6648434-1958_38_05.jpg
Digital In Arbeit

Das ungelöste Problem

Werbung
Werbung
Werbung

Mit der einstimmigen Annahme der sudanesischen Resolution, die den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit der Erkundung eines Weges zur Stabilisierung der Lage im Nahen Osten beauftragt, war das erste Kapitel in der Geschichte einer gefährlichen Krise abgeschlossen. Sein Ausgang muß für Moskau ebenso enttäuschend gewesen sein, wie er die Regierungen in Washington und London, die auf fatale Komplikationen gefaßt waren, angenehm überraschte. Nicht nur, daß der dort erhoffte und in den westlichen Hauptstädten befürchtete Sturm der Entrüstung über die anglo-amerikanische bewaffnete Intervention — Moskau zählte dabei insbesondere auf die geschlossene Mitwirkung des afro-asiatischen Blocks — ausgeblieben ist; selbst die arabischen Staaten zeigten sich in ihrem Resolutionsvorschlag bemüht, mit einem Hinweis auf die Charta der Vereinten Nationen das anglo-amerikanische Vorgehen so leise als möglich zu kritisieren und wie zur Entschuldigung dieser Kritik auch ihrerseits die Bereitwilligkeit auszudrücken, an der Schaffung der Bedingungen für einen baldigen Abzug der amerikanischen und britischen Streitkräfte mitzuwirken. Worin diese Mitwirkung im einzelnen zu bestehen hätte, wird Gegenstand der Verhandlungen sein, die Generalsekretär Hammarskjöld jetzt im Zuge seiner Besuche in den verschiedenen arabischen Hauptstädten eingeleitet hat;

ihre Grundlage wird jedenfalls die in der Resolution ja ausdrücklich anerkannte Verpflichtung auch jedes arabischen Staates sein müssen, sich im Sinne der Charta jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu enthalten und ihre Souveränität und territoriale Integrität zu respektieren.

Die westliche Diplomatie, der man seit geraumer Zeit nicht viel Gutes nachsagen konnte, hat da einen unleugbaren Erfolg davongetragen, wobei ihr allerdings eine Reihe glücklicher Umstände zu Hilfe kam. Die hektischen Sprünge Chruschtschows, von seinem pathetischen Ruf nach einer Gipfelkonferenz in der „kritischesten Stunde in der gesamten Geschichte der Menschheit“ angefangen bis zur Torpedierung seines eigenen Vorschlags, verglichen mit der ruhigen und festen Haltung der anglo-amerikanischen Regierungen, die sich durch massivste sowjetische Drohungen nicht aus dem Konzept bringen ließen; die merklich geringe Neigung der neuen Herren in Bagdad, sich vorbehaltlos den Direktiven Nassers zu unterwerfen; die wachsenden Schwierigkeiten in den Beziehungen Aegyptens zu Syrien, wo die anfängliche „Anschlußfreudigkeit“ einem deutlichen Verlangen nach Selbstbehauptung und einer wirklichen Autonomie, an Stelle des gegenwärtigen Defacto-Status einer ägyptischen Provinz, gewichen ist; die noch reichlich unsichere Gestaltung des Verhältnisses zwischen Kairo und dem saudiarabischen Königreich — all das mußte im Lager der extremsten panarabischen Nationalisten ernüchternd wirken. Auch die wirtschaftlichen Sorgen Aegyptens, die zu einer Verständigung über finanzielle Differenzen vor allem mit Großbritannien drängten, mögen da mitgespielt haben. Aber entscheidend war sicherlich die Erwägung des ägyptischen Diktators, daß eine im Palais der Vereinten Nationen aufgeführte Kundgebung arabischer Einigkeit unter betonter Rücksichtnahme auf das Sicherheitsbedürfnis der beiden Länder, zu deren Schutz die Westmächte eingegriffen hatten, das beste und vielleicht einzige Mittel sei, um den Abzug der fremden Truppen in Gang zu bringen.

