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Bernstein am Flügel, Foss am Pult

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Durch den einem Unfall des Sängers zufolge verhinderten Liederabend Dietrich Fischer-Dieskaus wurde man um ein künstlerisches Ereignis ärmer und um eines reicher. An jenem Abend sangen Christ a Ludwig und Walter Berry monologisch und dialogisch Lieder von Gustav Mahler, ihr Mitgestalter am Klavier war Leonard Bernstein. Im überfüllten großen Saal des Konzerthauses war Feststimmung wie vor einer Premiere, und eine Art Premiere war der Abend auch. Eine Folge von zwölf Mahler-Liedern, zum größeren Teil traurigen Inhalts, eine spröde, anspruchsvolle, dem Wiener Publikum durchaus nicht bequeme Musik, ein anderthalbstündi- ges Programm ohne Zwischenpause — und doch die Zuhörer in Höchstspannung zu halten, jedes einzelne Lied zum großen Eindruck zu vertiefen, das bedarf einer Gestaltungskraft, die an jenes Wunder grenzt, das am Ende doch keines ist, weil es durch hohes Können und intensive Arbeit erreicht wird, und es bedarf der prominenten Namen, denen man dieses Arbeitswunder zutraut. Daß es erreicht wurde, bewies die stürmische Forderung nach Zugaben. Als solche sang Christa Ludwig „O Röschen rot”; es war aber die blaue Blume der Romantik, die hier am schönsten aufblühte, nach allen dramatischen, elegischen und humo- irigen Gesängen, denen Leonard Bernstein ein instrumentales Profil gab, das den Begriff „Begleitung” weit hinter sich ließ.

Die Wiener Symphoniker spielten im 5. Konzert ihres Zyklus, dirigiert von Wolfgang Sawallisch, einleitend die 1949 komponierte Sinfonietta in E von Paul Hindemith, der das Werk als Musik zum Lachen bezeichnet haben soll. Das mag andeuten, daß die tieferen Probleme fehlen, dennoch dürfte kaum ecin Hörer dieses Werks gelacht haben. Dazu ist es zu ernsthafte Musik, draufgängerisch in einem Sinn, den man nicht gleich mitbekommt, und für „frischfröhlich” zu verschlungen in seinem thematischen Auf- und Überbau. Gleichwohl sind Stellen von großer Schönheit vorhanden, denen leider Bleiben versagt ist. Es folgte das Violinkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy, mit dem Solisten Josef Sivo. Mit seinem kraftvollen und doch zärtlichen Ton vermochte er, von Dirigent und Orchester souverän betreut, das Publikum hinzureißen. Seltsam genug: hier ist alles klar, unproblematisch, seit mehr als hundert Jahren bekannt, immer wieder musiziert und doch immer wieder begehrt und stets neu an Reizen. Das Geheimnis der Genialität, das sich ebenso in Robert Schumanns 4. Symphonie offenbart, die mit festlichem Elan tragiert wurde und Dirigent wie Orchester auf der vollen Höhe ihrer Interpretationskunst zeigte. Das Publikum dankte mit lebhaftem und herzlichem Beifall. Franz Krieg

Mit seinen sechsundvierzig Jahren ist der in Berlin geborene Komponist, Dirigent und Pianist Lukas Foss einer der meistgefragten Musiker der Vereinigten Staaten. 1953 wurde er Nachfolger Arnold Schönbergs an der University of California, 1963 Leiter des Buffalo Phil harmonie Orchestra. Im Zyklus „Meisterwerke des 20. Jahrhunderts” im Konzerthaus leitete er die Aufführung seiner 1959 entstandenen vier Lieder für Sopran und Orchester „Time Cycle”. Dieses Werk ist neben den in Wien kürzlich präsentierten „Echoi” gewiß eine der wichtigsten Arbeiten des Komponisten: Uhren, Glocken, Meditationen über Zeit nach Texten von Auden, Nietzsche, Kafka und Housman bestimmen die aus einem Klang entwickelten „Ereignisse”, in denen die verschiedensten Formen und kompositorischen Techniken kunstvoll kombiniert werden. Eindrucksvoll ist auch die lichte, vielfach „durchbrochene” Instrumentation. Nicht so stark wie als Komponist überzeugte Foss als Dirigent, zumal es ihm stellenweise an intensiven Kontakten zum Rundfunkorchester mangelte. Teils wegen seiner knappen Zeichengebung, teils, wieil das Orchester an diesem Abend nicht unbedingt in Hochform war. Das Ostinato aus Bergs „Lulu”-Suite klang da schwerfällig, zuwenig durchsichtig. Der Wiedergabe von Bergs „Sieben frühen Liedern” — von Gerlinde Lorenz mit weichem, satt getöntem Timbre und viel Flair gestaltet — mangelte es im Orchesterpart an subtileren Schattierungen. Sehr überzeugend: Shoshana Arzoni, die den Sopranpart im „Time Cycle” mit exakter Intonation, Stimmkultur sang. Nach der Pause hörte man die Wiener Singakademie mit Strawinskys „Psalmen-Symphonie”. Hans Gillesberger besorgte die Einstudierung überaus gewissenhaft.

Karlheinz Roschitz

Von ihren vielen Wiener Freunden lebhaft begrüßt, immer gern gehört (und gesehen), gab Marie-Claire Alain im gut besuchten Mozart-Saal einen Orgelabend. Etwas von ihrer eleganten Erscheinung spiegelt sich in ihrem Spiel. Es ist ihr persönlicher Charme, wie sie mit der absolut männlich profilierten Kunst Joh. Seb. Bachs sich auseinandersetzt, dem der Hauptteil ihres Programms gewidmet war. (Sonate d-Moll, Fantasie G-Dur, Partite diverse sopra 0 Gott, Du frommer Gott” und Fantasie und Fuge g-Moll.) Da gibt es keine Mätzchen und Kunststückchen, jeder Takt ist ehrlicher Einsatz und echte Kunst der Gestaltung. Dennoch ist (zum Beispiel in der großen Fantasie und Fuge g-Moll) irgendwie die Schwere gemildert, ohne die Dichte, zu verringern. Darin liegt das Einmalige ihrer Interpretation, Leichter hatte sie es natürlich mit ihrem Landsmann Jean-Frangois Dandrieu (1684 bis 1740), aus dessen meist für den liturgischen Gebrauch geschriebenen Suiten sie sieben Stücke klug (in der Verschiedenheit von Substanz und Registrierung) auswählte, in aparter Klangvariabilität vorführte. Das Orgelschaffen zweier Zeitgenossen tun die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts wurde in französischer und deutscher Art einander gegenübergestellt, spannend durch die objektive Interpretation einer Künstlerin von Rang.

Die drei Klavierquartette von Mozart (KV 478), Schumann, op. 47, und Brahms, op. 25, drei Stücke einer seltenen Gattung der Kammermusik, musizierte das Quartetto di Roma in blitzsauberer und restlos gekonnter Wiedergabe, deren Temperament und Zügigkeit von der Pianistin Orne’la Santoliquido ausgeht und die drei Herren Arrigo Pelliccia, Luigi Alberto Bianchi und Massimo Amfiteatroff mühelos in ihren (musikalischen) Bann schlägt. Es ist ein Zusammenspiel arrivierter Künstler und Lehrer und zuweilen einer fast motorischen Perfektion ziemlich nahe, wenn ihr auch nie verfallen. Gefühlsmäßiger Ausdruck war sehr, manchmal zu verhalten. ‘

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