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Heimat und Welt

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Der Genius des Landes zwischen Süden und Norden, Osten und Westen offenbart sich auf das Sublimste in der Musik Mozarts; die Melodie der Landschaft durch-klingt von der ersten bis zur letzten Note das Werk Schuberts; in Bruckners Symphonien erblicken wir die Monumentalisierung des österreichischen Barocks. In diesen drei Meistern prägt sich vor allen andern die ganze-Vielfalt und Eigenart der österreidii-schen Musik am entschiedensten aus. So empfinden wir selbst es, und so sieht uns die Welt. Das Werk dieser Meister zu pflegen wird immer eine der Hauptanliegen unserer Musiker und Musikinstitute sein.

In einer Mozart-Serenade des Kammerensembles der Philharmoniker und des Tonkünstlerorchesters unter Bogo Lesco-vic erklang ein Salzburger Divertimento, die in Wien komponierte „Maurerische Trauermusik“, die Symphonie D-dur und Vokalwerke. — Mit kaum überbietbarer Vollkommenheit, mit nuanciertem kammermusikalischem Vortrag spielte ein Bläserquintett der Philharmoniker, vort Hans . Knappertsbusch und dem philharmonisdien Orchester begleitet, Mozarts Konzertantes Quintett. — Aus dem Programm des Festkonzerts des Konservatoriums der Stadt Wien sei die von Roland Raupenstrauch vorgetragene Klaviersonate C-moll von Schubert, ein nachgelassenes Werk, besonders, hervorgehoben, die das große Vorbild, Beethovens Pathetique, deutlich erkennen läßt, aber erst dort überzeugend wirkt, wo sich der Komponist von der klassischen Dialektik der Themenverarbeitung löst und seine freie Improvisation, auf reicher harmonisdier Basis, in Fluß kommt.

Höhepunkt dieser ersten Konzertwochen war die Aufführung der VIII. Sympho-' nie von Bruckner unter Herbert von Karajan. Es fällt schwer, bei der Interpretation dieses jungen, hochtalentierten Dirigenten nur von Musik zu sprechen, denn seine Persönlichkeit drängt sich dem Hörer gebieterisch auf und zwingt zur Auseinandersetzung. Seine Auffassung, sein Bruckner-Bild scheint von dem gewohnten abzuweichen. Aber welches ist der echte, der wahre Bruckner? Der der Bruckner-Anekdote und -Biographie oder der der Symphonien? Dort, in seinen Partituren, und zwar in den Urfassungen, haben wir ihn zu suchen — und nirgends anders sonst. Eine dieser Partituren erschloß uns Karajan in ihrem ganzen drangvollen und bedrängenden Reichtum, mit ihren tiefen mensdilichen und geistigen Strömungen und Unterströmungen. Doch es geht uns weniger um die Einzelleistung von Karajans Bruckner-Interpretation, sondern vielmehr um die Erkenntnis, daß wjr hier einen Dirigenten großen Formats mit ausgeprägter Eigenart vor uns haben. Diese Eigenart besteht in der ungewöhnlichen Intensität, mit welcher ein Werk bis in seine kleinsten Details erlebt wird und in der Fähigkeit, seine Konzeption souverän auf das Orchester zu übertragen. Nidits nötigt uns mehr Aditung ab und nichts Erhebenderes gibt es auf dem Gebiete der Kunst, als zu sehen, wie ein Mensch an Konzentration und Anspannung ein Letztes und Höchstes von sich fordert. Schonungslos und, wie ich glaube, auch ohne Pose. Denn was . als solche erscheinen könnte, ist Ausdruck eines so intensiven Erlebens, daß wir uns scheuen, daran die

ästhetisch - kritische Sonde zu legen. — Karajan ist jung und hat während der letzten Jahre in Wien erst zweimal dirigiert. Es wird sich zeigen, wie er^seine geniale Be-•gabung nützt. Daß er eine fast suggestive Gewalt über das Ordiester und seine Zuhörer hat, legt ihm eine außergewöhnliche Verantwortung auf. Möge er seine Gaben nur und immerdar in den Dienst unserer großen, einzigen und erhabenen Kunst stellen. — Was ein Ordiester unter ihm zu leisten vermag, bewiesen die Philharmoniker in ihrem ersten außerordentlichen Konzert. Idi glaube nicht, daß zur gleichen Zeit irgendwo in der Welt die Achte Bruckners so vorgetragen wurde wie im Wiener Musikverein an diesem Abend.

Das II. Klavierkonzert von B r a h m s spielte mit den Wiener Symphonikern unter Karl Böhm der Londoner Meisterpianist W. Solomon: sehr reif und ernst, mit unfehlbarer Technik, zuweilen etwas kühl und distanziert. — Die I. Symphonie von Brahms hörten^ wir unter Somogyi (Budapest). Über die Aufführung ist nichts zu berichten; sie war ohne jeden Gewinn für die Zuhörer und bedeutete verlorene Probezeit für das Ordiester. Man gebe den ausgezeichneten und strebsamen Wiener Symphonikern die Gelegenheit, unter Knappertsbusch und Karajan zu spielen und man wird staunen, was sie zu leisten vermögen. Es ist einem Orchester wenig dienlich, immer wieder ausländischen „Meisterdirigenten“ zur Verfügung gestellt zu werden. ¥