Wie nun die weiteren Kapitel dieser Krisengeschichte geschrieben werden, ist ungewiß, selbst wenn es gelingen sollte, statt der jetzt dort stationierten anglo-amerikanischen Streitkräfte die UNO in Libanon und Jordanien „anwesend“ zu machen. Eine UNO-Polizeitruppe, die gegebenenfalls- militärisch einzusetzen wäre, kommt für den vorliegenden Zweck kaum in Frage; wahrscheinlicher wäre die Entsendung von .Bevollmächtigten der UNO, die darüber zu wachen hätten, daß jeder Versuch, von außen her den Frieden und die gesetzliche Ordnung in den beiden Staaten zu stören, unterbleibt. Die Erfolgschancen einer solchen Einrichtung wird aber niemand sehr hoch einschätzen können; namentlich in Anbetracht der Erfahrungen mit der libanesischen Republik, wo die UNO-Beob-achter nicht einmal mit der ihnen zugewiesenen beschränkten Aufgabe zurechtgekommen sind, die Infiltration aufrührerischer Elemente und den Waffenschmuggel von Syrien herein zu unterbinden. Selbst jetzt noch sind die ägyptischen Radiostationen, trotz jenem Beschluß der UNO-Generalversammlung, Tag und Nacht damit beschäftigt, die Bevölkerung Libanons und Jordaniens zu Haß und zu gewaltsamem Aufstand gegen ihre legalen Regierungen — und natürlich auch gegen die „westlichen Imperialisten“ — aufzupeitschen und sich somit einer offenkundigen Einmischung in fremde Angelegenheiten schuldig zu machen. Daran wird die geplante „Anwesenheit“ der UNO in den betreffenden Ländern ebensowenig zu ändern vermögen, wie daß sie einen Schutz gegen die Wirksamkeit der von Kairo gesteuerten panarabischen Agitation bedeuten würde; es sei denn, Oberst Nasser revidierte seine bisherige Expansionspolitik. Diese Möglichkeit ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Vor allem in Bagdad und in Damaskus wird jetzt viel von der Notwendigkeit gesprochen, die; mehrmals schon so gut wie tote Arabische Liga neu zu beleben und ihr Büro in Kairo, das bisher praktisch nichts anderes war als eine Abteilung des ägyptischen Außenministeriums, zur Zentrale einer tatsächlichen Föderation aller arabischen Staaten unter ägyptischem Vorsitz zu gestalten. Es wäre denkbar, daß Abdel Nasser im Hinblick auf seine syrischen Erfahrungen und die vielleicht unüberwindlichen Schwierigkeiten, die einer weiteren Ausdehnung seines unmittelbaren Herrschaftsbereiches, namentlich in Richtung der Oelgebiete, im Wege stehen würden, einen solchen Plan akzeptiert; in welchem Fall er sich zu einer vorläufigen Tolerierung der eigenstaatlichen Existenz Libanons und Jordaniens im Rahmen eines panarabischen Bundes bereit finden könnte. Schließlich könnte der jüngste Eisenhowe-Plan, der erhöhte Wirtschaftshilfe für die arabischen Staaten vorsieht, und zwar in einer Form, die auf die Empfindlichkeit und das Selbstbewußtsein der arabischen Völker volle Rücksicht nimmt, die überhitzten arabischen Gemüter allmählich beruhigen. Aber selbst in diesem allergünstigsten Fall bliebe das nahöstliche Kernproblem noch immer ungelöst.

Wie tief der virulente panarabische Nationalismus unter die Oberfläche greift und ob seine zur Zeit scheinbar unaufhaltsame Wirksamkeit nicht schließlich an den sehr bedeutenden Stammesunterschieden, an der Eifersucht i:nd den egoistischen Ambitionen einzelner Führer, an den Gegensätzen wirtschaftlicher und politischer Interessen innerhalb der arabischen Welt eine Grenze finden wird, darüber können die Meinungen geteilt sein; außer jedem Zweifel steht jedoch die haßerfüllte Feindschaft gegenüber dem Staate Israel, die das gesamte Arabertum vereint. In dieser Feindschaft verbleibt eine latente Kriegsgefahr, die mit jedem

Schritt zum engeren Zusammenschluß der arabischen Staaten und dem Anwachsen ihres militärischen Potentials akuter zu werden droht; schon deshalb, weil im selben Maße die Versuchung für Israel zunehmen wird, einem befürchteten arabischen Einbruch durch den eigenen Angriff zuvorzukommen. Um da den Frieden oder, besser gesagt, die Waffenruhe aufrechtzuerhalten und das Entstehen eines Brandes mit unabsehbaren Folgen zu verhindern, werden die Westmächte daher weiterhin gezwungen sein, die undankbare Rolle des Ordnungswächters zu spielen. Was ihnen, gleichgültig ob es im eigenen Namen oder eventuell unter der Flagge der UNO geschieht, seitens der Araber den dauernden Vorwurf der Einmischung in arabische Angelegenheiten und der noch ärgeren Sünde der Parteinahme für Israel eintragen wird; zum Vorteil allein der UdSSR, die bestimmt keine Gelegenheit verabsäumen wird, im Schatten dieses Problems ihre bereits sehr wirkliche „Anwesenheit“ im arabischen Raum — man braucht da nicht allein an die bombensicheren Unterstände für sowjetische U-Boote am Bab-el-Mandeb zu denken — weiter auszubauen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung