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Schwejk.. ??

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Das tschechische Volk war bislang eine weithin unbeliebte Nation. Nähere und weitere Nachbarn hatten die diversesten Ressentiments. In Wien spottete man noch lange nach dem Untergang der Monarchie iiber die „Böhm" und hielt die Tschechen für ein Volk von Schustern, Schneidern, Hausmeistern und Köchinnen. Die Sudetendeutschen sahen auf die Tschechen herab und betrachteten sie als eine Nation „zweiter Güte", eine Haltung, die auch sehr oft den deutschnationalen Juden Böhmens nicht ferne lag. Seit der Austreibung der Sudetendeutschen in den Jahren 1945 und 1946 verwandelte sich die Verachtung in ausgesprochenen Haß.

Gefühle des Hasses besaßen auch die Magyaren gegen die Tschechen, und seit dem Frieden von Trianon war es der Traum aller Magyaren von B ela Kun bis H orthy, in die Slowakei einzumarschieren und die Tschechen vernichtend zu schlagen. Auch in der slawischen Völkerfamilie hatten die Tschechen nicht nur Freunde. Die Polen verdächtigten sie als Ketzer, und den Russen waren sie überhaupt suspekt. Die Russen sahen sie gar nicht mehr als Slawen an, sondern als slawisch sprechende Deutsche. Diese Ansicht ist ndtürlich völlig falsch, enthält aber dennoch einen wahren Kern: Die Russen drückten damit nur aus, daß die Tschechen so westlich waren, daß sie ihrer Ansicht nach nicht mehr als Slawen angesehen werden können.

Tatsächlich sind die Tschechen die einzigen westlichen Slawen, die noch eine nationale Existenz besitzen. Alle Slawen, die einst östlich der Elbe siedelten — in Mecklenburg, Brandenburg, Pommern, Sachsen — sind verschwunden, indem sie restlos germanisiert wurden. Nur die Tschechen konnten sich, obwohl sic vom deutschen Volk umklammert waren, durch ein Jahrtausend behaupten. Und dies, obwohl eine Reihe von nationalen Katastrophen über dieses Volk hinwegrollte, wie die Hussitenkriege, der erste Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 und der zweite Dreißigjährige Krieg von 1938 bis 1968. Sie üb erstanden alle Katastrophen und alle Okkupationen, von den Schweden über Hitler bis zu den Russen. Sie überstanden alle Katastrophen, weil sie seit einem Jahr-tausend das Spiel vom „braven Soldaten Schwejk” zu spielen verstehen.

Dieses Spiel geht von dem Gedanken aus, daß eine kleine Nation gegen die Mächtigen dieser Welt niemals siegen könne. Ihre einzige Chance sei: zu überstehen. Denn es ist wichtiger, für ein Vaterland zu leben, als dafür zu sterben. Eine Nation, die aus lauter toten Helden besteht, lebt höchstens noch in Heldenepen weiter.

Um dieses Spiel erfolgreich durchführen zu können, muß man sich anf einen Widerstand zurückziehen, tietfo gewaltlos ist. Die Tschechen ..waren sehr oft hervorragende Soldaten, ‘ Uw beweist die Hussitenzeit und die Geschichte vieler böhmischer Regimenter der alten Monarchie, wie ja auch die einzigen erfolgreichen Feldherren der kaiserlichen Armee, die nicht Ausländer waren, aus tschechischen Familien stammten, nämlich Wallenstein und Radetzky. Aber der Kampf mit der Waffe soll nach Ansicht der Nation so weit wie möglich vermieden werden. Dagegen soll mit der Waffe der Sabotage dem Gegner so viel Schaden zugefügt werden, daß alle seine Gewalt zuschanden wird.

Die Tschechen waren und sind die Meister der Sabotage. Wenn Wallen- steih einmal, um dem bayrischen Kurfürsten offiziell zu helfen, eine Armee sendet, die keine Offiziere enthält und so langsam marschiert, daß die Franzosen Bayern erobern können, dann handelt er ähnlich wie jene Tschechen, die den russischen Tanks den Weg so wiesen, daß sie zur Bewältigung einer Strecke von fünf Kilometern zehn Stunden benötigten.

Der brave Soldat Schwejk wird in der Welt vielfach nur als eine sehr humoristische Figur angesehen. Sie ist es auch, denn der Tscheche verliert auch in den ernstesten Situationen seinen Humor nicht. (Während die Sudetendeutschen immer todernst sind, wodurch sie sich und anderen das Leben nicht immer leicht machen.) Aber in seinem Kern ist dieser Schwejk eine grandiose Heldenfigur, zeigt sie doch, wie eine kleine Nation durch einen gewaltlosen Widerstand zumindest einen Kompromiß erzwingen kann, Einen Kompromiß, der das Überleben ermöglicht. Denn: „Wer spricht von siegen, üb er stehen ist alles "

Die letzten Tage haben das hohe Lied dieses Helden Schwejk gesungen, ein umgekehrtes Nibelungenlied, da es kein düsteres Ende, sondern eine hoffnungsvolle Zukunft besitzt. Dieses Lied hat endlich das Klischee über eine Nation zerstört, das bisher durch Ressentiments völlig falsch verzeichnet war.

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