Gleichberechtigung ist auch Männersache

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Der Kampf um die Gleichbehandlung der Geschlechter wird immer noch den Frauen überlassen. Die meisten Männer verdrängen einfach, dass sie an der Aufrechterhaltung eines ungerechten Systems mitwirken.

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Der Kampf um die Gleichbehandlung der Geschlechter wird immer noch den Frauen überlassen. Die meisten Männer verdrängen einfach, dass sie an der Aufrechterhaltung eines ungerechten Systems mitwirken.

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Frauen sind in unseren Gesellschaften trotz aller Bemühungen um die Erreichung der Gleichstellung der Geschlechter nach wie vor deutlich benachteiligt. Sie verdienen trotz einschlägiger Rechtsvorschriften und häufig auch besserer Ausbildung nach wie vor weniger für gleichwertige Arbeit; sie besorgen den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit, selbst wenn beide Partner berufstätig sind; sie arbeiten häufig in schlecht bezahlten Berufssparten oder Teilzeit; sie sind in weitaus größerem Maß von Armut bedroht oder betroffen; sie sind in erschreckend großem Ausmaß häuslicher Gewalt durch Männer ausgesetzt; Prostitution und Sexindustrie bilden einen florierenden Wirtschaftszweig, der auf Unterdrückung, Versklavung, Ausbeutung und dem grenzüberschreitenden Handel mit Frauen aufbaut. Trotzdem findet das Thema relativ geringe Beachtung in der Öffentlichkeit und der Politik. Vor allem die Rolle der Männer bei der Aufrechterhaltung dieser ungerechten Gesellschaftsverhältnisse wird wenig hinterfragt. Die skandinavischen Länder haben in dieser Beziehung eine Vorreiterrolle. Schweden hat daher auch die Frage der Geschlechtergleichstellung zu einem der Schwerpunktthemen für den EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2001 gemacht. So fand zum Beispiel eine Konferenz in Örebro, einer Stadt etwa 200 Kilometer westlich von Stockholm, statt, die sich dem Thema "Men and Gender Equality" widmete. An der Konferenz nahmen Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen und von Nicht-Regierungsorganisationen aus den EU-Staaten und den Beitrittskandidaten-Ländern teil. Die Kernthese der Konferenz war, dass zur Erreichung einer tatsächlichen Geschlechtergleichstellung die aktive Mitwirkung der Männer erforderlich ist. Solange Männer aktiv oder passiv Widerstand leisten, wird Gleichstellung nicht erreichbar sein.

Die Frage ist, wie Männer dazu motiviert werden können, an diesem Ziel mitzuarbeiten. Dazu gilt es zunächst die Frage zu klären, welche Vor- und Nachteile Männer aus dem bestehenden patriarchalen System ziehen? Verallgemeinert lässt sich sagen, dass Männer materiell profitieren und sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich Macht ausüben, die durch die herrschenden gesellschaftlichen Normen legitimiert wird. Es gibt allerdings auch eine Reihe von Nachteilen für Männer. Zunächst müssen alle Männer, die nicht aktiv am Abbau der Geschlechterdifferenzen mitwirken, verdrängen, dass sie an der Aufrechterhaltung eines ungerechten Systems mitarbeiten oder dessen Bestehen tolerieren. Nebenbei bemerkt ist dies, wie überhaupt die Geschlechtergleichstellung, ein Thema, dem sich die katholische Kirche mit erstaunlicher Hartnäckigkeit verweigert. Weiters haben Männer gesundheitliche Nachteile: sie sterben um Jahre früher als Frauen und haben eine wesentlich höhere Suizidrate. Männer "versäumen" oft das Heranwachsen ihrer Kinder und haben dadurch auch geringere emotionelle Beziehungen zu ihnen. Und schließlich leiden Partnerschaften an den ungleichen Verhältnissen und bringen damit allen Beteiligten eine verringerte Lebensqualität.

Die TeilnehmerInnen der Konferenz in Örebro stellten sich davon ausgehend die Frage, wie nun die Männer dazu motiviert werden können, aktiv an der Geschlechtergleichstellung mitzuwirken? Festgestellt wurde, dass es zunächst notwendig ist, die bestehenden Ungerechtigkeiten genauer zu erforschen und Ungleichheiten deutlicher darzustellen. Einer breiteren Öffentlichkeit sind die Zusammenhänge und das Ausmaß der Geschlechterdifferenzen nicht bekannt, vieles ist auch noch nicht wissenschaftlich erhoben. Weiters bedürfte es einer Politik, die das Thema ernst nimmt und nicht weitgehend auf Frauenquoten in öffentlichen Institutionen reduziert.

Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für Gleichheit ist die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen. Dies setzt wiederum die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Partner voraus. Die Politik sollte daher auf Rahmenbedingungen hinwirken, die Frauen eine individuelle Absicherung gewährleisten und Männer dazu motivieren und in die Lage versetzen, an der Erziehung ihrer Kinder und an der Hausarbeit umfassend mitzuwirken. In den skandinavischen Ländern hat man beispielsweise festgestellt, dass die Väterkarenz einen wesentlichen Beitrag zur Gleichstellung leisten kann, weil Männer dadurch eine intensivere emotionelle Beziehung zu ihren Kindern bekommen und daher auch ein gesteigertes Interesse an der Aufteilung der Kinderbetreuung haben. Außerdem ist es sehr lehrreich und für die Partnerschaft förderlich, die Rollen zu tauschen und die Vor- und Nachteile der Kinderbetreuungs- und Hausarbeit am eigenen Leib zu erfahren. Dabei können schon kleine Projekte wichtige Beiträge leisten, wie ein Beispiel aus Schweden zeigt: In der mittelschwedischen Stadt Örnsköldsvik wurde mit Unterstützung der regionalen und lokalen Behörden sowie der Sozialversicherung Mitte der neunziger Jahre das Projekt der "Vätererziehung" gestartet. Dabei sollen angehende Väter auf die Geburt ihres Kindes und die damit einhergehenden einschneidenden Veränderungen im täglichen Leben und in der Beziehung, die von einer gewohnten Zweierbeziehung zu einer komplexen Dreierbeziehung wird, vorbereitet werden. Die "Vätererziehung" findet in kleinen Gruppen unter der Anleitung eines Mannes, der selbst Vater ist und bei der Geburt dabei war, statt. Sie ergänzt die traditionellen Formen gemeinsamer Vorbereitung der angehenden Eltern auf die Geburt. Die "Vätererziehung" beginnt etwa zwei Monate vor der Geburt und dauert bis zirka sechs Monate nach der Entbindung. In der ersten Phase geht es vor allem darum, den Männern die Bedeutung des Vaters für das Kind zu verdeutlichen, die Vor- und Nachteile der Vaterschaft zu diskutieren und auf die Geburt selbst vorzubereiten. Natürlich steht auch stets im Mittelpunkt, wie die angehende Mutter unterstützt werden kann und soll. Eine große Rolle spielen auch ganz alltägliche Fragen, etwa welche Windeln verwendet werden sollen, welche Möglichkeiten der Karenz es gibt oder ob man nun ein größeres Auto kaufen soll. Nach der Geburt bietet die "Vätererziehung" eine wichtige Möglichkeit, die Erfahrungen und Alltagsprobleme mit "Leidensgenossen" zu besprechen. Dies ist für Männer auch deshalb von großer Bedeutung, weil ihre Väter häufig die letzten Personen sind, mit denen man über die bei der Geburt gemachten Erfahrungen und über Vaterschaft sprechen könnte oder wollte.

Das Projekt der "Vätererziehung" ist überaus erfolgreich und soll nun auf ganz Schweden ausgeweitet werden. Insbesondere zeigte sich, dass angehende Väter einen großen Bedarf nach Erfahrungsaustausch und Information haben und dass die Bereitschaft, in Karenz zu gehen, deutlich anstieg. Je mehr Männer in Karenz gehen, desto größer wird die gesellschaftliche Akzeptanz und damit wächst auch die Bereitschaft der Wirtschaft, sich mit Väterkarenz und besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu befassen.

Neben Überlegungen zu Vereinbarkeit von Familie und Beruf befasste sich die Konferenz auch mit Gewalt gegen Frauen, insbesondere in der Form von Prostitution und sexueller Ausbeutung. In dem erschütternden Ausmaß dieser Form von Unterdrückung und Versklavung kommt die unterschiedliche Bedeutung der beiden Geschlechter in unseren Gesellschaften besonders drastisch zum Ausdruck. Das Thema ist nicht nur weitgehend tabuisiert, es herrschen auch untragbare rechtliche Rahmenbedingungen. Wenn Frauen, die aus ihren Heimatländern entführt oder unter falschen Versprechungen weggelockt und dann in die Prostitution gezwungen wurden, ihre Unterdrücker anzeigen wollen, werden sie in Schubhaft genommen und abgeschoben. Selbst bei groben Menschenrechtsverletzungen bleiben die Schuldigen somit oft unbestraft, weil es keine Zeuginnen mehr gibt. Es wäre daher dringend erforderlich, dass EU-weit eine Regelung eingeführt wird, die zur Prostitution gezwungenen Frauen ohne gültige Aufenthaltspapiere zusichert, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, wenn sie gegen ihre Zuhälter aussagen. Belgien ist eines der wenigen EU-Länder, in denen es eine diesbezügliche Regelung schon gibt. Begleitend müssten aber natürlich entsprechende Informations- und Schutzmaßnahmen für die Frauen ergriffen werden. Die Mitarbeiterin einer Organisation zur Unterstützung von Prostituierten in Belgien illustrierte die Situation mit drastischen Einzelschicksalen. Eine junge Albanerin, die ihre Zuhälter anzeigte und im Gegenzug ein Aufenthaltsrecht in Belgien bekam, wurde von ihren Unterdrückern entführt, nach Albanien gebracht und dort festgehalten und mehrfach vergewaltigt. Dennoch gelang ihr die Flucht nach Italien. Einer sofortigen Abschiebung zurück nach Albanien entging sie nur durch das Glück, auf einen menschlichen Polizisten zu treffen, der trotz fehlender rechtlicher Grundlage erreichte, dass sie nach Belgien zurückkehren konnte.

All das verdeutlicht, dass wir noch sehr weit von einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter entfernt sind. Zur Verbesserung dieser Situation bedarf es der Mitwirkung aller gesellschaftlichen Kräfte und insbesondere der Bereitschaft der Männer, ihre Position in der Gesellschaft und ihre Geschlechterrolle kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Die Frauen sollten sie unterstützen und nach Kräften zu verhindern trachten, dass Männer Benachteiligungen aus Gewohnheit weiterhin akzeptieren.

Der Autor ist Politikwissenschafter und arbeitet im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, Abteilung EU-Koordination.

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