums.

Die Begründung der tschechoslowakischen Republik 1918 stellte die deutsche Karl- Ferdinands-Universität vor eine neue Situation. Im Universitätsgesetz von 1920 wurde besimmt, daß allein die tschechische Karls- Universität (die ferdinandeische Wurzel wurde verschwiegen) Erbin und Rechtsnachfolgerin der alten ungeteilten Universität sein solle, die deutsche, fetzt nur mehr „deutsche Universität", dagegen als Neu- gründung des Jahres 1882 anzusehen sei. Auch ihre Benachteiligung in materieller Beziehung wurde so begründet. Es war und ist natürlich jedem gerecht Denkenden klar, daß die beiden Universitäten in gleicher Weise in natürlicher Entwicklung aus der alten Carolo-Ferdinandea hervorgegangen und daher als ihre gleichberechtigten Erben anzusehen sind. Um das Universitätsgesetz erhob sich ein jahrelanger sinnloser Kampf, dessen Versuche einer Rückprojektion moderner nationaler Begriffe in die Zeit Karls IV. bei diesem selbst wohl kaum Verständnis gefunden härten. Da sich auch im tschechisdien Lager Widerstand zeigte, wurden gewisse Bestimmungen des Universitätsgesetzes nicht durchgeführt und erst 1934 kam es zu dem unseligen Insignienstreit, in dem die Deutschen nach Straßenunruhen gezwungen wurden, die alten Insignien herauszugeben und das Besitzrecht am Gebäude des Karolinums abzutreten.

Die kulturelle Bedeutung der deutschen Universität. in Prag hatte jedoch auch im tschechoslowakischen Staat noch zugenommen und viele Gelehrte von internationalem Ruf wirkten an ihr oder waren aus ihr hervorgegangen. Besonders ihre medizinische Fakultät bewahrte ihren guten Ruf, auch zahlreiche Bulgaren, Polen und Rumänen studierten an ihr. Die Hörerzahl der Universität war um 1930 weit über 5000, so daß sie zur drittgrößten deutschsprachigen Universität nach Berlin und Wien geworden war. Die immer schärfer werdende Auswirkung der nationalen Gegensätze hatte jedoch zu einer ganz widernatürlichen, vollkommenen gegenseitigen Abschließung der beiden Nationen geführt, die durch fast tausend Jahre gemeinsam an dem Gedeihen des Landes und seiner Kultur gearbeitet hatten. So erfuhren die wissenschaftlichen Institute der beiden Universitäten erst auf dem Umweg über die internationale Literatur, was jeweils in Prag gearbeitet wurde. Alle gutgemeinten Versuche von beiden Seiten, dieses Eis zu brechen, wären vergebens. Bald sollte die böse Saat des Nationalismus zu furchtbarer Ernte heranreifen.

Das Eindringen des Nationalsozialismus ins politische Leben des Sudetendeutschtums fand in den konservativen und liberalen Kräften des Universitätslehrkörpers noch lange ein Gegengewicht. Erst mit dem Zusammenbruch des tschechoslowakischen Staates begann die Gleichschaltung mit allen Mitteln der Propaganda, der Drohung und Verlockung. Nach der Annexion Prags durch Hitler wurde die deutsdie Universität radikal gesäubert. Viele Professoren hatten schon als Emigranten das Land verlassen, alle anderen politisch oder rassisch nicht einwandfreien wurden abgesetzt oder wanderten in die deutschen Konzentrationslager, aus denen nur wenige zurückgekehrt sind. Die freien Stellen wurden meist ohne Berufung, durch fachlich oft sehr minderwertige Kräfte besetzt. Am 17. November 1939 wurden auf Befehl von K. H. Frank alle tschechischen Universitätsgebäude von SS-Einheiten besetzt und die tschechische Universität wurde geschlossen. Tschechische Studenten und Professoren wurden hingerichtet. Nach der Ermordung Heydrichs folgte eine neue Verfolgungswelle der tschechischen Intelligenz. Im ganzen wurden dreizehn tschechische Universitätsprofessoren und Dozenten hingerichtet, sechs starben im Konzentrationslager und , einer beging Selbstmord. Viele Professoren der deutschen Universität waren über diese Vorgänge empört und standen der nationalsozialistischen Ideologie ablehnend gegenüber. Der vorletzte Rektore" der Nationalökonom Klausing, endete mit seiner Familie durch Selbstmord, nachdem sein Sohn, als Hauptmann an der Verschwörung des 20. Juli beteiligt, hingerichtet worden war. Äußerlich aber galt die deutsche Universität noch als Hochburg des Nationalsozialismus, als die Revolution am 5. Mai 1945 die Kräfte der Vergeltung entfesselte. Der letzte Rektor, der Psychiater Albrecht, und einige Professoren wurden in den Revolutionstagen erschlagen, einige endeten durch Selbstmord, andere starben in Gefängnissen oder Konzentrationslagern. Die Überlebenden teilten das Schicksal der Volksgruppe, die im wesentlichen den Bestand der deutschen Universität in Prag ermöglicht hatte: sie verließen als Bettler das Land. Der gesamte Besitz der deutschen Universität wurde der wiedererrichteten tschechischen Karls-Universität übergeben.

die die rechtmäßige Existenz der deutschen Universität nur bis zum Jahre 1939 anerkennt.

Die tschechische Karls-Universität ist nun die einzige Nachfolgerin der alten ungeteilten Universität, Erbin einer großen Tradition und damit Trägerin einer großen Verantwortung: sich würdig zu erweisen der Aufgabe der ältesten christlich-humanistischen Bildungsstätte Mitteleuropas und des Heiligen Römischen Reiches. Die Wiener Universität ist nun die älteste Universität mit deutscher Unterrichtssprache auf dem Boden des alten Reiches.

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