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Waffenstillstand - und das Nachher

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Der neue Krieg im Nahen Osten hat in der Welt Stürme der Emotionen entfesselt, die es schwermachen, dieses Ereignis auf der Waage der politischen Vernunft zu wägen. Alle Ideologien haben versagt, weil es sich um einen reinen Machtkampf zwischen verfeindeten Staaten handelte. Auch das Argument des Antisemitismus, das von den Freunden Israels gegen die Freunde der Araber ins Feld geführt wurde, ist nicht stichhaltig, weil nicht die Araber im Weltkrieg fünf oder sechs Millionen Juden getötet haben und überdies' die Araber selber Semiten sind. Selbst die Anklage, daß sich die Regierungen wegen ihrer Erdölinteressen nicht mit den Arabern entzweien möchten, hat nur beschränkte Geltung — nicht nur,

sehe Leitartikler Heikai, der Präsident Sadat nahesteht, bemerkte zutreffend, die Vereinigten Staaten hätten es Ägypten unmöglich gemacht, den Kampf fortzusetzen. Aber auch Kissinger, von Moskau kommend, machte es der israelischen Regierung unmöglich, ihren militärischen Vorteil auszunützen. Die von Frau Golda Meir angekündigte vollständige Vernichtung der feindlichen Macht hat nicht stattgefunden.

Wenn man diese Elemente des politischen Kräftespiels betrachtet, bleibt für gefühlsbetonte Urteile, berechtigte und unberechtigte, wenig Raum.

Auf dem Kampfplatz selbst haben sich die politisch-psychologischen Verhältnisse verändert. „Die Illusion, sichere Grenzen könnten den Frieden ersetzen,

weil die Versorgung mit Erdöl ein berechtigtes Interesse der westlichen Welt ist, sondern auch deshalb, weil bei den Stellungnahmen der Regierungen zum ausgebrochenen Konflikt im Nahen Osten diese Frage eine sekundäre Rolle spielte. Primär, zumal für die Staaten am Mittelmeer, Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland, die Türkei und, von Gibraltar bis Zypern, auch England, ist das sicher nicht unberechtigte Bestreben ausschlaggebend, mit den arabischen Staaten am gegenüberliegenden Meeresufer normale Beziehungen aufrechtzuerhalten. Die Lösung Marokkos, Tunesiens und Algeriens von der französischen Herrschaft hat Frankreich — ohne Unterschied zwischen rechts und links — die drückende Sorge auferlegt, das prekäre Verhältnis zu diesen jungen Staaten nicht neuen Gefahren auszusetzen.

Von einer „Schwäche“ Westeuropas im letzten Waffengang des Nahen Ostens zu reden, wäre auch deshalb nicht gerecht, weil die Lage ausschließlich in der Hand der beiden Supermächte lag, so daß keine europäische Regierung die Möglichkeit gehabt hätte, aus eigenem Willen ihre Vermittlung anzubieten. Der Versuch, der nach dem Sechstagekrieg 1967 gemacht worden war, dieses Problem gemeinsam durch die vier — neben den USA und der Sowjetunion auch durch England und Frankreich — zu lösen, hat sich längst als undurchführbar erwiesen. Die amerikanische Regierung hat nie Wert darauf gelegt, sich mit ihren europäischen Verbündeten, die schließlich nicht bloß Befehlsempfänger sind, über ihre Orientpolitik zu verständigen.

Die Haltung der europäischen Regierungen hat ihre Entsprechung in jener der Supermächte selbst, nachdem die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion in ihrem Friedens- (um nicht zu sagen: Bündnis-) Abkommen sich verpflichtet hatten, „alles in ihrer Macht Liegende zu tun, damit Konflikte oder Situationen, welche die internationale Spannung erhöhen, nicht eintreten“. Der amerikanische Außenminister Kissinger hat mit Vorsicht und Umsicht dieser Politik nachgelebt, als er den engen Kontakt mit Moskau aufrechterhielt und hernach der Einladung Bresch-njews Folge leistete, die Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Dem Sicherheitsrat der UNO blieb nichts anderes übrig, als den von diesen beiden Regierungen vorgelegten Resolutionsentwurf anzunehmen (bei Stimmenthaltung Chinas).

Desgleichen blieb Ägypten, Syrien und Israel nichts anderes übrig, als sich dem Befehl zur Feuereinstellung zu beugen. Die Niederlage der einen oder anderen war durch die Waffenlieferungen der beiden Supermächte verhindert worden. Der ägypti-

ging blutig in die Brüche“, schrieb der Mitarbeiter einer bürgerlichen Schweizer Zeitung, der aus eigener Anschauung die Verhältnisse in Israel kennt. Wer mit der orientalischen Psyche nicht vertraut sei, sagt er, könne nicht verstehen, daß 1967 die durch ihre Niederlage gedemütigten Araber sich weigerten, direkte Verhandlungen mit Israel aufzunehmen. Der arabische Stolz, ein wichtiges Element der orientalischen Politik, sei immer aufs neue verletzt worden. Die Israelis seien durch die Ablehnung von Verhandlungen zuerst verblüfft, dann verbittert worden, so daß sich die öffentliche Meinung in Israel zusehends radikalisiert habe. Das habe in Israel zu einer Überschätzung der eigenen Möglichkeiten geführt. — Dieses Urteil eines Kenners der Verhältnisse hat mehr Gewicht als viele Pro-- ■-. teste und Anklagen.

Da Grenzen nur dann „sicher“ sind, wenn sie auch friedlich sind, stellt sich die Frage, ob im Nahen Osten ein Friede möglich ist. So wie die Dinge liegen, kann man füglich daran zweifeln. Der Nahe Osten sei das „Balkanproblem des 20. Jahrhunderts“, sagte Kissinger — und, das verheißt nichts Gutes. König Hussein von Jordanien hat das Problem dahingehend formuliert, daß Israel die Wahl habe zwischen der Besetzung der eroberten Gebiete und dem Frieden. Einen Frieden mit der Besetzung könne es nicht haben. Daß sich die Million Araber in den besetzten Gebieten nicht mit ihrem Schicksal abgefunden hat, geht auch aus -israelischen Berichten, namentlich über Gerichtsurteile gegen Widerstandskämpfer, zur Genüge hervor.

Auf der arabischen Seite verlangt man die Räumung der besetzten Gebiete und die Einsetzung des palästinensischen Volkes in seine legitimen Rechte. Aber zwei Dinge sind unklar: Werden die arabischen Staaten nach Erfüllung dieser Wünsche die Existenz Israels unzweideutig anerkennen? Ist die Integrität des auf völkischer und religiöser Basis aufgebauten Staates Israel mit der Forderung der Palästinenser nach Gleichberechtigung und Mitregierung vereinbar? Solange über diese beiden Fragen nicht völlige Klarheit herrscht, kann die israelische Politik weiterhin davon reden, die Existenz Israels sei durch die arabischen Völker bedroht.

Die Zeiten sind längst vorbei, da der kluge Nahum Goldmann seinen Landsleuten und Glaubensgenossen zu einer Politik der Verständigung mit ihren Nachbarn und mit Rußland riet. Entweder war das nicht möglich oder der günstige Augenblick wurde verpaßt. Israel ist die Wette auf die Zukunft eingegangen, daß Amerika ihm immer helfen werde.

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