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Bartok und Verdi unter Fricsay

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Bei der Salzburger „Danton"-Premiere vor zehn Jahren und im Wiener Konzerthaus begann die Weltkarriere des ungarischen Dirigenten. Inzwischen ist Ferenc Fricsay sensibler, innerlich und äußerlich beweglicher, gewissermaßen „größer“, geworden. Und er musiziert die Musik seines verehrten Lehrers Bartök wie die eines Klassikers. Drei Werke aus der Spätzeit (den Jahren 1938, 1939 und 1942) standen auf dem Programm des Bartök- Konzerts im vollbesetzten Großen Konzerthaussaal: das „Divertimento", das Violinkonzert und das „Concerto per Orchestra". Das erste und das letzte haben wir in Wien wiederholt gehört und an dieser Stelle gewürdigt. Als das bedeutendste Werk erwies sich das Violinkonzert: formal bis ins letzte durchdacht, voll elementarer Kraft und sublimer Geistigkeit, genial in der Klangerfindung und mit einem Solopart, den nur eia reifer Künstler und ein perfekter Virtuose zu meistern imstande ist. Er hieß Tibor V a r g a und wurde, gemeinsam mit dem Dirigenten und dem Orchester der Wiener Symphoniker, die an diesem Abend eine ihrer besten Leistungen boten, stürmisch gefeiert.

Mit den vier Brahms-Symphonien geht es einem so, daß immer die letzte, die man gehört hat, als die schönste erscheinen will. — Vielleicht gebührt die Palme aber doch der dritten. Wir hörten sie zuletzt unter Hermann Scherchen in einem B r a h m s - Gedächtniskonzert (zum 60. Todestag) im Großen Musikvereinssaal. Ihre Wiedergabe wie die des Violinkonzerts war deutlich und genau. Willi Boskowsky spielte den Solopart mit untadeliger Technik, aber ein wenig zu handfest und mit sehr naturalistischem Ton. Die „Akademische Festouvertüre", ein geistvoll-gelehrtes Sludentenlieder-Quodlibet, eine passende Gelegenheitsmusik für Doktorschmaus und Kegelschieben, schien dem Dirigenten viel Vergnügen zu bereiten. Es spielten die Wiener Symphoniker.

Im Schlußkonzert der Musikschule Döbling (Musiklehranstalten der Stadt Wien) wurde im schönsten Sinne des Wortes musiziert. Nicht auf Virtuosität und äußere Wirkung, sondern auf Erfassen des Musischen, innerlich Bereichernden eingestellt, wiesen die Kinder, an ihren Jahren gemessen, erstaunlich gute Leistungen auf. Sie spielten Purcell und Rameau mit der gleichen fröhlichen Sicherheit wie Bartök und Kodaly, nicht als Fingerübungen. sondern als wirkliche kleine Erlebnisse. Zu einigen Stückchen von Strawinsky, dessen 75. Geburtstag feiernd, trat ein aufgeweckter netter Bengel vor und las aus einem Buche, wie es in Strawinskys Werkstatt aussieht. Es ist das anerkennenswerte ‘ Verdienst des Leiters der Döblinger Musikschule, Franz Schmitzer, die Kinder auf so schöne, ungewaltsame, spielfrohe Art in das Musikleben der Gegenwart ebenso einzuführen wie in das der großen Vergangenheit und sie dergestalt vor Einseitigkeit zu bewahren.

Aus der ersten Hälfte dieses Konzerts gelangten wir in die zweite Hälfte eines anderen, das einer ganz anderen Art von Musik und auch einer anderen Volkstümlichkeit gehörte und das Erna Sack mit einigen vogelhohen Tönen, irritierenden Gesten und sehr viel Publikum füllte. Hier wog alles nach der Nummer — wie dort nach dem Geist.

Nach dem Geist hingegen wog ein anderer Liederabend: Anton Dermota benötigte keine Handzeichnungen in der Luft, um die Beseeltheit einer Melodie von Schumann, Edvard Grieg oder Richard Strauss auszudrücken; diese Beseeltheit liegt in seiner Stimme und seinem kultivierten Geschmack. Seine höchst verfeinerte Interpretationskunst konnte es wagen, einer Liedergruppe von Alban Berg slowenische Volkslieder gegenüberzustellen, ohne seinem persönlichen Stil Gewalt anzutun und das eine näher, das andere gleichsam entfernter zu gestalten. Der Wohlklang einer Stimme ist nie Selbstzweck, sondern stets im Dienste künstlerischer Aufgaben, und eben dadurch vermag Dermota dem Liede zu geben, was des Liedes ist: den beseelten, gleichsam aus dem Worte entspringenden Gesang.

Dieser beseelte Gesang tönt uns in ebenso großen ausdrucksvollen Linien aus Enrico M a i n a r d i s Violoncellospiel entgegen. Vollkommenes Handwerk, zur höchsten Kunst verfeinert (Kunst kommt von Können, nicht von Wollen, sonst hieße sie Wulst), gibt sich in gestenfreier schlichter Besessenheit und wandelt sich zum heiligen Ernit, wenn es sich so völlig nach innen wendet wie hier. Der Abend galt Beethoven. Die beiden Sonaten aui op. 5, selten gehört, wirkten wie eine Vorstufe zu der abgeklärten Sonate A-dur, op. 69, die im Zu sammenspiel Mainardis und Carlo Zecchis alle Größe und Tiefe Beethovenscher Kantilene und Beethoven- schen Geistes offenbarte. Die Neigung zur farbigen, nuancenreichen Ausdruckskunst der Romantik blüht hier auf einem klassisch klaren Formwillen, der di melodische Linie nicht expressiv übersättigt und das Espressivo nicht überzeichnet, beides jedoch bis zur Metaphysik vergeistigt.

Verdis „Missa da Requiem“ unter der Leitung von Ferenc Fricsay wies eine solche Vergeistigung in der Wiedergabe nur teilweise auf, da der Dirigent dem operndramatischen Charakter der Komposition keinen Zwang antat. An dramatischer Wirkung und Eindringlichkeit kam dadurch manche Stelle sowie auch das Ganze in seiner ganzen Größe zur Geltung. Die sakrale Vergeistigung, die dem Werk nichtsdestoweniger innewohnt, wurde nicht übertrieben. Maria Stader und in einigem Abstand Marianne Radev, Josef Simandi und Kim Borg boten große solistische Leistungen, der von Hans Gillesberger vorstudierte Chor der Singakademie eine schlechtweg vollkommene, das Orchester der Symphoniker die gewohnt sichere und saubere.

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