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Der private Briefwechsel zwischen Pius IX. und Viktor Emanuel II.

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Bearbeitet von P. Pietro Pirri SJ., herausgegeben von der Fakultät für Kirchengeschichte der gregorianischen Universität im Rahmen der Sammlung: Miscellanea Historiae Pontificiae. 2 Bände: t »La Laicizzazione dello Stato Sardo (1848—1856)" — II. „La Questione Romana (1856—1864)". 1. Teil: Text, 2. Teil: Dokumente

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Bearbeitet von P. Pietro Pirri SJ., herausgegeben von der Fakultät für Kirchengeschichte der gregorianischen Universität im Rahmen der Sammlung: Miscellanea Historiae Pontificiae. 2 Bände: t »La Laicizzazione dello Stato Sardo (1848—1856)" — II. „La Questione Romana (1856—1864)". 1. Teil: Text, 2. Teil: Dokumente

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.Der Titel des Werkes ist eigentlich zu eng gefaßt, auf alle Fälle beim Band über die „Römische Frage". Wie der Verfasser nämlich sehr treffend bemerkt, wird das Draxha vom Untergang de Totere Temporale nicht nur von den beiden Hauptdarstellern, Pius IX. und Viktor Emanuel II. beherrscht, sondern in erster Linie auch vom „Regisseur", Napoleon III. Es sind daher unter den vielen Aktenstücken auch etliche persönliche Brief Pius’ IX. an Napoleon III. abgedruckt. P. Pirri »teht als Bearbeiter einer Aktenveröffentlichung bescheiden im Hintergrund, in Wirklichkeit ist er der Autor eine hochbedeutenden, historischen Werkes.

Mit Recht betont der Rezensent der „Rivista »t rica Italiana", daß es sich beim vorliegenden Werk um eine der wichtigsten Arbeiten über das Italienische „Risorgimento" handelt. Zum erstenmal werden Akten des vatikanischen Archivs aus der Zeit nach dem Beginn des Pontifikats von Pius IX. (1846) verwertet bzw. veröffentlicht. Heute noch sind die von der Einigungsbewegung aufgewühlten Leidenschaften nicht zur Ruhe gekommen; die Wurzeln aller modernen politischen Probleme Italiens liegen letztlich im Risorgimento. Eine Aufhebung der langen Schutzfrist des vatikanischen Archivs (ab 1846), würde daher nicht in erst' y Linie der historischen Forschung, sondern vor allem einer leidenschaftlichen, politischen Polemik zugute kommen. Es fehlt in Italien nicht an laiizistischen Stimmen, die P. Pirtis Arbeit scharf kritisieren, „er habe eben nicht alles veröffentlicht". Solche Stimmen beweisen eben, daß die Bitterkeit der damaligen Auseinandersetzung noch nicht überwunden ist. P. Pirris Schilderung der Methoden, mit denen die weltliche Herrschaft des Papstes beseitigt wurde, ist nur Geschichte und keine Polemik, denn seit 1929 hat ja der Heilige Stuhl im Lateranvertrag den italienischen Staat anerkannt. Aber gerade auf Grund des auch in die Jüngste, republikanische Verfassung aufgenommenen Läteranvertrages verlangt die Kirche vom italienischen Staat einen besonderen Schutz, der ihr früher durch die Exekutive des Kirchenstaates gewährt wurde. Diese Forderungen der Kirche • n den italienischen Staat, die gerade seit dem Sturz des Faschismus und der Rückkehr zur demokratisch-parlamentarischen Regierungsform be-son- älers fühlbar geworden sind, bedingen das immer wieder bemerkbare Aufflammen des Antikleri- kalismus. (Vgl. den Aufsatz von P. Lener ST. In „Civiltä Cattolica", A. 104, Vol. IV. Seite 254.)

Einer der Hauptgründe für den unablässigen Widerstand Pius’ IX. und seines Staatssekretärs, Kardinal Antonelli, gegen die italienische Einigung, waren die Beziehungen zwischen Kirche und Staat Im Königreich Piemont-Sardinien. Diese waren »chön vor 1848 durch personelle Fragen getrübt. Der Erzbischof von Turin und ein anderer Bischof wurden von der Regierung als personae non gratae bezeichnet um! durch Demonstrationen zum Verlassen ihrer Diözesen gezwungen. Der Bischof wurde sogar schwerster sittlicher Verfehlungen be- »chüldigt, die Jedoch eine Untersuchung des Senatsk Verleumdung entlarvte. Nach 1848 erklärte dann die Regierung dem Heiligen Stuhl, daß die Absetzung der beiden Bischöfe eine conditio sine tue non für weitere Verhandlungen wäre, worauf Pius IX. natürlich nicht eingehen konnte. Darauf wurden die Verhandlungen abgebrochen. Die Regierung erließ darnach die ersten, dem Konkordat widersprechenden Gesetze und bat aber anschließend den Papst, er möge nun einen Schlußstrich ziehen und in neue Verhandlungen einwilligen. Diese begannen, aber unter der Bedingung, daß in der Präambel des neuen Konkordats ausdrücklich betont würde, daß Abänderungen der ausdrücklichen Genehmigung beider Vertragspartner bedürfen. Die Verhandlungen verliefen im Sande, denn der inzwischen ans Ruder gekommene Graf Cavour war nur daran interessiert, vor aller Welt sagen zu können, zum Heiligen Stuhl bestünden „korrekte Beziehungen“, aber in Wirklichkeit wurde die Lage der Kirche in Piemont Immer schlechter. Heute bestätigt selbst der laiizistische Rechtshistoriker C. A. J e m o 1 o, daß die damaligen piemontesischen und später italienischen Gesetzgeber dem Papst, dem Klerus und den gläubigen Katholiken „Nadelstiche" versetzten. (Vgl. zuin Beispiel dessen Aufsatz in „II Ponte”, IX, Nr. 10, Oktober 1953, Seite 1358.)

Viktor Emanuel stand der Kirchenpolitik seiner Regierung größtenteils ablehnend gegenüber, aber es gelang ihm nicht, sich des geschickten Cavour zu entledigen und ein konservatives Kabinett zu bilden. Ebenso mißlang eine gemeinsame Initiative des. Königs und der piemontesischen Bischöfe, die ein: Gesetz zu Fall bringen sollte, gemäß dem sämtliche Ordensgemeinschaften im Königreich auf-- gelöst und enteignet wurden. Pius IX. hatte für die schwierige Lage des Königs Verständnis, ebenso auch für seine Unerfahrenheit. Auch als Pius IX. nach der Verabschiedung des Gesetzes gegen die Orden alle Urheber des Gesetzes, somit auch den König, mit dem Bann belegte, rissen die persönlichen Beziehungen zwischen dem Papst und dem

Turiner Hof nicht völlig ab; Gelegenheiten waren immer vorhanden, zum Beispiel als Viktor Emanuel 1859 für die Dauer des Krieges um Lösung vom Bann bat. In den Briefen des Papstes an -den König, sogar auch nach dem Einfall in den Kirchenstaat, spürt man immer eine gewisse väterliche Wärme, die in den Briefen an Napoleon III. keineswegs zu finden ist.

Außer Cavour hatte der König damals einen noch viel gefährlicheren Feind, den republikanischen Verschwörer Giuseppe Mazzini und dessen Aktionspartei. Ein Kurswechsel der piemontesischen Politik hätte dem Haus Savoyen die Sympathien der „Moderati" in ganz Italien gekostet und die italienische Einigungsbewegung endgültig auf das republikanische Geleise abgeschoben. Gerade um einen Erfolg Mazzinis zu verhindern, gewährte Napoleon III. Cavour und Piemont- Sardinien so weitgehende Hilfe.

Gemäß der Darstellung P. Pirris war eben der französische Kaiser der Hauptschuldige an der schwierigen Lage des Heiligen Stuhles. Aus den veröffentlichten Pariser Nuntiaturberichten ersieht man sehr gut den Kampf zwischen der kirchenfreundlichen und der laiizistischen Richtung in der französischen Regierung. In den kritischen Jahren 1859—1862 versuchte Napoleon III., mit dem Abzug der römischen Garnison drohend, dem Heiligen Stuhl verschiedene Zugeständnisse abzupressen; zum Beispiel den Verzicht auf die bereits von Sardinien besetzte Romagna, oder die Ernennung Viktor

Emanuels zum päpstlichen Vikar über einen möglichst großen Teil des Kirchenstaates. Das nach der obenbeschriebenen Handlungsweise der piemontesischen Regierung!

Erst 1863 kam es dank einer Neuorientierung der französischen Italienpolitik zu einer Erleichterung der Lage des Heiligen Stuhles. Cavour hatte diese Möglichkeit gefürchtet, aber selbst nicht mehr erlebt. Um möglichst rasch zu seinem Ziel zu gelangen, hatte der piemontesische Staatsmann jedes Mittel probiert, sogar einen schmählich mißlungenen Bestechungsversuch an Kardinal Antonelli.

Ein weiterer Essay in „Realpolitik" war 1861 der Einfall in den Kirchenstaat. Cavour hatte dem Heiligen Stuhl ein Ultimatum gestellt, jedoch die Ablehnung desselben und der gleichzeitige Beginn des piemontesisch-garibaldischen Vormarsches am 8. September 1861 wurde von Cavour dem Turiner diplomatischen Korps zu einem Zeitpunkt bekanntgegeben, als Kardinal Antonelli das Ultimatum noch überhaupt nicht erhalten hatte. (Im Geiste hört man eine nur zu bekannte Stimme: ,,… seit heute morgen, 5.45 Uhr, wird zurück geschossen …) Genau am selben Tage, 82 Jahre später (1943), verkündete General Eisenhower die Kapitulation Italiens, Viktor Emanuel III. flüchtete mit Familie und Regierung vor der angreifenden Wehrmacht aus Rom und ganz Italien wurde von feindlichen Streitkräften besetzt.

Mitteleuropäische Probleme werden verständlicherweise nur flüchtig gestreift. Eine ausführliche Bearbeitung der Nuntiaturberichte aus Wien und München in den Jahren 1848—1870 wäre ein weiterer interessanter Beitrag zur Geschichte des Kampfes zwischen Recht und Gewalt.

Abgesehen von P. Pirri muß der an Italien interessierte Leser vor allem dem Heiligen Vater besonders danken, der, zur Benützung der erwähnten Archivbestände eine besondere Erlaubnis erteilt hatte.

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