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Ist die Bombe ein ausgereiztes Thema?

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Keine große Bücherflut zu den Themen Atombombe, Atomkrieg, Hochrüstung zum 50. Jahrestag des Abwurfes der ersten Atombombe. Wenige Neuerscheinungen. Die eine oder andere Neuauflage. Seit der Debatte vor wenigen Jahren, ob die deutschen Physiker die Atombombe wirklich nicht bauen wollten oder ob ihr Nichtwollen eine Legende sei, scheint das Thema ausgereizt. Aber ist es das wirklich? Seltsamerweise machen die Autoren, die sich mit der atomaren Bedrohung befassen, um bestimmte ökonomische Aspekte der Hochrüstung auch heute noch einen großen Bogen.

Doch der Reihe nach. Der Berliner Journalist Peter Auer beschreibt, nach sovielen anderen seit „Heller als tausend Sonnen” von Bobert Jungk, in seinem Buch „Von Dahlem nach Hiroshima” noch einmal die Geschichte der Bombenbauer. Er hat viele Fakten zusammengetragen. Sympathisch berührt, daß er Otto Hahns oft stiefmütterlich behandeltem Mitarbeiter Fritz Straßmann die diesem gebührende Aufmerksamkeit schenkt. Weniger sympathisch sind mir seine öfters penetrant moralisierenden „Glanzlichter”. Insgesamt: Ein ordentlich recherchiertes Buch, wohl vor allem für Ostdeutschland bestimmt, wo möglicherweise noch Nachholbedarf An Information über den Weg zur ersten Atombombe besteht.

Die Perspektiven, aus denen das Thema nun seit 50 Jahren betrachtet wird, haben sich relativ früh herausgebildet. Die wichtigste Folgerung aus dem Einsatz der Atombombe zogen bereits die ersten Kommentatoren noch unter dem Eindruck der Nachricht von der Zerstörung Hiroshimas: „Nun ist der Krieg unmöglich geworden!” Daran hat sich, was den Krieg zwischen Atommächten betrifft, in 50 Jahren nichts geändert.

Als der amerikanische Oberbefehlshaber in Fernost, MacArthur, 1951 im Koreakrieg Präsident Tru-man den Einsatz der Atombombe gegen China abzupressen versuchte, war der Atomkrieg allerdings näher als jemals vor- oder nachher. Peter Auer gelingt das etwas fiese Kunststück, die blitzartige und voll gerechtfertigte Absetzung McArthurs als kleinen Bacheakt für frühere Demütigungen Trumans durch die Militärs darzustellen: „Anders gesagt: Erst ich, dann ihr! Der kleine Kleidertrödler aus Missouri hatte seine Lektion begriffen...”

Die ethische Perspektive des Atomkrieges wurde wohl von Günther Anders in seinem berühmten Briefwechsel mit dem Piloten Claude Eatherly am grundsätzlichsten und radikalsten herausgearbeitet. Eatherly, der den Angriff auf Hiroshima als Wetteraufklärer vorbereitet hatte, wurde mit seinen Gewissensqualen unbequem und in eine geschlossene Anstalt eingeliefert. Der Briefwechsel liegt unter dem Titel „Hiroshima ist überall” wieder vor. Das Buch enthält auch Anders' „Rede über die drei Weltkriege” aus dem Jahr 1964.

Was bei Anders (etwa im Begriff des atomaren Holokaust) als Ansatzpunkt vorhanden war, wurde später von anderen manipulativ zweckentfremdet. Die potentielle atomare Bedrohung wurde in einer üblen Volte auf eine Ebene mit dem historischen Holokaust befördert und zur Aufrechnung der Nazischuld gegen die „Schuld” des Atomwaffeneinsatzes gegen Hiroshima und Nagasaki mißbraucht. Dabei wurde die denn doch nicht ganz unbedeutende Tatsache unter den Tisch befördert, daß die USA Grund zur Befürchtung hatten, Hitler könnte ihnen mit der Atombombe zuvorkommen.

Daß der Einsatz der Bombe am 6. August nicht mehr zwingend notwendig war, kann als gesichert gelten. Aus vielen amerikanischen „fliegenden Festungen” war ein Teil der Bewaffnung entfernt worden, um mehr Treibstoff laden zu können, da die Besatzungen keine japanischen Jäger mehr zu Gesicht bekamen. Britische Schlachtschiffe hatten stundenlang japanische Küstenstellungen mit Trommelfeuer eingedeckt, ohne daß auf japanischer Seite ein'Schuß fiel. Japan war kapitulationsreif.

