Mit Platon und Keynes aus der Verteilungskrise

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Zahlen können nur unzureichend beschreiben, was in der jüngsten Finanzkrise passiert ist. Niemand hat eine Vorstellung davon, was es heißt, wenn fünfzehn Billionen Dollar vernichtet werden. Man behilft sich gerne mit Bildern: Geld verbrennt, Blasen platzen, Märkte im- oder explodieren. Sehen wir einmal den Betroffenen ins Auge - so wird die Lage konkreter: Der delogierte Arbeiter in Florida, der Pensionist, der sein Geld bei Lehman Brothers veranlagt hatte, der Kleinanleger, der vor dem Nichts steht. Doch auch hier sehen wir bloß in die Gesichter der ersten Kollateralschäden.

Die Staaten nämlich sprangen mit Milliardensummen ein, um die "Kernschmelze“ im Finanzsystem zu verhindern. Das ist gelungen. Aber was ist eigentlich gelungen? Die Verluste haben sich in die Staatsbudgets hinein verpflanzt - und mit ihnen auch die Verantwortung und die Schuldenlast. Die Frage, die sich daraus postwendend erhebt: Wer soll dafür gerade stehen? Die Steuerzahler, die Banken oder die ominösen Spekulanten (die wiederum das Vermögen von Steuerzahlern verwalten)? Von dieser plakativen Frage "Wer soll zahlen?“ ist es nur ein kleiner Sprung zu jener nach der Verteilung von Gütern und Lasten von Einkommenssicherheit und sozialer Stabilität unserer Gesellschaft.

Der ewige Verteilungsstreit

Nicht, dass diese Fragen neu wären, aber sie sind umso virulenter, hält man sich die aktuellen Szenen von den Straßenschlachten in Athen vor Augen. Die Bilder des Zorns und der brennenden Straßen zeigen, wie große Ungleichheiten dazu beitragen können, die Stabilität des Systems auszuhölen, mit einschneidenden Folgen für die Sicherheit und Freiheit einer Gesellschaft.

Der Diskussion darüber, wie die Stabilität wiederhergestellt werden könnte, widmet sich das Buch "Umverteilung NEU“, das soeben erschienen ist. Dabei kommen nicht nur moderne Ökonomen und Denker zu Wort. Seit die Menschheit wirtschaftet, befindet sie sich im Verteilungsstreit. Zahllose Gedanken und Ideen über eine gerechte Verteilung von Gütern und Chancen haben sich dabei ergeben.

So gelangen wir über Hesiods Lob der Arbeit zum griechischen Staatslenker Solon, dessen erste Verfassung des Abendlandes die Schuldknechtschaft und den Zinswucher in Athen verbot. Der Weg führt unter anderem ins Rom der Caesaren, die den sozialen Frieden mit systematischer Gratis-Lebensmittelversorgung der Armen aufrecht erhielten. Wir kehren ein, bei den Scholastikern um Thomas von Aquin und ihrer Vorstellung der menschlichen Gesellschaft als Notgemeinschaft, die im Ernstfall die Umverteilung von Reich zu Arm auch durch Enteignung toleriert.

Am Ender dieses historischen Bogens landen wir bei der klassischen und der linksutopischen Ökonomie, bei der Scheidung von Kollektivwirtschaft und freier Marktwirtschaft - und im Heute der sozialen Marktwirtschaft, die bestimmt wird von der Wertschöpfung des Mittelstandes. Um Stärkung dieses Herzens der Ökonomie drehen sich die Vorschläge der Autoren.

Schon Aristoteles war davon überzeugt, dass ohne einen breiten Mittelstand ein gutes Gemeinwesen nicht gelingen kann. Der Mittelstand umfasst heute eine breite Bevölkerungsschicht, Selbstständige und Unselbstständige, überwiegend mit solider Ausbildung in den Industrieländern sind es rund fünfzig Prozent der Bevölkerung.

