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De Gaulle ist da - was nun?

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Bei der Rückkehr de G a u 11 e s ans Steuerrad des französischen Staates handelt es sich nicht um eine Machtergreifung, sondern um eine Uebergabe der Macht. Der General hat keine Rebellion inszeniert, um an die Macht zu kommen, sondern die Republik hat nur die Macht in seine Hände gelegt, weil sie sich einer Rebellion nicht gewachsen fühlte, welche Dritte unter Berufung auf de Gaulle angezettelt haben. Frankreich ist in einer paradoxen Lage: Zwei Lager, die sich zum Bürgerkrieg rüsteten, haben den gleichen Mann an die Macht getragen, und offensichtlich glaubt jedes der beiden Lager, damit das andere übertölpelt zu haben.

Genau genommen sind es sogar drei Lager, die heute hinter de Gaulle stehen. In Frankreich haben sich die die Republik tragenden nichtextremistischen Parteien von der Rechten Pinays bis hinein in die sozialistische Führung resigniert entschlossen, die Macht an de Gaulle zu übergeben. Ein ausgesprochenes Sicherheitsr bedürfnis hat sie dazu veranlaßt: sie trauen nur noch dem General zu, die Armee und die ebenfalls unsicher werdenden Polizeitruppen und die „zivilen“ Rebellen in Algerien und Korsika zu zähmen. Diese Rebellen hingegen und die von ihnen mitgerissenen Offiziere erwarten von de Gaulle genau das Gegenteil: daß er sie nämlich bei einer Revolution, bei ihrer „nationalen Revolution“, anführe. Und drittens gibt es auch noch die zahlreichen Mohammedaner, in Algerien sowohl als in Marokko und Tunesien {selbst ein Repräsentant des algerischen Maquis, der in der Schweiz sitzende Ferhat Abbas, hat sich in diesem Sinne geäußert), die von de Gaulle mehr Verständnis für ihre Emanzipations- und sogar Unabhängigkeitswünsche erwarten. Bei so widersprüchlichen Hoffnungen kann für einen Teil der heutigen Anhänger de Gaulles eine bittere Enttäuschung wohl kaum ausbleiben.

Aber das ist nicht die einzige Hypothek, mit der de Gaulles Regierung der „nationalen Einheit“ von Anfang an belastet ist. Es gibt auch politische Gruppen, die jetzt schon gegen ihn stehen. Jener Teil des Rechtsextremismus, der am Vichy-Staat mitmachte und dem General jenen blutigen Bürgerkrieg nicht verzeihen kann, der 1944/45 in seinem Namen gegen die „Kol-laborationisten“ geführt wurde, fällt dabei allerdings weniger ins Gewicht. Nicht nur stellt er an sich schon eine relativ kleine Minderheit dar, sondern er hat auch zahlreiche Verluste durch Ueberläufer zu verzeichnen. Die „Ultras“ in Algerien, welche das treibende Element beim Aufstand gegen die legale Zentralgewalt in Paris sind, sind nämlich ein höchst eigenartiges Gemisch. Wohl steht der aus dem Gaullismus entstandene „Linksfaschismus“ — repräsentiert von Soustelle. einem Renegaten der traditionellen humanitären Linken — im Vordergrund. Es finden sich jedoch gleich daneben Leute aus dem Vichy-Lager, bei denen der Haß gegen die Republik die Abneigung gegenüber dem Befreiergeneral deutlich überwiegt und die de Gaulle gerne als Rammbock benutzen.

Gewichtiger it darum der Widerstand, der sich gegen die Gaulle auf der alten Linken regt. Die „kleinen Leute“ nämlich - Arbeiter, kleine Angestellte und Beamte - reagieren diesseits und jenseits des Mittelmeeres ganz verschieden. In Algerien stellen sie, die ihre Existenz von einer liberaleren Politik gegenüber der algerischen Emanzipationsbewegung bedroht fühlen, das Hauptkontingent der „Ultras“ und damit auch der „Vive-de-Gaulle!“-Rufer, In Frankreich hingegen hat es sich der General gerade dadurch bei ihnen verscherzt, daß er dem schon in

Soustelle war jedoch nie Kommunist, wie in Nr. 22 behauptet wurde. . • sich zusammensinkenden Aufstand der „Ultras“ in Algier durch seinen moralischen Beistand neue Kraft verlieh. Die von den Sozialisten Lacoste und Mollet vor zwei Jahren so erfolgreich vollzogene Einschmelzung der „kleinen Leute“ des Mutterlandes in den Kolonialnationalismu hat dem Alltag nicht standgehalten. Die Teuerung, die sich ständig vermehrende Zahl de? Gefallenen, das lange Fernbleiben des mobilisierten Sohnes oder Gatten hat in den letzten acht Monaten einen Stimmungsumschwung bewirkt: Man hat den Algerienkrieg satt und möchte, daß er um jeden Preis ein Ende nimmt.

