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Diese ewigen Blödeleien

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Schon längere Zeit erscheinen in der tschechischen Wochenschrift „Tydenik Politika" antisemitische Artikel. Neulich hat das Blatt eine „Liste von Juden und Personen jüdischer Abstammung in der Kultur der Tschechischen Republik" veröffentlicht. Im folgenden Beitrag wird die Spur des Antisemitismus in der Tsche-chei in den Nachkriegsjahren verfolgt.

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Schon längere Zeit erscheinen in der tschechischen Wochenschrift „Tydenik Politika" antisemitische Artikel. Neulich hat das Blatt eine „Liste von Juden und Personen jüdischer Abstammung in der Kultur der Tschechischen Republik" veröffentlicht. Im folgenden Beitrag wird die Spur des Antisemitismus in der Tsche-chei in den Nachkriegsjahren verfolgt.

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Die 1945 von neuem errichtete Tschechoslowakei unterschied sich in vielem von der Republik unter Masaryk und Benesch. Vor allem war sie um vieles weniger tolerant, ja sie trug sogar fanatische Züge gegenüber nationalen Minderheiten - vor allem den Deutschen und Ungarn gegenüber, aber auch erstaunlicherweise gegenüber den aus KZs zurückgekehrten Juden, insbesondere den wenigen deutschsprachigen Juden.

Die Gründe zu dieser Einstellung sind historisch vielleicht verständlich, wenn auch unentschuldbar: Die Atmosphäre der Verrohung, die der Krieg und die deutsche Okkupation mit sich brachten, die scharfe antisemitische Indoktrinierung und Propaganda in den Zeitungen, im Film und in Hunderten von Büchern und Broschüren in tschechischer Sprache während der sechs Okkupationsjahre, die tiefe Enttäuschung über Frankreich und England, die 1938 in München die CSR an Hitler auslieferten und dann den Einmarsch der Deutschen in Prag 1939 tolerierten, der primitive Wille zur „Rache" und Vergeltung.

Über die Einstellung der Tschechen gegenüber den zurückkehrenden Juden bin ich in der Lage ein persönliches Erlebnis beizusteuern. Es war nur wenige Wochen nach Ende des Krieges, als ich während einer Bahnfahrt von Pilsen nach Prag zusammen mit zwei tschechischen Passagieren im gleichen Abteil saß. Sie hatten Essen in Körben mitgebracht -und da sie mich offenbar als ihresgleichen betrachteten, boten sie mir auch von ihrem Essen an. Da ich damals Emissär der Jüdischen Brigade, wenn auch nicht in Uniform, in der Tschechoslowakei war, blieb ich recht einsilbig; um nicht allzu sehr von ihnen ausgefragt zu werden.

Was ich von ihnen zu hören bekam, war für mich erschütternd: „So viele Juden sind doch zu uns zurückgekehrt", meinte bedauernd der eine, worauf der andere kopfnickend die zynische Bemerkung machte: „Wahrscheinlich waren viele Löcher in den Gaskammern."

Im Jahre 1930 lebten im damaligen Böhmen und Mähren-Schlesien 117.551 Juden, von denen rund 30.000 ihre Nationalität mit Jüdisch" bezeichneten. Weitere 35.657 Juden gaben ihre Nationalität mit „deutsch" an. Gegen 1938 nimmt man an, ist ihre Zahl auf 30.000 gesunken. Am Tag des deutschen Einmarsches in die Rest-Republik befanden sich in dieser 14.500 jüdische Flüchtlinge aus den abgetretenen Gebieten sowie weitere 5.000 Juden, die bereits früher aus Österreich und Deutschland geflüchtet waren.

Bei einer Erfassung der Juden im Protektorat wurde die Zahl der „Rassenjuden" (also auch solcher, die zum Christentum übergetreten waren) mit 118.310 angegeben. Durch Flucht oder Emigration gelang es zirka 33.000 bis 35.000 Personen zu entrinnen, von diesen dürften 7.800 Personen sogenannte „deutsche Juden" gewesen sein.

Die Zahl der Rückkehrer aus den KZs sowie der Rückkehrer von noch vor Errichtung des deutschen Protektorats geflüchteten Juden wurden 1946 mit 22.000 angegeben, darunter 2.000 Angehörige der tschechoslowakischen Auslandsarmee im Westen. In die Rückkehrziffer von 22.000 in die historischen Länder sind auch mindestens 7.000 Juden einzurechnen, die früher in Karpatorußland lebten.

Die allgemeine Einstellung der tschechischen Bevölkerung, aber auch der Regierungsstellen zu den jüdischen Rückkehrern war von Unwillen, Bürokratie, ja oft von Feindlichkeit gekennzeichnet. Dies betraf besonders diejenigen Tschechen, bei denen Juden irgendetwas von ihrem Besitz versteckt hatten. Mir persönlich sind Fälle bekannt, daß Tschechen den Rückkehrern beziehungsweise Kindern von Emigranten gerne die gehüteten Gegenstände zurückgaben; aber in vielen Fällen geschah dies mit Unwillen. Obwohl der größte Teil der Juden gar nicht zurückkehrte, bestand doch in der Bevölkerung die , Befürchtung, ein Teil der Juden könne doch noch auftauchen und ihr in gutem Glauben abgegebenes Eigentum zurückfordern.

