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Henryk Broders Runaumschlag

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Amüsant und einigermaßen provokant zeichnet Henryk M. Broder in „Volk und Wahn” Konfliktbilder von Personen aus den neuen deutschen Bundesländern nach, die in der Diktatur Karriere gemacht hatten und nun auch in der Demokratie reüssierten, oder dabei waren, es zu tun. Bis der harte Schlag des Schicksals alles änderte: Jemand tauchte auf, der in seinen Stasi-Akten entdeckt hatte, daß der Mann die Stasi über ihn informiert hatte, ein IM, ein „informeller Mitarbeiter”, gewesen war. Selbst kein „Ossi”, weckt Broder in den ersten Abschnitten den Eindruck, für die Ost-Nostalgiker deren Vergangenheitsbewältigung beispielhaft vorvollziehen zu wollen.

Broder kommt aber bald auf das Eigentliche und sucht sich als Beweisstücke nicht die großen Fische heraus, sondern meist aus der mittleren Ebene den typischen, durchschnittlichen Deutschen. Ausnahmen sind einfach miese Wessi-Typen vom Schlag des Diether Dehrn, der sich aus Geltungssucht der Stasi anbiederte.

Ausnahmen, was die Funktionsebene betrifft, sind die integrierten und damit auch im moralischen Standard angepaßten Juden auf höchster Stasi- oder Parteiebene wie Markus Wolf, Stefan Heym oder Gregor Gysi. Diese integrierten Juden, so Broder, würden sich im Beinwaschen, im Leugnen, im Beschönigen genau so verhalten wie die Nazis. Wie sich überhaupt die Parallelen zwischen Nachkriegszeit und Wendezeit nach dem Fall der Mauer aufdrängen. Bei Schriftstellern konnte man die Erscheinung beobachten und bei Bich-tern: „Über Nacht (konnten) überzeugte Nazis zu überzeugten Demokraten mutieren, verwandeln sich 1989 die Handlanger der Diktatur des Proletariats in alerte Wachhunde der Grundrechte in der neuen Bepublik.”

Das Interesse des Autors gilt aber vor allem den moralischen Qualitäten des braven, tüchtigen, eigentlich unpolitischen Deutschen, der nach der Wende sofort im Westen Karriere machte.

Ekkehard Dennewitz etwa, der nach der Wende das Marburger Schauspielhaus übernahm und zu künstlerischem und auch finanziellem Erfolg führte. In der DDB „hatte er nicht nur als Oberspielleiter gearbeitet, er hat auch als IM Kollegen angeschwärzt.” Zwar ergibt sich aus den zitierten Akten, daß die Stasi ihn gezwungen hatte, daß er immer wieder versuchte, durch Jobwechsel dem Stasidruck zu entgehen, bis selbst die Stasi aufgab und ihn in Buhe ließ. Grund seien „Unzuverlässigkeit, sein Desinteresse, mit unserem Organ zusammenzuarbeiten” schreibt der Sachbearbeiter der Stasi. Für einen anderen wurde es „deutlich, daß dem IM die Bindung und Motivation für die Zusammenarbeit fehlen”.

Doch 1995 stehen Schauspieler aus dem Osten auf, die bei der Einsicht in ihre Stasiakten feststellen konnten, Dennewitz hätte sie bösartig beschrieben. Wird also Dennewitz seinen Job als Intendant in Marburg verlieren? Keineswegs, denn der als Gutachter bestellte ehemalige Bundesjustizminister Gerhard Jahn stellt Dennewitz einen Persilschein aus. Er sei die realsozialistische Variante eines Schindler gewesen.

Weißwäschereien aller Art, die Broder detailliert dokumentiert, lägen nicht nur im deutschen Volkscharakter. Verstehen ließe sich, in Broders Darstellung, die tieferliegende deutsche Problematik erst im Vergleich der großen gesellschaftlichen Umwälzungen dieses Jahrhunderts.

Das gleiche Schauspiel des Bein-waschens sei ja bereits nach dem Zusammenbruch des Naziregimes gelaufen, skizziert er an einigen Fällen. Denn Naziregime wie die Honeckerdiktatur seien von außen gestürzt worden, alles andere sei logische Folge.

Logisch die Verdrängung, folgerichtig der wirtschaftliche Aufschwung, unausweichlich schließlich der verlogene Trend der achtziger Jahre mit spektakulärer Trauerarbeit und Forderungen nach Holocaust-Mahnmalen. Hinter all dem stecke ja doch bloß der alte Antisemitismus, wie sich überall ausmachen lasse, von jenen, die stets gegen Israel und für die Palästinenser eintreten, bis hin zu den Mitgliedern des Stiftungsrats des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, als sie 1995 die Orientalistin und Islamistin Annemarie Schimmel mit dem Friedenspreis auszeichneten.

Natürlich kriegen auch wir Österreicher unser Schmalz, von Pasterk bis zu Hrdlicka: „Sein Mahnmal für die verfolgten Wiener Juden sollte sofort abgeräumt werden. Sie sind genug verhöhnt worden und brauchen sich nicht von einem linken Nazi post mortem weiter verhöhnen lassen.” Kurz, „die Germanisierung des Holocaust ist ein gelungener Versuch, historische Schuld in moralisches Kapital zu verwandeln, dessen Zinsen die Ausgaben für die Entschädigung der Opfer um ein Vielfaches übertreffen.”

Broder rundet seine Analyse mit Erfahrungen mit dem katastrophal schlechten Funktionieren der deutschen Bahnen, sowie mit der Telekom und der Lufthansa ab. Er schließt mit einem Aufruf: „Die Deutsche Bahn AG, die Lufthansa und die Telekom treiben weiter ihr Unwesen, als würde die Zeit stillstehen. Es liegt an uns (Deutschen), diesem Terror ein Ende zu setzen. Die Befreiung Deutschlands vom Totalitarismus ist noch nicht abgeschlossen.”

Broders Formulierungskunst besticht übrigens auch wo man nicht seiner Ansicht ist. Über Alfred Hrdlicka: „Die linken Antifaschisten sind so lange Antifaschisten, wie sie sich von keinem Juden provoziert fühlen.” Über Wiens Problemlösung: „Und dann werden die Wiener Tauben gleich zwei Mahnmale haben, die sie im Tiefflug zuscheißen können.”

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