Haut - © Foto: iStock / gpointstudio (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Die „Neutralität“ von Sexualität

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Sexualkundeunterricht sollte frei von Ideologien sein. Das wünschen sich Schulen, Eltern und Experten. Aber ist eine wertfreie Pädagogik in diesem Bereich überhaupt möglich?

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Sexualkundeunterricht sollte frei von Ideologien sein. Das wünschen sich Schulen, Eltern und Experten. Aber ist eine wertfreie Pädagogik in diesem Bereich überhaupt möglich?

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Außerschulische Vereine verbannen und eine „altersgerechte, weltanschaulich neutrale Sexualerziehung“ an Österreichs Schulen gewährleisten – mit dieser Angelegenheit befasst sich derzeit das Bildungsministerium. Den Auftrag erhielt es Anfang Juli vom Parlament. Dort war kurz nach dem Scheitern von Türkis-Blau im Unterrichtsausschuss der entsprechende Entschließungsantrag angenommen worden. Ausgangspunkt dieses Entschlusses: die Causa „Teenstar“. Der Verein nimmt für sich in Anspruch, eine „ganzheitliche“ Sexualpädagogik“ als Beitrag zur Persönlichkeitsbildung zu verfolgen. Ende 2018 waren freilich Schulungsunterlagen aufgetaucht, in denen Homosexualität als heilbare Krankheit und Selbstbefriedigung als schädlich dargestellt wurden. In Folge empfahl der ehemalige Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), nicht mehr mit „Teenstar“ zusammenzuarbeiten. Auch schlug er vor, ein Akkreditierungsverfahren für sexualpädagogische Vereine zu initiieren; Lehrkräfte sollten zudem während der Workshops anwesend bleiben müssen.

Diese Vorschläge gingen der Regierung Kurz aber nicht weit genug. Mit dem Hinweis darauf, dass es auch Beschwerden über andere Vereine gebe, forderten ÖVP und FPÖ das Bildungsministerium in einem Entschließungsantrag auf, schulfremde Personen und Vereine in diesem Bereich generell zu verbannen. Die Verantwortung sollte wieder allein bei den Lehrkräften liegen. Eine Entscheidung, die bis heute für Aufregung sorgt. Die einen argumentieren, Lehrer hätten keine adäquate Ausbildung für diese Aufgabe. Andere glauben, Kinder und Jugendliche würden ihre sexuellen Fragen eher an Personen richten, mit denen sie in keinem hierarchischen Verhältnis stehen. Eine weitere Fraktion kann zwar dem Vorstoß der Ex-Regierung Positives abgewinnen, fordert aber umfangreiche Schulungsmaßnahmen für Lehrer.

Anerkennung von Vielfalt

In einem Punkt herrscht allerdings Konsens: dass im Sexualkundeunterricht Werte und Ideologien zum Tragen kommen könnten, die der im Antrag geforderten „weltanschaulich neutralen Sexualerziehung“ widersprechen. Wenn es darum geht zu klären, was dieses „weltanschaulich neutral“ eigentlich genau bedeuten soll und wann diese Neutralität von wem verletzt wird, ist es mit dieser Einigkeit aber schnell wieder vorbei. Es beginnt mit der Forderung nach „Anerkennung von Vielfalt“, die auch die Weltgesundheitsorganisation WHO stellt. Tatsächlich gebe es mittlerweile im Bereich des familiären Zusammenlebens viele verschiedene Realitäten, weiß der Erziehungswissenschaftler Paul Scheibelhofer von der Universität Innsbruck: „Es gibt Patchwork-Familien, Alleinerzieher, Eltern, die Kinder adoptiert haben, homosexuelle Väter und Mütter, Paare, die offene Beziehungen praktizieren bis hin zu Polyamorie – aber all diese Lebensformen sind aus einer konservativen Perspektive heraus problematisch“, weiß Scheibelhofer.

Viele würden in Österreich unter Familie nach wie vor „eine Frau, einen Mann und gemeinsame, also biologisch eigene, Kinder“ verstehen. Und die letzte Regierung hätte sich mit ihrem Programm auch klar in diese Richtung positioniert. Die Grundhaltung einer modernen Sexualpädagogik wäre aber seiner Ansicht nach, sich an den tatsächlichen Lebenswelten der Jugendlichen zu orientieren. „Es geht darum zu vermitteln, dass man auch Lebensformen, die man nicht selbst wählen würde oder die Eltern gewählt haben, wertschätzen und respektieren soll. Nicht das Urteilen steht im Fokus, sondern die Akzeptanz.“

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