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Reise in ein ungewöhnliches Land

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Bücher über das Burgenland, Österreichs jüngstes Bundesland, gibt es mittlerweile genug, sehr viele schöne Bände mit leider oft inkompetenten Texten, meist feuilletonistisch glatt aufbereitet und ohne den inneren Zugang zu diesem Land, dessen Bewohner manchen „Restösterreichern” als Vorwand für witzlose Witze dienen, das aber auch den eigenen Menschen oft genug zum Rätsel wird.

Günter Unger muß man bescheinigen, daß er sich - schon vor dem Schreiben dieses Braches - über verschiedene Wege diesen inneren Zugang verschafft hat und daß er das eine oder andere Bätsei mit diesem Buch erklären, wenngleich nicht immer klären und lösen kann. Was soviel heißt wie: Für dieses Buch gelten die oben angeführten Vorbehalte gegenüber Burgenland-Büchern nicht, es ist optisch schön und adäquat ausgestattet, der Text ist kompetent und führt selbst den ahnungslosen Leser in jenen Bereich, der dem Kenner vorbehalten scheint. Der repräsentative Band mit dem Untertitel „Zeitreise in einem ungewöhnlichen Land” ist in der Edition Tusch, die seit einiger Zeit in Neu-dörfl ein burgenländisches Standbein hat, erschienen.

Ungewöhnlich war schon die Entstehung des Burgenlandes nach dem Ersten Weltkrieg, als die Siegermächte die innere Demolierung der Habsburger-Monarchie durch den Pariser Frieden auch äußerlich vollzogen und dem Rest, der sich Osterreich nannte, mehrheitlich deutschsprachige Gegenden Westungarns zuschlugen, freilich ohne die Städte Preßburg, Ödenburg, Güns (und andere), so daß die um die Städte liegenden Dörfer an Österreich fielen. Das bedeutete, daß den Städten das dörfliche Umfeld, den Dörfern die Urbanen Zentren fehlten. Schon diese erstaunliche Grenzziehung läßt den Untertitel des Buches gerechtfertigt erscheinen.

Dementsprechend ist auch das Buch in jenen Kapiteln, die die ersten Jahre nach 1921 darstellen, mit beeindruckenden historischen Aufnahmen ausgestattet, geprägt von der burgenländischen Dorfarchitektur, die nach 1945 fast ganz beseitigt worden ist.

Was niemand erwartet hatte, geschah in diesem kleinen Land. Das

Burgenland erwies sich als lebensfähig und konnte - quasi aus dem Nichts - nach langem Suchen eine Hauptstadt (Eisenstadt) etablieren und die für ein Gemeinwesen notwendigen Posten in Verwaltung, Bildung, Kirche, Justiz, Politik und Kultur besetzen - freilich nicht ohne die Aufnahme begabter Fachleute aus den ehemaligen Teilen der Donaumonarchie, deren Heimat ab 1918 nicht mehr Österreich war. Sie wurden in das Leben des Burgenlandes aufgenommen und in die Gesellschaft des neu geschaffenen Landes integriert.

Wer ist ein Burgenländer?

Hier treffen wir also - schon an der Wiege des neuen Bundeslandes -auf jene Problematik, die in der Folge immer zwiespältige Gefühle (je nach Einstellung) aufkommen ließ, wer denn nun eigentlich ein Burgenländer sei, bis hin zur schon vor etwa dreißig Jahren aufkommenden fremdenfeindlichen Devise (hauptsächlich gegen Künstler-Immigranten gerichtet): „Burgenland den Burgenländern!”

Freilich war das Burgenland keine Insel. Und so stellt das Buch - bildlich gut dokumentiert - einerseits die soziale Problematik der Zwischenkriegszeit dar, die hier klarerweise noch durch eine fehlende soziale Infrastruktur verschärft wurde, anderseits die Polarisierung des politischen Geschehens, die zum Ende der demokratischen Periode in der Ersten Republik führen sollte, woran Geschehnisse im Burgenland nicht unwesentlich beteiligt waren.

Man denke nur an die Schattendorfer Ereignisse und an den als

Konsequenz auf den Schattendorf-Prozeß folgenden Justizpalastbrand.

