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Nach Algier

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Seit seiner Rückkehr an die Macht steht de Gaulle vor dem gleichen Dilemma: will er Frankreich jene Stellung in der Welt zurückgewinnen, die er seinem Lande für angemessen hält, so muß er zuvor den Algerienkrieg beenden; dieser Krieg läßt sich jedoch, da der immer wieder angekündigte Waffensieg ausbleibt, nur durch Verhandlungen mit? dem Kriegsgegner, also dem FLN.-.beenden; solche Verhandlungen aber drohen den innerfranzösischen Bürgerkrieg auszulösen. Hat sich daran etwas seit dem zweiten Putsch von Algier geändert?

Auf die Gefahr hin, als Spielverderber angesehen zu werden, müssen wir entgegen der landläufigen Meinung feststellen: nein. Gewiß, die Zentralgewalt in Paris hat einiges unternommen, was jenen Bürgerkrieg unmöglich machen soll. Zum Teil sind es personalpolitische Maßnahmen: Vordergrund-Akteure der „Ultras“ wurden verhaftet und unter Anklage des Hochverrats gestellt; Offiziere wurden strafversetzt. Zum anderen Teil handelt es sich um institutionelle Reformen, bei denen erst abzuwarten ist, wieweit sie praktisch überhaupt durchgeführt werden können: die Auflösung der „Territorialeinheiten“ und der Dienststellen für „Psychologische Aktion“ der Armee wurde beschlossen; desgleichen dekretierte man die direkte Unterstellung der bisher praktisch autonomen Verwaltung Algeriens unter die Pariser Büros.

So spektakulär das alles auch gewirkt haben mag — man tut gut daran, es. in seiner Wirksamkeit nicht zu überschätzen. Gerade im Ausland hat man in de Gaulles Verhalten staatsmännische Weisheit erkennen wollen: den Putsch „auf die weiche Tour“ zu liquidieren sei klüger gewesen als Härte. Man übersieht dabei jedoch, daß Frankreich gerade deshalb in den Zustand eines latenten Bürgerkrieges schlittern konnte, weil, seit Guy Mollet am 6. Februar 1956 in Algier Tomaten an den Kopf bekam, alle französischen Regierungen diese „weiche Tour“ optiert haben. Ob de Gaulle nun nichts mehr tun konnte oder tun wollte — im vorfaschistischen“ Klima Frankreichs dürfte seine relative Milde ihr Ziel verfehlen. Ein sofortiges hartes Zuschlagen bei Ausbruch des Putsches hätte klärend wirken können; die nachträglichen administrativen und juristischen Maßnahmen, nachdem die Ultras vorder Armee kapituliert hatten, scheinen eher „vergiftend“ zu wirken.

Ein Beispiel. Was in einem der beiden Lager, mit denen de Gaulle rechnen muß — dem der Ultras — vorgeht, kann vorläufig noch nicht überblickt werden. Über die Stimmung im anderen Lager, dem der Armee jedoch, konnten wir uns für einen begrenzten, aber typischen Ausschnitt ein Bild machen. Die Gegend von Toulouse mit ihren großen Truppenkonzentrationen (vo; allem auch an „Paras“) ist das „französische Potsdam“; sie ist das Bindeglied zwischen der Algerienarmee und dem Mutterland. Mehr noch als die Kürzung der Kredite für die Ausbildung der „Paras“ hat hier die Auflösung der „Psychologischen Aktion“ mit ihren angeblich Mao Tse-tung entlehnten Methoden des „totalen Krieges“ verbitternd gewirkt: die Offiziere haben offensichtlich das Gefühl, man schlage ihnen die einzige Waffe aus der Hand, mit der sie den FLN schlagen könnten. Es wurde uns gesagt: „De Gaulles Maßnahmen waren zu schwach, als daß er die Armee wieder in den Griff bekommen hätte; sie waren jedoch stark genug, um im Offizierskorps eine Einheitsfront gegen ihn zu schaffen. Wer vor dem Schlag gegen die .Psychologische Aktion' noch für de Gaulle war, ist es heute nicht mehr.“

Und unser Gewährsmann fuhr fort: „Das will natürlich nicht heißen, daß es unter den französischen Offizieren nur noch Ultras gebe. Aber die, die es nicht sind — ich denke dabei insbesondere an die Offiziere in den internationalen Stäben —, werfen de Gaulle ja gerade das Gegenteil dessen vor, was den Ultras am General nicht paßt: ist es für die Ultras zuwenig nationalistisch, so ist er es für diese zu viel. Die einen fürchten, daß de Gaulle Algerien .liquidiert', die anderen fürchten, daß er uns mit Amerika entzweit und das Land außenpolitisch isoliere und in Abenteuer verwickeln könnte. Nicht wahr, auf deutsch nennt man das doch .sich zwischen alle Stühle setzen' ...“

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