Wir könnten uns unseres großen Erbes rnjeht so uneingeschränkt freuen, wenn wir nicht Musiker hätten, die es würdig fortsetzten. Franz Schmidt gehört noch zu unserer Generation; er könnte noch als Schaffender unter uns weilen. Sein früher Tod war einer der schwersten Verluste, den die österreichische Musik erlitten hat. Den Reichtum seiner Inspiration, die hohe technische Meisterschaft bewunderten wir aufs neue in einer Gedenkstunde, in welcher das Konzerthausquartett mit L. Wladi und R. Raupenstrauch des Meisters A-dur-Quar-tett und das Klarinettenquintett in B nach eingehendem Sudium in schöner Aufführung zum Vortrag brachte. In diesen Werken zeigte sich, daß — wie an dieser Stelle neulich ausgeführt wurde — Neues und Eigenes auch ohne Destruktion der alten Kunstmittel geschaffen werden kann.

Dem Andenken und Ansehen Franz Schmidts wird allerdings durch die Aufführung des Zwischenspiels zu „Notre Dame“ kein guter Dienst erwiesen. Verzichten wir lieber auf diesen symphonischen Czärdas, und laße uns — wenigstens einmal im Jahr — neben anderen Werken seiner Spätzeit Schmidts IL und IV. Symphonie hören!

Aus allen Himmelsrichtungen klangen die Stimmen der Welt in unsere Konzertsäle. Ebenfalls unter Somogyi begleiteten die Symphoniker den französischen Cellisten B. Micnelin. Daß er sich das wenig bedeutende, zuweilen süßlich-sentimentale Konzert von D v o r k k ausgesucht hatte, sprach nicht sehr für den Geschmack und .Kunstehrgeiz des Solisten. Michelin ist zweifellos ein guter Cellist. Etwa vorhandene Eigenart und Persönlichkeit konnten sich gerade an diesem Werk kaum entfalten. —' Eine sehr eindrucksvolle Aufführung von Dvofaks V. Symphonie schenkte uns Hans Knappertsbusdi. Die Weiträumigkeit der Anlage — in weldier wir, mehr als in den folkloristischen Motiven, den Atem der Neuen Welt zu spüren glauben — und die elegische Stimmung, in die den Kulturmenschen der Anblick der unberührten Natur versetzt, entsprachen weitgehend der besonderen Begabung und Eigenart des Dirigenten und wurden meisterhaft-eindringlich wiedergegeben.

Ein jüngerer Landsmann von D v o f i k ist der hochtalentierte Bohuslav Mar-tinu (geboren 1890), dessen Doppelkonzert für Streicher, Klavier und Pauken Paul Sadier mit dem Kammerordiester der Wiener Symphoniker zur Wiener Erstaufführung brachte. Wir lernten ein gehaltvolles Werk von ernster Grundstimmung kennen, das seine Filiation von Roussel, dem Lehrer Martinus, nicht verleugnet, aber doch vor allem die scharfgeprägten, eigenwilligen Züge seines Autors zeigt.

Überlegen-leicht, im Schmuck seiner aparten Farbmischung (Harfe, Cembalo, Klavier und Streichorchester) präsentiert sich daneben die „Pctite Symphonie Concertante“ des Westschweizers Frank Martin (geboren 1895).- Das liebenswürdige, distinguierte Werk hatte hier — wieuiherall, wo es bisher erklang — einen durchschlagenden Erfolg, der nicht zuletzt dem präzisen und duftigen Spiel der drei Solisten und des Kammerordiesters zu danken war.

Immer wieder wird die Begegnung mit D e b u s s y, dem Meister aller Meister der neueren französischen Musik, zum festlichfreudigen Ereignis. So wurde auch das etwas schwerfällige und bombastische Programm des ersten Pro-Artes-Konzertes durch die „Zwei Nocturnos“ belebt und gelockert. Wer den Unterschied zwischen guter und schlediter Programmusik„ zwisdien feinsinnig-diskreter Tonpoesie und brutalem, naturalistischem Theater im Makart-Stil kennenlernen will, der höre sich nach „Nuages“ und „Fetes“ die „Feste Romane“ von Respighi an. Die Notwendigkeit solcher Demonstrationen im Konzertsaal ist allerdings nicht einzusehen. Dirigent und Orchester gaben ihr Bestes. Aber diese Musik ist heute kaum mehr anzuhören. Man könnte zweifeln, ob sie vor 20 Jahren, da sie entstanden ist, erträglicher war.

Und noch einmal Debussy. Die Pariserin Monique Haas spielte Sir Etudes pour le Piano, in denen Virtuoses und Klanglich-Lyrisdies so vollkommen auf einen Nenner gebracht sind, daß die Erfassung des einen auch die richtige Darstellung des anderen bewirkt. Kein Versuch, das Instrument zu transzendieren, nur virtuoses und sensibles Ausnützen seines irdischen Klanges. Hierin äußert sich nicht nur die besondere Begabung Debu'ssys, sondern auch das spezifisch französische Klanggefühl, — von dem unsern durch eine ebenso feine wie unüber-schreitbare Linie geschieden. (Jungen, strebsamen Pianisten, die sich einmal an etwas Neuem erproben wollen, seien die Etudes von Debussy sehr empfohlen.)

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