War die sprachliche und religiöse Vielfalt des Burgenlandes ein Pfeiler oder gar eine echte Antithese zur aufkommenden Badikalisierung in den dreißiger Jahren? Offenbar nicht, denn allzu- gründlich hatte man zwar im Burgenland gelernt, miteinander zu leben, aber auch, aufeinander herabzusehen, so daß der hier herrschende (scheinbare) Friede zwischen den Volksgruppen und der oft beschworene modellhafte Charakter zumeist nur auf dem Papier bestand. Die zivilisierte Art, wie man mit Minderheiten umzugehen hätte, wofür das Burgenland von ahnungslosen Schnell-Beurteilern immer wieder herhalten mußte, war wohl nur so etwas wie ein Potem-kinsches Dorf einiger ferner,, in Wien sitzender Journalisten und Wissenschaftler.

In Wahrheit waren Roma und Sinti ins Außenseitertum gedrängt, was auch die Bilder Günter Ungers

beweisen. Und wenn es auch stimmt, daß die Mobilität der Gesellschaft nach 1945, oder auch die mediale Erfassung aller Österreicher mit einer Einheits-Fernseh-Kultur sicherlich mehr Anteil an der Assimilation von Kroaten und Ungarn haben als politischer Druck, so war man von einem paradiesischen Zustand für Minderheiten dennoch sehr weit entfernt.

Noch kein Allerweltsland

In diesem Buch spürt man diesen Zwiespalt des Zusammenlebens implizit, und das wohltuend weit entfernt von den vielen optimistisch beschönigenden Burgenland-Feuilletons, die ein Bild zeichnen, von dem die Feuilletonisten wollen, daß es so sei, von dem sie aber nicht sicher sind, ob es wirklich so ist!

1938 bis 1945 gab es das Burgen-land nicht, es war aufgeteilt auf die Verwaltungseinheiten „Niederdonau” und Steiermark. Die Gründer -

väter der Zweiten Bepublik und des Burgenlandes nach 1945 hatten ein von Bomben zerstörtes und von der Roten Armee besetztes Land aufzubauen und neu zu organisieren. Und doch ist den Bildern der Zweiten Republik gemeinsam diese Aura des Aufbruchs und der Zukunftsgläubigkeit, die im Burgenland in den siebziger Jahren abgelöst wurde von einer fast explosionsartigen Entwicklung im kulturellen Bereich. In den ersten Jahrzehnten nach 1945 kam es zu verschiedenen institutionellen Veränderungen: Gründung der Diözese Eisenstadt, Überwindung des Bildungsnotstandes durch Gründung vieler Haupt- und Höherer Schulen, Handelsakademien und Höherer Technischer Lehranstalten bis hin zur Gründung der Pädagogischen Akademie 1968.

Hatte man in der Ersten Bepublik im Burgenland von der „Schulschande” gesprochen, so gab es jetzt ein flächendeckendes Bildungsangebot. Der seinerzeitige Kulturlandesrat und spätere Unterrichtsminister und Bundeskanzler Sinowatz öffnete das Land Künstlern und Publizisten, die hereindrängten, was die hier vorhandenen Intellektuellen ihre Identität neu überdenken ließ.

Der neue Umgang mit dem alten kulturellen Erbe (Haydn, Liszt, die Esterhazys und so fort) ließ neue Zentren der Kultur entstehen, eine sich im Aufbruch befindliche Jugend öffnete sich neuen Ideen, Klängen und Verhaltensformen, wie sie in Amerika, Westeuropa und im übrigen Österreich schon längst üblich waren.

Also das Ende des Liedes: ein Al-lerweltsland? Noch nicht! Noch ist das Burgenland ein unverwechselbares, dank seiner Landschaft, seiner Verborgenheit (trotz aller schnellen Ansprechbarkeit), seinen Geheimnissen und seiner Vielgesichtigkeit interessantes und ungewöhnliches Gebilde. Günter Unger hat es eingefangen in Bildern und in sparsamen, aber das Wesentliche treffenden Texten. Das Burgenland kommt in diesem Buch wirklich vor, so wie es viele Burgenländer kennen: mit Schönheiten, Fehlern, Möglichkeiten und Sternstunden. Einmal weg von den Klischees, einmal was anderes!

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