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Jordan und der Gipfel

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Im Kibuzz Dan, einer landwirtschaftlichen Kodlektivsiedlung an der syrischen Grenze Israels, ging das Leben seinen gewohnten Lauf. Niemand kümmerte sich im Kibbuz selbst um die aggressiven Proklamationen der syrischen Machthaber. Die Kibbuzkinder spielten nach wie vor auf der Wiese und machten Spaziergänge in die Umgebung. Das Gefühl der Ruhe und Selbstsicherheit herrschte in Israel nicht nur in Tel Aviv, sondern auch an der meist gefährdeten Grenze dieses Landes.

Die arabische Gipfelkonferenz, die dieser Tage abgeschlossen wurde, konnte zwei wichtige Beschlüsse fassen: Es wird ein gemeinschaftliches militärisches Oberkommando gebildet, um zur gegebenen Stunde effektiv gegen Israel vorzugehen. Es soll ferner ein Staudamm am Banias-fluß in Syrien errichtet werden, um auf diese Art und Weise eine der drei Hauptquellen des Jordans vom Jordan abzuschneiden und dadurch das israelische Bewässerungsprojekt zu beeinträchtigen.

Die Konferenz wurde von Ägyptens Regierungschef Gamal Abd el Nasser in Kairo einberufen, um eine gemeinsame arabische Reaktion auf die Inbetriebnahme des israelischen Jordan-Negew-Bewässerungspro j ek-tes zu schaffen.

Die Beschlüsse wurden von allen arabischen Staaten, außer Syrien, angenommen, da die arabischen Machthaber die Prognose Nassers anerkannten, daß ein entscheidender Krieg gegen Israel noch nicht geführt werden kann. Der syrische Vertreter, der energische militärische Gegenmaßnahmen forderte, wurde von Nasser bezichtigt, seiner abenteuerlustigen Phantasie freien Lauf zu lassen.

Die erste Phase des israelischen Jordan-Negew-Projekts soll im nächsten Sommer in Betrieb genommen werden. Es handelt sich um eine Riesenwasserleitung, die in ihrer ersten Phase zirka 150 Millionen Kubikmeter vom Norden des Landes in den' wasserarmen Süden leiten soll. Die Vorbereitungen zu diesem Werk begannen im. Jahr 1953. Die Entstehungskosten der ersten Phase belaufen sich auf' zirka 150 Millionen Dollar. Der Anfang der Wasserleitung befindet sich bei Tabchah am Tiberiassee, der als natürliches Reservoir für die Riesenpumpen dient Der See liegt 205 Meter unter dem Meeresspiegel, und unterirdische Kanäle leiten das Wasser durch Riesentunnels in die 250 Meter höher gelegenen Berge. Von dort wird das Wasser mit Hilfe von offenen Kanälen und einigen Tunnels und Röhren mit einem Durchmesser von 2,75 Meter, einem Gefalle von 16 Zentimeter per Kilometer und einer Geschwindigkeit von 3,2 Kilometer pro Stunde zirka 200 Kilometer weit in den trockenen Süden und in die Negewwüste geleitet werden.

Das israelische Jordanprojekt wurde ähnlich wie das jordanische Jarmukprojekt nach dem amerikanischen Johnston-Plan errichtet. Johnston teilte das Wasserpotential des Jordans hauptsächlich zwischen Israel und Jordanien auf und sah nur zirka zehn Prozent dieses Potentials für Syrien vor.

Bei den israelischen Regierungskreisen in Jerusalem herrscht Optimismus in bezug auf die arabischen Reaktionen. Man glaubt an keinen offenen Militärkonflikt, da Nasser betont, daß es sich um ein politisches Problem handelt, und die arabischen Staaten heute nicht bereit sind, sich in ein militärisches Abenteuer einzulassen. Trotzdem erwartet man eine arabische Reaktion, damit die Araber ihr Prestige nicht einbüßen.

Die möglichen Reaktionen wären:

1. Politische Propaganda bei den Großmächten und in der UNO, um diese zu zwingen, Druck auf Israel auszuüben, das Projekt zu annullieren oder zurückzustellen, bis sich die Lage beruhigt hat

2. Militärische Aktion der syrischen Armee entlang der Nordgrenze, wo die strategische Situation für die Syrier günstig ist. ■ -

3. Sabotage an den Kanälen, Tunnels und Pumpstationen.

4. Großkrieg — entweder von Syrien allein oder mit Unterstützung Ägyptens.

5. Ableitung der Jordanquellen. Eine politische Aktion bei den

Großmächten wird im Sicherheitsrat keine genügende Mehrheit erhalten und von den Großmächten, die den Johnston-Plan unterstützen, nicht befürwortet werden. Die Unterstützung des Ostblocks allein genügt in diesem Fall nicht.

Eine militärische Reaktion wird ergebnislos bleiben, da Ägypten über die einzige schlagkräftige Armee verfügt. Der ägyptische Regierungschef Nasser erklärte, daß die Araber gegenwärtig nicht in der Lage sind, Israel zu schlagen. Dieses Argument stimmt. Ägyptens Armee hat noch nicht das Training mit den neuen sowjetischen Waffen abgeschlossen, und die ägyptischen Offiziere sind noch nicht mit den sowjetischen Kampfmethoden yertraut. Außerdem befindet sich mehr als ein Drittel der ägyptischen Armee im Jemen. Weitere Tausend sind in Algerien stationiert, und tausende Soldaten sind mit dem Nachschub für diese Expeditionsarmeen beschäftigt.

Die Lage der syrischen Armee läßt viel zu wünschen übrig. Die politischen Machtkämpfe und Säuberungsaktionen innerhalb der Armee haben die Disziplin und Kampfmoral untergraben.

Auch Jordanien ist an keiner Auseinandersatzung mit Israel interessiert, da es durch sein Jarmuk-bewässerungsprojekt mehr oder weniger seine Wasserquote ausnützt und kein Argument gegen das israelische Bewässerungsprojekt vorbringen kann.

Die Ableitung des Jordans, die auf der arabischen Gipfelkonferenz beschlossen wurde, ist mit schwierigen technischen Problemen verbunden, kann das Jordanprojekt nur teilweise beeinträchtigen. Mit der Durchführung kann man erst im Mai dieses Jahres beginnen, wobei man mit einer Bauzeit von mindestens fünf Monaten rechnen muß.

Israel wird sich einer Jordanableitung auch mit militärischen Mitteln widersetzen, und es ist anzunehmen, daß dieser Plan ausgeführt wird, zumal in diesem Fall der Westen Israel unterstützen wird.

In Israel nimmt man an, daß aus den oben genannten Gründen keine ernste arabische Reaktion zu erwarten ist. Statt dessen wird Syrien entweder die Nordgrenze ,;erwär-men“, wobei es eventuell zu lokalen. Grenzzwischenfällen kommen kann. Außerdem besteht die Möglichkeit verstärkter Infiltrantenaktionen. Also steht der Inbetriebnahme des israelischen Jordanbewässerungsprojekts nichts Ernstes im Weg.

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