Die Zeit ist reif für Ethik

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Seit über 50 Jahren treffen einander jeden Sommer Lehrer, Erzieher und pädagogisch Interessierte zu brennenden Zeitfragen bei den Salzburger Werktagungen. Thema der diesjährigen Veranstaltung: "Heimat in einer globalisierten Welt".

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Seit über 50 Jahren treffen einander jeden Sommer Lehrer, Erzieher und pädagogisch Interessierte zu brennenden Zeitfragen bei den Salzburger Werktagungen. Thema der diesjährigen Veranstaltung: "Heimat in einer globalisierten Welt".

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Wie jede Werktagung der letzten Jahre war auch die Jubiläumsveranstaltung mit dem Generalthema "Heimat in einer globalisierten Welt" schon wenige Monate nach der Ausschreibung ausgebucht. Wie erklärt sich der Salzburger Religionspädagoge und Kuratoriumsvorsitzende der Werktagung, Professor Anton Bucher, das ungebrochene Interesse an dieser Fortbildungsveranstaltung über fünfzig Jahre hinweg? Ist die Salzburger Werktagung eine pädagogische Heimat für Lehrende und Erziehende?

"Wir haben tatsächlich so etwas wie eine Stammkundschaft, Erzieher und Erzieherinnen, die immer wieder nach Salzburg kommen. Für diese treffe das Bild von der pädagogischen Heimat sicher zu", sagt Anton Bucher und hofft, dass die Tagung aber auch für die jeweils neuen Teilnehmenden ein "Stück pädagogischer Heimat" werde.

Die leidige Geldfrage spielt auch hier, wenn auch noch am Rande, eine Rolle: "Die Sparmaßnahmen im Bildungsbereich machen auch uns zu schaffen." Die finanziellen Zuwendungen für die Teilnehmenden seien, so Bucher, zum Teil drastisch reduziert worden. Wenn das so weitergehe "mit dieser Sparpolitik", könne sich dies durchaus auch negativ auf die größte pädagogische Fortbildungsveranstaltung in Mitteleuropa auswirken.

Noch finden rund 800 Interessierte in der sommerlichen Salzburger Tagung eine Woche lang "Heimat". Wie kam es zu diesem Thema? "In den siebziger und achtziger Jahren war", so Bucher, "der Begriff Heimat eher verpönt." Der Begriff sei mit verkitschten Bildern oder sentimentaler Heimat-Literatur assoziiert worden: "Über Heimat zu sprechen galt einfach nicht als aufgeschlossen und modern." Dem aber stehe gegenüber, dass die Menschen, und ganz besonders Kinder, eine tiefe Sehnsucht, fast eine Ursehnsucht, nach Heimat hätten: "Heimweh gehöre für viele Kinder zum Schlimmsten", meint Bucher. Und Heimweh gebe es seit jeher aller berechtigten Kritik an diesem abgegriffenen Wort zum Trotz.

Dazu kommt, dass wir in einer Zeit leben, in der aufgrund ökonomischer Entwicklungen von immer mehr Arbeitnehmern immer größere Mobilität gefordert wird. Sie selbst, aber auch deren Familien und Kinder würden damit entwurzelt.

Zudem leben wir in einer Zeit, in der es über das world wide web möglich ist, sich in Sekundenbruchteilen einen Vorgang in Südkorea oder wo auch immer auf der Welt einzuklinken. Diese Globalisierung und Universalisierung habe aber auch eine Gegenbewegung ausgelöst, meint Bucher: "Die absolute Öffnung von Raum und Zeit hat bewirkt, das ist jedenfalls mein Eindruck, dass wieder mehr gefragt wird nach Heimat und nach Wurzeln. Heimat ist wieder salonfähig geworden."

Just nachdem das Kuratorium sich auf das Tagungsthema "Heimat" geeinigt habe, habe es etwa in Wien am Burgtheater einen Zyklus über Heimat gegeben. Er halte solche Zufälle "in aller Bescheidenheit" für ein Indiz dafür, dass es dem Kuratorium der Werktagung gelegentlich gelingt, wirklich am Puls der Zeit und dessen zu sein, was Menschen momentan umtreibt.

Mit der Frage, ob die "neuen Kinder" eine "neue Erziehung" brauchen, setzte sich etwa die Werktagung des Jahres 1992 auseinander. Es wurde dafür plädiert, "Kinder nicht durch die Kindheit zu hetzen, sondern elementare Kindheitserfahrungen zu schützen." Ein Jahr später erörterte Jan Uwe Rogge erstmals die Frage, ob Kinder Grenzen brauchen. Eine Frage, die zehn Jahre zuvor noch Buhrufe provoziert hätte, 1993 aber schon überwiegend positiv beantwortet wurde: Kinder brauchen Grenzen, weil diese Halt geben, und um Grenzen sprengen zu lernen.

