Russisch

Zum Tag der russischen Sprache: Wenn Worte weh tun

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Russisch sprechen, Ukrainisch denken – so lautet das Credo vieler Ukrainer(innen). Über das Dilemma, wenn die Muttersprache plötzlich die Sprache des Feindes wird.

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Russisch sprechen, Ukrainisch denken – so lautet das Credo vieler Ukrainer(innen). Über das Dilemma, wenn die Muttersprache plötzlich die Sprache des Feindes wird.

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Am 6. Juni begeht Russland und das, was von der „Russischen Welt“ übriggeblieben ist, den „Tag der russischen Sprache“. Den Feiertag gibt es noch nicht lange – 2011 hat ihn der damalige Putin-Platzhalter im Präsidentenamt, Dmitri Medwedew, per Dekret in den amtlichen Kalender aufgenommen. „Was die Österreicher von den Deutschen trennt, ist ihre gemeinsame Sprache“, so ein launiges Bonmot. Das galt lange in abgewandelter Form auch für das Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern. Mittlerweile wird die Sprache der einen von den anderen mitnichten als das Verbindende empfunden. Dennoch: In vergangenen Zeiten war die russische Sprache noch die Lingua franca aller Sowjetbürger, während den einzelnen Nationalsprachen im riesigen Vielvölkerstaat oft nur die Domäne der Folklore vorbehalten blieb.

Interethnische Kommunikation

Das zeigte sich auch in den Biografien der betroffenen Menschen, vor allem im Osten und Süden der Ukraine, wo es traditionell große russische Sprachinseln gab. Der ukrainische Schriftsteller Volodymyr Rafeyenko beschrieb in einem Essay für das „Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen“ die Wandlung des Stellenwerts von Sprache im ukrainisch-russischen Kulturraum am Beispiel seiner persönlichen Erfahrungen. So sei es für seine Eltern völlig normal gewesen, als Ukrainer russisch zu sprechen. Die von den Sowjets geförderte Russifizierung hatte dazu geführt, dass sozialer Aufstieg an die Kenntnis der russischen Sprache geknüpft war.

Die Sprache Puschkins und Tolstois galt als die Ausdrucksweise der Eliten und der Metropoliten. Dennoch war den Menschen im Donbass das Ukrainische nie fremd, so Rafeyenko, Jahrgang 1969. „Meinen ersten Hochschulabschluss habe ich in Russischer Philologie gemacht. Ich habe das Studium im russischsprachigen Donezk absolviert, wo niemand jemals jemandem verboten hat, Russisch zu sprechen oder zu schreiben.“ Als Rafeyenko Anfang der 90er-Jahre zu schreiben begann, tat er das auf Russisch, seine Texte wurden in russischen Verlagen publiziert, seine ersten Literaturpreise wurden ihm in Moskau verliehen.

„Mir wurde nie zum Vorwurf gemacht, dass ich kein Ukrainisch spreche. Als Sprache der interethnischen Kommunikation war das Russische in Donezk die allgemein verbreitete Sprache.“ Das änderte sich mit der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991, mit der natürlich auch forcierte Emanzipationsbestrebungen in Sprache und Kultur einhergingen. Sie waren als Ausdruck der nationalen Selbstermächtigung zu verstehen, nicht als Ausschluss der russischen Sprache aus dem öffentlichen Leben. Spätestens nach der Krim-Annexion und der Ausrufung der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk durch pro-russische paramilitärische Verbände im Frühjahr 2014 begann aber die Akzeptanz des Russischen zu bröckeln. Und mit der Invasion 2022 ist das einstmals friedliche und gleichberechtigte Miteinander der Kulturen endgültig einem disruptiven Bildersturm gewichen, der in der Demontage russischer Denkmäler auf den Plätzen ukrainischer Städte seinen plakativsten Ausdruck fand.

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