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Israels zehn Gründe

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Die Euphorie, in die sie durch die Beifallsstürme für PLO-Chef Jassir Arafat vor der Palästinadebatte der New Yorker UN-Vollversammlung versetzt wurde, weicht in der arabischen Welt gegenwärtig der rapide um sich greifenden Furcht vor einem neuen „Blitzkrieg.“ Libanesische Grenzpatrouillen und Einwohner südlibanesischer Dörfer beobachteten umfangreiche Panzerbewegungen auf der israelischen Seite der Demarkationslinie. Die Präventivangriffe gegen vermutete Stützpunkte der Palästinaguerilleros häufen sich wieder. In Beirut verbreiten westliche Diplomaten Berichte ihrer in Tel-Aviv stationierten Kollegen über eine heimliche Teilmobilisierung der israelischen Streitkräfte.

Bei den Hinweisen auf den möglichen Ausbruch eines fünften „großen“ Nahostkrieges handelt es sich offenkundig um mehr als nur um Stimmungsmache. Auf arabischer Seite diskutiert man immer weniger über die Frage, ob ein neuer Krieg unvermeidlich werden könnte oder nicht, sondern immer mehr über den Zeitpunkt seines Ausbruches. Während Optimisten noch den März, wenn der Winter mit seinen Regen- und teilweise sogar Schneefällen in Syrien, Jordanien und Israel vorüber ist, nennen, halten Pessimisten einen Kriegsausbruch schon in den Wochen nach der New Yorker Palästinadebatte für nicht unwahrscheinlich.

Die „Denkfabriken“ an der amerikanischen Universität und dem Institut für Palästina-Studien in Beirut, die seit der Katastrophe im Sechstagekrieg von 1967 beachtliches wissenschaftliches Profil gewannen, nennen zähn logische Kriegsgründe für Israel:

• Der Prestigeerfolg des PLO-Chefs Jassir’ Arafat vor der UN-Vollver- sammlung habe diesen gegen israelischen Willen zum eigentlichen Gesprächspartner über die Zukunft Palästinas gemacht.

• Die Resolution werde das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser in einem eigenen Staat und vielleicht sogar das Widerstandsrecht der Freischärler international sanktionieren. ® Die sowjetischen Waffenlieferungen an Syrien, die gegenwärtig über eine Luftbrücke von Baku nach Damaskus und den Hafen von Latakia verstärkt fortgesetzt werden, veränderten langsam aber unaufhaltsam das regionale Rüstungsgleichgewicht zuungunsten Israels.

• Ägypten sei zwar noch immer an separaten Teillösungen auf der Sinai-Halbinsel interessiert, jeder weitere Rückzug an dieser Front verschlechtere aber die strategische Ausgangsposition der Israelis im Süden. Komme es infolgedessen nicht vorher noch zu einer weiteren Phase der Truppenentflechtung, werde der ägyptische Präsident Mohammed Anwar es-Sadat sich zwangsläufig wieder mehr mit der Möglichkeit einer kriegerischen Lösung befassen müssen. Gegenwärtig sei Ägypten noch, wegen der unterbrochenen sowjetischen Waffenlieferungen, ein verhältnismäßig schwacher Gegner nach dem für kommenden Januar angekündigten Besuch des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnjew müsse indessen mit der Wiederaufnahme des Rüstungsnachschubs und einer nachhaltigen militärischen Stärkung des Nillandes gerechnet werden.

• Sowohl in Israel als auch in den arabischen Staaten wachse die Neigung, die Vermittlungsbemühungen des USA-Außenministers Henry Kissinger als vorläufig gescheitert zu betrachten.

• Für Israel nicht ungefährlich seien im Zusammenhang damit die in den Vereinigten Staaten zu beobachtenden Anzeichen eines Stimmungswandels zuungunsten Jerusalems. Die Warnungen aus amerikanischen Generalstabskreisen vor weiterer uneingeschränkter militärischer Unterstützung des Judenstaates seien dafür ein ernstzunehmendes Symptom.

• Verschlimmert werde diese Entwicklung noch durch die betonte Neutralität der EG-Mitgliedsstaaten im Nahostkonflikt, die sich zwangsläufig gegen die israelischen Interessen auswirke.

• Der Rückgang der Einwanderungsziffern werfe für Israel schwerwiegende demographische Zukunftsprobleme auf, zumal in absehbarer Zeit mit dem Entstehen eines neuen Drei-Millionen-Staates an seiner Ostgrenze gerechnet werden müsse. • In engem Zusammenhang damit gesehen werden müsse der fühlbare Rückgang der jüdischen Spendenfreudigkeit in der Diaspora.

• Die Analyse der schlechten Wirtschaftslage Israels lasse die Voraussage zu, daß Israel trotz der umfangreichen Austerity-Maßnahmen seiner Regierung unaufhaltsam der wirtschaftlichen Katastrophe zusteuere.

Die arabischen Verfasser dieser „zehn Kriegsgründe“ glauben sogar, daß jeder einzelne von ihnen für Israel Grund genug zum baldigen Losschlagen sein könnte, hinzu komme, daß die innerpolitischen Verhältnisse in Jordanien infolge der Beschlüsse der panarabischen Gipfel- konferehz in Rabat über die Legalisierung der palästinensischen Ansprüche rasch labiler werde. Nehme man außerdem hinzu, daß sich im gesamten Westen die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen häuften, könne man nicht einmal ausschließen, daß sich die USA beim Ausbruch eines israelisch-arabischen „Blitzkrieges“ zu direkten Aktionen zum Schutz der westlichen Rohölversorgung genötigt sehen könnten. Wohlgemerkt, handelt es sich hier um eine arabische Analyse. Sollte man sie auch in Israel nur teilweise ähnlich stellen, ballen sich über dem Vorderen Orient in der Tat wieder drohende dunkle Wolken.

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