Es ging den USA freilich nicht nur um die Vermeidung der Opfer, die bei der Invasion auch eines bereits / geschlagenen Japan zu erwarten waren. Es ging ihnen darum, den Krieg gegen Japan zu beenden, „bevor die Rivalin Sowjetunion ihre Ansprüche auf Mitsprache in Ostasien geltend machen konnte” - so Wieland Wagner von der Universität Freiburg in der von Michael Salewski herausgegebene Aufsatzsammlung über „Das Zeitalter der Bombe - Die Geschichte der atomaren Bedrohung von Hiroshima bis heute”.

Im ehemaligen Jugoslawien sehen wir es wieder: Der Ausbruch eines Krieges bedeutet den Abschied von der Humanität. Daher kann man die - allfällige - Überhärte der Alliierten in der letzten Kriegsphase auch dann, wenn dabei politische Überlegungen im Spiele waren, nicht einmal im entferntesten auf eine Stufe mit den Verbrechen der Nazis stellen, die den Krieg angezettelt und den größten Genocid der Geschichte in Gang gesetzt hatten. Diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg ausgelöst haben, tragen die Verantwortung für die 55 Millionen Toten. Die Tendenz hinter den diversen Gleichsetzungen und Aufrechnungen ist überdeutlich. Sie zielt auf Relativierung der Naziverbrechen. Im übrigen haben auch mit den Städtebombardements nicht die Alliierten, sondern die Deutschen begonnen. Zuerst kamen Belgrad, Rotterdam, Coventry - dann Hamburg, Köln, Berlin.

Die Neuauflage seines Briefwechsels mit Eatherly gibt Gelegenheit, sich zu vergewissern, daß sich die Aufrechner keinesfalls auf Günther Anders berufen können.

„Das Zeitalter der Bombe” dokumentiert, wie das Vorhandensein der Atombombe frühzeitig zum Gewissensproblem für einen Teil der Wissenschaftler und Politiker wurde. Diese Gewissensprobleme werden gerne, wenn auch nicht immer so grobschlächtig wie bei Peter Auer, gegen jene ins Treffen geführt, die über den Abwurf der ersten Bombe entschieden (für die Vernichtung Nagasakis gibt es keine Entschuldigung), statt gerade anhand der Tatsache, daß solche Bedenken geäußert werden konnten, den Unterschied zwischen Nazideutschland und den westlichen Alliierten darzustellen.

„Das Zeitalter der Bombe” dokumentiert denMangen Weg von den Skrupeln und vom Schauder über Hiroshima und Nagasaki zum Wahn, Atomkriege seien führbar, weiter zum atomaren Patt und in einen Rüstungswettlauf, in dem, so Mitautor Reinhard Wolf, allein die USA 1967 bereits 32.500 Atomsprengköpfe angehäuft hatten.

Dafür werden in diesem Buch viele kluge Erklärungen angeboten. Bloß eine nicht: Der Rüstungswettlauf erwies sich für die sowjetische Mangelwirtschaft als katastrophal.

Hingegen stiegen die Verteidigungsausgaben der USA allein in den achtziger Jahren vom mehr als Doppelten auf fast das Dreifache des Produktionswertes der Automobilindustrie. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich Aircraft and Missiles betrugen lange Zeit mehr als ein Fünftel der gesamten Ausgaben der US-Industrie für F&E. Das Budget des Pentagon war seit den fünfziger Jahren stets größer als die Nettogewinne sämtlicher Unternehmen zusammen.

Würden diese unerhörten Ausgaben ersatzlos wegfallen, wären die Folgen für Konjunktur und Beschäftigung nur mit denen eines Ver-schwindens der gesamten Autoindustrie und eines Großteiles der vom Individualverkehr lebenden Wirtschaftszweige vergleichbar.

Allein die Tatsache, daß dabei keine Knappheitssituation bei zivilen Gütern entstand, qualifiziert die Rüstungsindustrie zum Aggregat zur Entsorgung überschüssiger Produktivkraft. Während sich die Sowjetunion ausblutete, konnte in den westlichen Industriestaaten die heutige, durch Überproduktion und Arbeitslosigkeit gekennzeichnete Situation um Jahrzehnte hinausgeschoben werden. Für den Westen war SDI ein gigantischer Investitionsschlucker, wobei kaum Gefahr bestand, das System könnte jemals funktionieren. Für die Sowjets war das Mitziehen ökonomischer Selbstmord.

Nach dem Pyrrhussieg über die Sowjetunion müssen sich die westlichen Industriestaaten der vom Rüstungswahnsinn verkleisterten Tatsache stellen, daß sie seit Jahrzehnten eine Entsorgungsgesellschaft sind, die menschliche Arbeitskraft, Kapital und Ressourcen vernichtet. Und zwar in ungleich gewaltigerem Maßstab als im vielgescholtenen Agrarsektor.

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