Das "Scheitern in der Erziehung" wurde etwa 1995 offen zur Sprache gebracht. Brennende Themen also, das Salzburger Ambiente zur Festspielzeit, aber auch bekannte Referentinnen und Referenten, die "erlauchtesten Namen aus Pädagogik und Psychologie", machten gemeinsam den Erfolg der Tagung aus.

Heimat schafften sich manche Teilnehmer etwa auch dadurch, dass sie über mehrere Jahre in den gleichen Werkkreis gegangen sind, erzählt Bucher, der heuer selber einen Werkkreis zu Fragen des Ethikunterrichtes leiten wird.

Hunger nach Inhalten "Dazu kommt noch, dass Erzieher und Erzieherinnen, neunzig Prozent der Teilnehmenden sind Frauen, mit dem Klischee der reinen Praktikerinnen kämpfen, die es mit ihren Kindern einfach lieb und nett haben wollen", berichtet Bucher. Das Klischee stimmt natürlich nicht: "Sehr viele Teilnehmende haben Hunger nach geistiger Nahrung, nach Inhalten, die über die bloße Praktikabilität hinausgehen."

Ein pädagogisches Ethos zu vermitteln und zu vertreten, sei ein Anliegen über allen konkreten Fragen: Die Würde des Kindes, Anerkennung, Förderung seiner kreativen Fähigkeiten, Parteinahme für die Rechte des Kindes aber auch Betonung der Wichtigkeit der pädagogischen Arbeit seien Aspekte, die von den Verantwortlichen der Werktagung künftig auch stärker politisch vertreten werden müssten. Erzieherische Arbeit kann man nicht ausgliedern und in Billiglohnländer verlagern. Erziehung muss vor Ort geleistet werden und verdient viel mehr Anerkennung und Respekt, öffentlich und in der Zuweisung finanzieller Mittel, als das derzeit der Fall ist.

Weniger Vorurteile "Die Zeit ist reif für Ethik" ist der Titel des Werkkreises zum Ethikunterricht, den Anton Bucher leiten wird. "Mir scheint schon, dass es in der Republik Österreich dringend an der Zeit wäre, dass dieser Mittelschulversuch an momentan 76 Schulstandorten, den ich im Auftrag des Bildungsministeriums evaluiert habe, zügig ins Regelschulwesen übergeführt wird." Wie kommt der Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg zu dieser positiven Einschätzung des Ethikunterrichtes? "Aufgrund der positiven Erfahrungen die ich im Rahmen meiner Evaluation gemacht habe. Ich habe mich bemüht, an die meisten Ethik-Schulstandorte zu gehen, mit den Direktionen, Lehrerinnen und Lehrern und den Jugendlichen zu sprechen. Ich habe mir erzählen lassen, dass sich etwa das Kommunikations und Diskussionsverhalten verbessert habe. Wir haben auch empirisch nachweisen können, dass sich die Einstellungen der Schülerinnen und Schüler etwa im Bereich Ausländerfeindlichkeit zum Positiven verändert haben, also weniger Ausländerfeindlichkeit nach einiger Zeit Ethikunterricht zeigen." Noch immer gebe es den Ziehparagraphen zwei im Schulorganisationsgesetz, das eine explizit sittliche Erziehung zu den Leitaufgaben in den österreichischen Schulen gehört. Nun gab und gibt es noch immer Schulen, an denen mehr als fünfzig Prozent der Kinder oder Jugendlichen vom Religionsunterricht abgemeldet waren und Freistunden hatten. Diese Zeit solle für die ethische Bildung genutzt werden.

Sind Förderung von Toleranz oder positivem zwischenmenschlichen Verhalten nicht auch Ziele des Religionsunterrichts? Im Religionsunterricht funktioniert es auch. Aber es ist nun einmal so, dass mittelfristig davon auszugehen ist, dass wir immer mehr Schülerinnen und Schüler ohne religiöses Bekenntnis haben. In Österreich geben zur Zeit 17 Prozent der Bevölkerung kein religiöses Bekenntnis mehr an. Diese Quote ist zwar unter den Schülerinnen und Schülern nicht so hoch, aber sie steigt.

"Ethische Bildung solle zwar ein Unterrichtsprinzip sein" betont Bucher "aber wir wissen ja alle wie weit es mit diesen Unterrichtsprinzipien her ist. Es muss ein eigenständiges Fach sein, wo es explizit um ethische Fragen geht." Aber nicht nur, gibt sich Bucher überzeugt.

Sowohl für den Religions- als auch für den Ethikunterricht gilt: Die Kinder und Jugendlichen wollen herausgefordert werden. "Eine große Studie, erstellt im Auftrag der deutschen Bischofskonferenz habe ergeben", so Bucher, "dass die Akzeptanz des Religionsunterrichtes dort am größten war, wo tatsächlich gelernt und herausgefordert wurde." Und nicht nur gefragt: Was wollen wir den heute machen? Denn dann kämen als Themen nur Sekten, Drogen, Sexualität und dann wieder Sekten, und somit jedes Jahr wieder das gleiche.

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