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Die Berlinale gibt mit dem Hauptpreis an den iranischen Film "Nader and Simin, A Seperation“ einmal mehr ein politisches Statement ab.

Lange Zeit spürte man in diesem Berlinale-Jahrgang Frustration. Darüber, dass die gerade einmal 16 Wettbewerbsbeiträge kaum forderndes oder innovatives Weltkino waren, und dass diese Berlinale seltsam glanzlos wurde: Festivalchef Dieter Kosslick wirkte müde, man spekuliert nach seinem zehnten Jahr an der Spitze gar über seinen Rückzug. Die Stars blieben mit wenigen Ausnahmen der Berliner Winterkälte fern, und auch die großen Regisseure, die neue Werke fertig hätten (von Woody Allen bis Terrence Malick), gehen damit lieber im Mai nach Cannes. Die Berlinale hat mit ihrer 61. Ausgabe gezeigt, dass sie immer mehr zum lokalen Festival wird; viele der gezeigten Beiträge hatten deutsche Produktions-Partner an Bord. Mit dieser Politik kann die Filmschau auf lange Sicht zwischen Venedig, Toronto und Cannes zerrieben werden.

Was bleibt, ist das Alleinstellungsmerkmal des Festivals, sich um politische Anliegen zu kümmern. Die Berlinale hatte mit Jafar Panahi jenen iranischen Regisseur in die Jury geladen, der im Iran wegen seiner systemkritischen Filme im Gefängnis sitzt. Demonstrativ blieb sein Jurystuhl leer, nur um die von Isabella Rossellini geführte Jury letztlich dazu zu bewegen, einen iranischen Wettbewerbsbeitrag zu prämieren.

"Nader and Simin, A Separation“ von Asghar Farhadi (Goldener Bär und die Darsteller-Preise) hat zwar nichts von der scharfen Kritik, die Panahis Filme dominieren, und doch ist die Auszeichnung ein politisches Statement: Es geht um eine Ehescheidung in diesem Film, doch "Nader and Simin, A Seperation“ taucht auch ein in moderne Lebenswelten einer unbekannten Gesellschaft.

Gut versteckte Systemkritik

Blutgeld, Religion, Ehrlichkeit und die Lüge packt Farhadi wie selbstverständlich unter einen Hut; er findet das richtige Erzähltempo, und seine Systemkritik am Iran ist so gut versteckt, dass nicht einmal die iranischen Zensurbehörden daran etwas auszusetzen hatten und den Film für die Berlinale freigaben. Farhadi schilderte die Situation, mit der Filmemacher im Iran konfrontiert sind: Was die Zensur angeht, müsse man "bestimmte Dinge im Kopf haben und beachten.“ Das kann leicht zur Selbstzensur führen; immerhin handelt es sich bei Farhadis Film um eine der qualitativ besten Arbeiten dieses Wettbewerbs, Systemkritik hin oder her. Eine Qualität an der andere Mitbewerber grandios scheiterten:

Sei es nun das hanebüchen zusammengesetzte Sozialdrama "Yelling to the Sky“ von Victoria Mahoney, das durch seine Handkamera schwindelerregende Tschernobyl-Drama "An einem Samstag“ von Alexander Mindadze, die angestrengte Shakespeare-Verfilmung "Coriolanus“ von Ralph Fiennes oder Andres Veiels "Wer wenn nicht wir“, der etwas konzeptlos Ursachenforschung zur Vorgeschichte der RAF betreibt - sie alle hätten im Wettbewerb eines A-Festivals keinen Platz verdient.

Erfrischend hingegen Miranda Julys "The Future“, ein seltsam gelassener Beziehungsfilm, den die US-Regisseurin in Personalunion von Regie, Drehbuch und Hauptdarstellerin gedreht hat. Es geht um die Frage, wie lange eine Beziehung Bestand haben kann. Ein Paar Mitte 30 will durch die Adoption einer sterbenskranken Katze endlich Verantwortung im Leben übernehmen; July macht sich den surrealen Spaß, die Katze selbst als Kommentator einer sterbenden Beziehung einzusetzen.

Ungarisches Meisterwerk

Zumindest ein Meisterwerk bot diese Berlinale: "Das Turiner Pferd“ des ungarischen Filmkünstlers Béla Tarr (Großer Preis der Jury). Der Film erzählt in soghaften Schwarzweiß-Bildern die Geschichte jenes misshandelten Pferdes, dem Friedrich Nietzsche 1889 in Turin um den Hals fiel, bevor er den Verstand verlor. Zweieinhalb Stunden lang folgt Tarr dem wortkargen Bauern, dem das Pferd gehört; Tarr zeigt eine über sechs Tage andauernde umgekehrte Schöpfungsgeschichte: Die eintönige Wiederholung des immer gleichen Alltags fungiert hier als Metapher für die drohende Apokalypse. Mit jedem Tag wird das Dasein des Bauern schlimmer, bis das Wasser ausgeht und schließlich das Feuer. Am siebten Tag ist kein Gott mehr da, um es Licht werden zu lassen. Selten hat ein Film die Endlichkeit des Menschen und der Welt furchterregender geschildert.

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