Gewiß gibt es auf der französischen Linken einzelne Köpfe, die sich früherer, recht vernünftiger Aeußerungen de Gaulles zum Kolonialproblem entsinnen und in ihm den einzigen Mann sehen, der den „Ultras“ in Algerien drüben eine Aenderung der Kolonialpolitik aufzwingen könnte. Für die Massen jedoch ist er ein Gefangener der Generäle und der kolonialen Politiker. Nichts zeigte das deutlicher als die Demonstration für die Republik vom 28. Mai auf der klassischen Aufmarschstraße der Linken zwischen der Place de la Nation und der Place de la Republique in den Pariser Arbeitervierteln. Sozialisten, Radikale und Volksrepublikaner hatten sie organisiert (mit Erlaubnis des sozialistischen Innenministers). Zu dem erstaunlichen Aufmarsch von gut 150.000 Menschen wurde sie aber erst durch die ungebetene Teilnahme der Kommunisten. Das ..Nieder mit de Gaulle/“ (von den Studenten in ein „De Gaulle ins Museum!“ variiert) kam allerdings sichtlich auch den sozialistischen und christlichen Gewerkschaftern unter den Teilnehmern aus dem Herzen. Und die Rufe „Volksfront!“, denen die kommunistischen Funktionäre geschickt das harmlosere „Einheit!“ entgegensetzten, zeigte, was sich da im Zeichen des Widerstandes gegen de Gaulle anbahnen kann. Mendes-France und Mitterand marschierten für sich; sozialistische Abgeordnete jedoch hatten sich beim Kommunistenführer D u c 1 0 s und bei T h 0 r e z' Gattin eingehakt. Es gibt zu denken, daß diese Demonstration an Aufgebot der Massen nicht nur alle Pariser Demonstrationen für de Gaulle in den Schatten stellte, sondern auch alle Massenaufgebote der Weißen Algeriens.

Wie bedenklich diese Verhärtung auf der Linken in Frankreich und auf der Rechten in Algerien ist, wird vor allem vor dem Hintergrund der Kapitulation P f 1 i m 1 i n s deutlich. Die Regierung Pflimlin war der Versuch, der Mitte zwischen den Extremen wieder ein Eigengewicht zu geben, ohne dafür den ambivalenten Mythos de Gaulle in Anspruch zu nehmen. Aber die Sünden des parlamentarischen Regimes während der vergangenen Jahre rächten sich. Es zeigte sich, daß dieses außer der Legalität kaum mehr etwas hinter sich hatte. Und außerdem erwies sich, daß der elsässische Ministerpräsident nicht die im In- und Ausland erwartete persönliche Durchschlagskraft besaß, um der Republik neue Kraft zu geben. Er hat selbst nach seiner Kapitulation festgestellt: „J'ai ete di-passe...“ („Ich wurde überrannt.“) Mit dem „katholischen Mendes“ war nichts — es fehlte Pflimlin die Unbedingtheit des Mannes, mit dem er so oft verglichen worden ist und die vielleicht die Waagschale noch hätte herunterdrük-ken können. Er hatte wohl die Kraft, in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai vor den Straßenaufläufen in Algier nicht umzufallen, wie das Guy Mollet an dem fatalen 6. Februar 1956 passiert war. Aber nachher fiel Pflimlin einfach nichts mehr ein. Die Republik erwies sich als ein entleertes Gehäuse, das sich selbst aufgab. Das wird seine Folgen haben — auch wenn de Gaulle die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie achten wird.

Das Gefährliche nämlich scheint uns weniger de Gaulle zu sein als das, was nach ihm kommt. Enttäuscht er die so mannigfachen und verschiedenartigen Hoffnungen, die in ihn gesetzt werden, so wird eine bittere Enttäuschung die Folge sein. Heute ist eine Volksfront nicht möglich — dann aber wird sie möglich sein. Die Kommunistische Partei könnte sich keinen besseren Anstoß wünschen, um aus der Isolierung und Erstarrung loszukommen, in die sie in Frankreich nicht erst mit dem Ungarnaufstand geraten ist. Sogar ein durch und durch für de Gaulle eingestelltes Pariser Blatt wie der „Combat“ hat das eingesehen: „Wenn de Gaulle für einen recht langen Zeitraum an die Macht zurückkehren würde, so wäre zweifellos ein bekanntes Phänomen die Folge: Nach dem bei solchen Dingen üblichen Gesetz würde sich im Land langsam ein Stimmungswechsel vollziehen. Auf eine Fünfte Republik (de Gaulle) von morgen könnte dann recht gut übermorgen eine Sechste Republik von volksdemokratischem Typus folgen.“ Das Blatt sucht dann allerdings seine Leser gleich mit dem Hinweis zu beruhigen, daß General de Gaulle nicht den Ehrgeiz habe, „noch viele Kapitel der Geschichte zu schreiben“. ,'

Es ist jedoch fraglich, ob man de Gaulle einfach für einen kurzen Augenblick holen kann, damit er den Polizisten spiele Das „Experiment de Gaulle“ kann Folgen haben, an die gewisse Zauberlehrlinge noch nicht zu denken scheinen.

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