Der Mittelstand trägt das Staatswesen. In jeder Hinsicht, auch steuerlich, ist er die am stärksten belastete Gruppe, von ihrer Arbeit und ihren Kenntnissen hängt die Entwicklung eines Landes ab. Das soll keine Diskreditierung der nicht zum Mittelstand Zählenden bedeuten. Im Gegenteil: Ziel der Politik muss es aber sein, den Anteil der Armen ständig zu verringern und ihnen die Möglichkeiten zu schaffen, Mittelständler zu werden.

Die einer Marktwirtschaft innewohnende Tendenz zur Konzentration des Eigentums an Produktionsmitteln bedeutet ein erhebliches Risiko für eine freie, demokratische Gesellschaft. Breit gestreutes Eigentum darf im gesellschaftlichen Bereich nicht nur im Zusammenhang mit Gerechtigkeit oder Umverteilung gesehen werden. Es ist vor allem auch eine Chance, der Bürokratisierung und der auch in Demokratien zwangsläufig bürokratisch organisierten Staatsmacht eine "countervailing power“ entgegenzusetzen.

Das Eigentum an Produktionsmitteln hat zwei Komponenten: die "Dispositionsmacht“ und die "Ertragsmacht“. "Dispositionsmacht“ oder "Entscheidungsmacht“ heißt, dass der "Eigentümer“ oder die vom Eigentümer bestellten Organe (bei Kapitalgesellschaften) alle wesentlichen Entscheidungen zu treffen haben. Kurz, sie führen das Unternehmen. Die "Ertragsmacht“ ist die Verfügung über den Gewinn.

Die Streuung der "Dispositionsmacht“ ist eine Chimäre, der "mächtige Kleinaktionär“ ein Trugbild. Es erscheint daher vernünftig, stärkere Möglichkeiten der Trennung von "Dispositionsmacht“ und "Ertragsmacht“ zu schaffen. Das heißt in der Praxis: Eine Änderung des Finanzierungssystems durch Änderungen im Steuer- und Gesellschaftsrecht.

Von Ertrags- und Entscheidungsmacht

Es sollte grundsätzlich zwei Aktienkategorien geben: eine, nennen wir sie Kategorie A, die sowohl Ertrags- als auch Dispositionsmacht besitzt, und eine zweite, nennen wir sie Kategorie B, die nur Ertragsmacht besitzt. Entscheidend ist, dass der B-Aktionär (also jener Aktionär, der kurz gesagt nicht entscheiden, aber Geld verdienen kann) für seine Aktien sowohl Zinsen als auch Dividenden bekommt, dafür aber keine "Dispositionsmacht“ besitzt. Das könnte unter den gegebenen Verhältnissen zu Jahreserträgen von sechs bis zehn Prozent führen. Auf diese Weise könnten Unternehmen direkt zu Investitionen kommen - und die Anleger zu für sie günstigen und stabilen Gewinnchancen, ohne dazu ihr Vermögen auf den internationalen Finanzmärkten zu veranlagen. Die Effekte: Mehr Geld - bis zu zehn Milliarden Euro jährlich - fließt in die Realwirtschaft. Das bedeutet mehr Arbeitsplätze und mehr Wertschöpfung im Inland.

Das soll die Wichtigkeit der Finanzmärkte nicht in Abrede stellen. Immerhin sind sie wichtige Voraussetzung für das Funktionieren unseres Systems überhaupt. Ohne stabiles Finanzsystem ist eine stabile Politik undenkbar; Banken sollen sicher Gewinne machen. Ihre Funktion in der heutigen Zeit ist aber eine noch wesentlich bedeutendere. Breite Schichten der Bevölkerung sind "sparfähig“ geworden und auch niedrigere Einkommensschichten haben erstmals Sparfähigkeit erreicht.

Die vom Finanzsystem ausgehenden Krisen hängen nicht zuletzt mit dem gewaltigen Wachstum des Finanzsystems zusammen, das unter den gegebenen Verhältnissen automatisch wächst, weil auch bei bescheidenem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes die Geldvermögen zunehmen.

Die Geldinstitute werden auch in Zukunft die Verwalter dieses Geldvermögens sein, auch wenn immer mehr Menschen "Unternehmensbeteiligungen“ (Aktien) erwerben sollten, wie wir versuchen darzulegen.

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