Was die Einstellung der Exil-Regierung Beneschs in London betrifft, war diese eher vorsichtig, hatte offiziell nie ein negatives Verhältnis gegenüber den sogenannten „deutschen Juden". Diese Tatsache ist bestimmt in großem Maße dem Außenminister Jan Masaryk zuzuschreiben, der als ausgesprochener „Judenfreund" galt. Dem war allerdings nicht so in den Reihen der ausländischen tschechoslowakischen Armee, wo es öfters zu antisemitischen Beleidigungen, ja Prügeleien kam, und dies besonders gegenüber den deutschsprachigen Juden, die man manchmal dabei ertappte, daß sie untereinander deutsch sprachen.

Diese Tendenzen waren bereits 1940 in Frankreich spürbar, wo sich in der tschechoslowakischen Einheit von 8.087 Soldaten und 448 Offizieren 999 Soldaten und ein Offizier zum Judentum bekannten. In England waren zur gleichen Zeit von 3.500 Soldaten der CSR-Einheiten rund 1.000 Juden. Es mag den tschechoslowakischen Armeekreisen als erschwerend erschienen sein, daß sich gerade unter den „deutschen" Juden zahlreiche „Linke", also auch Kommunisten, befanden, nachdem sich die zionistisch oder national orientierten Juden entweder zur englischen Armee oder in die jüdischen Einheiten in Palästina, aus denen später die

„Jüdische Brigade" hervorging, gemeldet hatten. Ende 1942 wurde bekannt, daß sich in der sogenannten „Svoboda-Armee", die an der sowjetrussischen Front kämpfte, zirka 3.000 Juden befanden. Diese stammten sowohl aus den historischen Ländern, als auch aus Karpatorußland und der Slowakei.

Es gab in London tschechische Exilpolitiker, die damals das .jüdische Nachkriegsproblem" sahen, wie zum Beispiel der nationaldemokratische Politiker F. Klastil: „Wir bitten darum, dieses jüdische Kapitel als verständige Bürger ehrenhaft abzuschließen. Wir können uns nicht diese ewigen Blödeleien leisten." Und sogar der Kommunist Vaclav Kopecky veröffentlichte am 15. Juli 1944 in der in der UdSSR erscheinenden tschechischen Zeitung „Ceskoslovenske Listy" einen Artikel, in dem er den Antisemitismus als „reaktionäre und faschistische Doktrin" verurteilte, gleichzeitig jedoch bereits damals ankündigte, daß „die sich zum Deutschtum bekennenden Juden in der befreiten Tschechoslowakei den Deutschen gleichgestellt" würden. Kopecky, später Innenminister der

(ÜSSR, schrieb damals eine etwas gewundene Definition: „Den Antisemitismus zu bekämpfen heißt nicht, eine Auflösung des nationalen slawischen Charakters der Republik zuzulassen."

Inzwischen versuchte die erneuerte beziehungsweise teilweise noch alte CSR-Bürokratie, den wenigen deutschsprachigen Juden, die zurückgekehrt waren, künstliche Hindernisse in den Weg zu legen, oder die diversen Anträge im Schneckentempo zu bearbeiten. Die Folge war, daß ein Teil der deutschsprachigen Juden resignierte und verstand, daß er in der „neuen" CSSR nichts zu verlieren habe.

Die verwünschten „Deutschen jüdischer Herkunft" beschäftigten noch im Frühjahr 1947 die besorgte tschechische Bürokratie. Der Hintergedanke war und blieb, wie man um die Rückerstattung des jüdischen Besitzes herumkommen könne. Innenminister Nosek nannte damals die Ziffer von annähernd 2.000 Personen.

Im Oktober 1947 trat eine Konferenz von Delegierten aller jüdischen Gemeinden in Prag zusammen, bei der die Zahl der in der Republik wohnenden Juden bekanntgegeben wurde. In den historischen Ländern lebten 19.000 Juden, von denen rund 7.000 Flüchtlinge aus Karpatorußland stammten, die vor allem in vier Städten des Sudentengebietes angesiedelt wurden: in Karlsbad, Teplitz, Aussig und Reichenberg.

Während der Konferenz wurden auch die ominösen „deutschen Juden" wieder einmal erwähnt; es handelte sich um 750 Juden „nichtslawischer Zugehörigkeit". Tschechische Pressestimmen nahmen an, daß auch diese „bis Ende 1948 auswandern" würden.

Die kommunistische Machtergreifung im Februar 1948 setzte diesem Verhalten einen Schlußpunkt, da ja jegliches Eigentum - tschechisches, deutsches und jüdisches - verstaatlicht wurde. Heute gibt es in der CSFR nur noch wenige jüdische Pensionisten, die deutsch sprechen.

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