"Ein Sozialismus für die Reichen"

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Kritik an der Unfairness der globalen Weltordnung üben in ihren neuen Büchern der politische Aktivist NoamChomsky und der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen.

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Kritik an der Unfairness der globalen Weltordnung üben in ihren neuen Büchern der politische Aktivist NoamChomsky und der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen.

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Für eine freie Weltwirtschaft", verkündet das Plakat an der Wand. Doch das Gebäude, in dem es hängt und in dem globale Akteure des Neoliberalismus an einem Tisch sitzen, ist umstellt von Sicherheitskräften, die Demonstranten gegen das vorherrschende Wirtschaftsparadigma abwehren sollen: Diese Karikatur, erschienen in einer deutschen Zeitung anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos, würde sich auch als Illustration zu Noam Chomskys Buch "Profit over People: Neoliberalismus und globale Weltordnung" bestens eignen (siehe dazu auch Seite 2). Denn, so schreibt der Sprachtheoretiker, politische Aktivist und seit Jahrzehnten Professor am angesehenen Massachusetts Institute of Technology, "die Doktrin der freien Marktwirtschaft tritt in zwei Varianten auf. Die erste ist die den Schutzlosen aufgezwungene offizielle Lehre. Die zweite könnten wir ,real existierende Doktrin der freien Marktwirtschaft' nennen: Marktdisziplin ist gut für dich, nicht aber für mich."

In einem knappen, informativen Überblick zeigt der Autor auf, wie Großbritannien und die USA mittels protektionistischer Maßnahmen, aber auch Gewalt und staatlicher Machtausübung dafür sorgten, "dass Konkurrenten auf der Strecke blieben". Dem freien Markt redeten sie erst dann das Wort, als sie ihre eigene Position entsprechend ausgebaut und gefestigt hatten. Doch auch danach waren, so Chomsky, zumal die USA stets darauf bedacht, dass die Entwicklung in anderen Ländern "komplementär" und nicht etwa "konkurrierend" sein sollte. Über Handelsverträge wurden so die Märkte in Lateinamerika manipuliert, Brasilien gegen Argentinien ausgespielt und unter anderem der Weizenanbau in Kolumbien fast völlig ruiniert, worin wiederum die Wurzel für den Drogenanbau liegt.

Von Chomsky zitierte Untersuchungen weisen nach, dass auch Transnationale Unternehmen und Großfirmen in den meisten Fällen "ihren Wettbewerbsvorteil dem entscheidenden Einfluss regierungspolitischer Maßnahmen und/oder Handelsbarrieren verdanken."

Wie sehr westliche Unternehmen Schutz durch ihre Regierungen suchen, zeichnete erst dieser Tage wieder ein in der International Herald Tribune erschienener Artikel über die Politik des Biotechnologiekonzerns Monsanto in den achtziger Jahren nach.

Gleiche Regeln für alle hätten, so Chomsky, im internationalen Wettbewerb noch nie gegolten. Die Prozesse, die heute abliefen, lassen sich nach seinen Worten vielmehr als ein "Sozialismus für die Reichen" und "strenge Lehrsätze für die Armen" definieren. Gerade am Los der Hilfsbedürftigen aber lässt sich nach seiner Ansicht "besonders gut erkennen, wie weit wir noch von einem Zustand entfernt sind, der mit einigem Recht ,Zivilisation' genannt werden darf."

Beispiele über Armut, Todesfälle infolge an und für sich heilbarer Krankheiten und Unterernährung führt er dabei keineswegs nur aus den Ländern des Südens an. Die von ihm zitierten Schlagzeilen wie "Eins von drei britischen Babys wird in Armut geboren" aus dem Großbritannien Margaret Thatchers Ende der neunziger Jahre , ließen sich heute, zu Beginn des Jahres 2001 täglich durch den einen oder anderen Medienbericht über den Niedergang öffentlicher Einrichtungen belegen.

Gerade aber Parameter wie Gesundheit, Bildung, soziale Absicherung und ein geregeltes, mehr als nur das pure Überleben garantierende Einkommen sind für Amartya Sen entscheidend für die Beurteilung der Entwicklung von Staaten. Nicht abstrakte Zahlen wie Bruttonationalprodukt und dergleichen zählen für den aus Indien gebürtigen und heute im britischen Cambridge lehrenden Wissenschafter, der 1998 für sein Bemühen um eine Ökonomie für den Menschen mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Entwicklung, wie er sie versteht, muss den Menschen so viel ökonomische, soziale und politische Freiheit verschaffen, dass sie ihr eigenes Leben gestalten und auch am demokratischen Prozess aktiv mitwirken können.

Eine derart in Arm und Reich gespaltene Welt kann für ihn so wenig als entwickelt gelten wie Chomsky sie als zivilisiert akzeptieren will.

Profit over People. Neoliberalismus und Globale Weltordnung.

Von Noam Chomsky. Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt. 160 Seiten, Europa-Verlag, Hamburg/Wien 2000, öS 179,-/e 13,-.

Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft Von Amartya Sen. Aus dem Englischen von Christiana Goldmann. 424 Seiten, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2000, öS 324,-/ e 23,54

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