Meilenstein auf halbem Weg

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Die Familienhospizkarenz ist beschlossene Sache. Ihre zwei "Erfinder", Kardinal Franz König und Michael Landau, ziehen Zwischenbilanz.

Das parteipolitische Gezänk blieb diesmal ausgeperrt. Ungewohnte Eintracht hielt Einzug in die ehrwürdigen Reihen des Parlaments: Donnerstag vergangener Woche votierten die Nationalratsabgeordneten einstimmig für die so genannte "Familienhospizkarenz". Arbeitnehmer erhalten damit ab 1. Juli 2002 Rechtsanspruch auf eine Teil- oder Vollzeitfreistellung für maximal sechs Monate, um sterbende Angehörige, Lebensgefährten oder schwer kranke Kinder begleiten zu können. Während dieser Zeit bleiben sie sozialversichert und genießen bis vier Wochen nach Auslaufen der Karenz Kündigungs- und Entlassungsschutz.

Bis zuletzt hatten SPÖ und Grüne die finanzielle Absicherung der Angehörigen gefordert, ebenso die Ausweitung der Anspruchsberechtigten auf homosexuelle Lebenspartner und die "Quasi-Schwiegereltern" in Lebensgemeinschaften ohne Trauschein. Vergeblich. Dennoch rangen sie sich in Dritter Lesung überraschend zur Zustimmung durch. Man befürworte schließlich den Grundgedanken, hieß es seitens der Opposition.

Wenn auch die Freude über den sozialpolitischen Meilenstein made in Austria überwiegt: Die Kritik an seinem größten Makel, der fehlenden existenziellen Absicherung der Betreuenden, hält an. Eine erste Entschärfung hat Sozialminister Herbert Haupt durch die Ausweitung des Pflegegeldes in Aussicht gestellt: Karenzierte Personen sollen als Vorschuss Pflegegeld der Stufe 3 (413,5 Euro monatlich) oder - wenn der zu Pflegende vorher schon bezugsberechtigt war - der Stufe 4 (620,3 Euro) erhalten. In Härtefällen seien auch Zahlungen aus dem Familienhärteausgleichsfonds denkbar, so Haupt.

Kritiker wie der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger sehen in solchen Notmaßnahmen nur Augenauswischerei, sei doch der Härtefonds mit kargen 2,2 Millionen Euro (30 Millionen Schilling) dotiert. Auch der Rückgriff auf das Pflegegeld wird bemängelt. "Hier werden zwei Dinge verwechselt", kritisiert etwa der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau. "Das eine ist die Begleitung von Menschen am Ende des Lebens, das andere ist die Pflege, die durchaus Professionalität braucht - und für die das Pflegegeld eigentlich gedacht ist." Statt dass bei der Hospizkarenz auf zweckfremde Mittel zurückgegriffen werde, plädiert er nach wie vor für die Einrichtung eines Hospizkarenzfonds im Sozialministerium, um zumindest die Existenzsicherung für die sozial Schwächsten zu gewährleisten. Liege das Einkommen unter der politischen Armutsgrenze, dem Ausgleichszulagenrichtsatz von 630,92 Euro (8.681,65 Schilling), dann sollte eine Zuzahlung bis zu dieser Höhe geleistet werden. "Die Begleitung Sterbender darf jedenfalls nicht am Geld scheitern", mahnt Landau.

Als einer der Initiatoren der "Familienhospizkarenz" gibt er sich nur ungern mit dem vorliegenden Kompromiss zufrieden - wenngleich vorerst die Freude über das rasche Zustandekommen der Regelung überwiegt: Erst im Herbst 2000 hatte er gemeinsam mit Kardinal Franz König in einem Schreiben an die Klubobleute die Möglichkeit einer Karenzierung von pflegenden Angehörigen gefordert - ebenso wie die verstärkte Förderung der Hospizarbeit, den Ausbau der Palliativmedizin und -pflege und die entsprechende Ausbildung von Ärzten und Pflegepersonal.

Dass zumindest die Hospizkarenz bereits ab 1. Juli gültiges Recht sein würde, sei doch überraschend gewesen, erklären König und Landau gegenüber der furche in einem Gespräch im kleinen Kreis. "Ich hätte nicht gedacht, dass diese Regelung ohne großes Für und Wider umzusetzen ist", zeigt sich König erfreut und lobt die einstimmige Entscheidung des Parlaments im Sinne des Gemeinwohls. Auch Landau freut sich über Österreichs "beispielgebende Vorreiterrolle" in Europa und den Parteienkonsens, "dass Menschen an der Hand eines anderen Menschen sterben sollen und nicht durch die Hand eines anderen Menschen".

Wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der in seiner Rede zur Lage der Nation die Familienhospizkarenz als "unsere Antwort auf Holland und Belgien" bezeichnete, sehen auch König und Landau in ihr eine Alternative zur Sterbehilfe. Erst vor zwei Wochen hatte das belgische Parlament für ein Euthanasie-Gesetz votiert, das noch weiter geht als sein Anfang 2002 in den Niederlanden in Kraft getretenes Pendant. Ist dort "nur" die Tötung von Sterbenskranken unter bestimmten Bedingungen legal, so dürfen in Belgien Ärzte auch dem Tötungswunsch psychisch Kranker entsprechen - sowie von Patienten, die nicht in absehbarer Zeit auf natürliche Art sterben würden.

Nicht nur Belgiens katholische Bischöfe sehen durch dieses Gesetz die Gefahr, dass Kranke einem starken Druck ihrer Angehörigen oder des Pflegepersonals ausgesetzt werden könnten. Auch Michael Landau befürchtet solche Tendenzen. "In Holland liegen Berichte vor, wonach sich alte Menschen davor fürchten, in ein Spital zu gehen, weil sie nicht wissen, ob von ihnen erwartet wird, ja zu sagen." Diesen Druck auf Patienten, Angehörige und Ärzte nicht zu erhöhen, sondern vielmehr zu nehmen, sei das erklärte Ziel von Hospizen und Palliativeinrichtungen, so Landau.

Doch wird die Frage nach aktiver Sterbehilfe tatsächlich obsolet, sobald nur das palliativmedizinische Angebot flächendeckend vorhanden ist? Beweisen nicht die Niederlande mit ihrem dichten Netz palliativer Versorgung das Gegenteil? Kardinal König zeigt sich gegenüber der furche realistisch: "Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe wird durch die verbesserte Palliativmedizin nicht verschwinden, aber es wird eine viel gelöstere Situation eintreten als etwa jetzt in der angespannten Diskussion darüber, wie man so grausam sein und Diane Pretty die Tötung verweigern konnte."

Der Fall der 43-jährigen Britin hat die Debatte um die Sterbehilfe erneut angeheizt. Ende April hatte die gelähmte Frau vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ihre Klage auf aktive Sterbehilfe verloren. Das Grundrecht auf Leben schließe das Recht auf Selbsttötung nicht ein, begründete das Gericht sein Urteil. Wenige Tage später, am 11. Mai, ist Pretty verstorben. Indes hoffen die flämischen Christdemokraten, das belgische Sterbehilfegesetz auf Basis des Straßburger Urteils doch noch zu Fall bringen zu können.

Enthäuslichter Tod

Auch wenn Österreich mit der "Familienhospizkarenz" einen anderen Weg eingeschlagen hat: Herausforderungen gibt es genug - etwa den wachsenden Pflegenotstand, die mangelnde Vernetzung palliativer Dienste oder die zunehmende "Enthäuslichung" des Sterbens: Während 80 Prozent der Österreicher zu Hause sterben wollen, verbringen immerhin zwei Drittel ihre letzten Stunden in Krankenhäusern oder Heimen.

Um den Wunsch nach Lebensbeendigung erst gar nicht laut werden zu lassen, müssten den Sterbenden - vor allem in depressiven Durchgangsphasen - vor allem drei Ängste genommen werden, erklärt Landau: die Angst vor dem Schmerz, vor dem Alleinsein und davor, anderen zur Last zu fallen. Eine Änderung der gesellschaftlichen Prioritäten sei dazu unumgänglich: "Wir brauchen eine Kultur des Lebens, zu der auch eine Kultur des Sterbens gehört und die eine Solidarität mit den Sterbenden beinhaltet." Aktive Sterbehilfe sei jedenfalls falsch verstandene Solidarität, bekräftigt Kardinal König. "Es gibt immer zwei Standpunkte: jenen des Angehörigen und die psychische Situation des Sterbenden selbst. Ich fürchte, dass bei der Sterbehilfe meist das Mitleid des Gesunden maßgeblich ist."

Noch scheint in Österreich der gesellschaftsübergreifende Konsens gegen aktive Sterbehilfe unverbrüchlich, freut sich Michael Landau. Nun gehe es darum, den eingeschlagenen Weg entschlossen weiterzugehen - über den Meilenstein "Familienhospizkarenz" hinaus bis zum "Schlussstein" einer umfassenden und für jeden zugänglichen Sterbebegleitung.

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