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Slawische und rumänische Orchesterkunst

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Die Reihe der symphonischen Konzerte dieser Spielzeit eröffnete ein Slawisches Konzert aus Anlaß des. bulgarischen Befreiungstages mit Werken von Smetana, Wladigeroff und Tschaikowsky. In den Strom dieser Musik steigt man wie in einen Jungbrunnen und verläßt ihn — wenn auch nicht seelisch geläutert, so doch irdisch gekräftigt und erfrischt. Smetanas Ouvertüre zur „Verkauften Braut“ entzückt immer wieder durch den volkstümlichen Reiz ihrer Melodien und den Elan ihres Rhythmus. Wie natürlich und ungezwungen werden — bei aller Kunstfertigkeit — die Themen verarbeitet, fügt sich Melodie an Melodie! Welche Anmut und welche Leichtigkeit bei einem so starken, überschäumenden Temperament und einem so wachen Kunstverstand! Daneben erscheint P. Wladigeroffs bulgarische Rhapsodie „W a r d a r“ — ein kurzes Tonbild, das sich in seiner Heimat fast der Popularität einer zweiten Hymne erfreut — aus gröberem Holz geschnitzt. Das Stück mit seiner einprägsamen Nationalmelodie im Fünf-vierteltakt und den mitreißenden Tanz-rhvthmen ist unproblematisch, vital — robust und seiner Wirkung gewiß.

Hierauf Tschaikowsky: eine Arie aus „Pique Dame“, von Ljube Welitsch tem-perament- und stilvoll vorgetragen, und die Fünfte Symphonie. Ein klassisch strenger erster Satz, ein romantisches Andante mit Horn- und Cellokantilenen, ein Valse-Intermezzo als Scherzo und ein turbulentes Finale mit Reprisen und Reminiszenzen. Versucht man, sich aus diesem Werk allein, unbeeinflußt von Vorurteilen, ein Urteil über Tschaikowsky zu bilden, so ergibt sich ungefähr folgendes: ein großartiger, nicht immer wählerischer Melodiker, dessen Technik und Harmonik stark von der deutschen Romantik beeinflußt sind und dessen slawische Note vor allem in der Thematik und im Gesamthabitus zum Ausdruck kommt. Der Gefahr, von welcher Tschaikowskys Musik ständig bedroht ist, erliegt der Komponist in den beiden Schlußsätzen der Symphonie. Im dritten Satze überschreitet er die Niveaugrenze, die Schwelle zum Salon; und im letzten Satz, wo plötzlich eine primitive Volksmelodie hereinbricht, die sich dam symphonischen Rahmen nicht mehr fügen will, zeigt sich die Stilgrenze. Diesseits der Linie steht fast die gesamte neue russische Musik seit Mussorgsky.

Rudolf Moral t, jung, elastisch und temperamentvoll, ist in diesem Bereich, das dem der Oper benachbart ist, sehr zu Hause und blieb den einzelnen Werken nichts schuldig. Smetanas Ouvertüre gilt nicht umsonst als Prüfstein für die Präzision und Reinheit des Streicherkörpers eines Orchesters. Die Symphoniker haben diesmal die Probe nur mit „ausreichend“ bestanden.

Zu solchen Bravourstellen wie das schwirrende Fugato der Einleitung mit seinen energischen Themeneinsätzen gehören ein paar gründliche Proben. Die übrigen Werke wurden so erfreulich musiziert, daß man wohl hoffen kann, daß die Symphoniker die am Schluß der vorigen Spielzeit in sie ge-setzen Erwartungen voll und ganz erfüllen werden.

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Zum Jahrestag der Türkenbefreiung Wiens durch König Sobieski veranstaltete die österreichisch - Polnische Gesellschaft ein Festkonzert, welches H. Swarowski dirigierte. Außer der Egmont-Ouvertüre und Chopins e-moll-Klavierkonzert (von Barbara Issakides gespielt) erklang, zum erstenmal in Wien, Karol Szymanowskis Zweite Symphonie op. 19. 1383 geboren und 1937 gestorben, ist Szymanowski der repräsentative polnische Komponist der älteren Generation. Das Werk ist zweisätzig: nach einem breit angelegten Allegro folgt eine Reihe Variationen, die nach Regers großem Vorbild von einer Schlußfuge gekrönt werden. Das ist eine prachtliebende, schwere, fast überladene Musik, die in der Spätrp-mantik wurzelt und sich in ihr erfüllt. Szymanowski knüpft als Harmoniker etwa beim „Tristan“ an, und auch seine Melodik ist stark von der Chromatik bestimmt. Das fast ununterbrochene Espressivo erfordert eine bedeutende innere Anspannung vom Hörer, während das Ohr ebenfalls überlastet wird, da Szymanowskis Partitur auf weite Strecken sämtliche Spieler des Orchesters beschäftigt. Daß seine Musik trotzdem nicht einförmig klingt, ist auf die Intensität und Dichte der Klangatmosphäre, die er zu schaffen versteht, und seine eminente Instumentationskunst zurückzuführen. Hierin ist er ein großer Meister und steht, auch was die Noblesse seiner Inspiration betrifft, näher bei Alban Berg, als bei Richard Strauß. Die Aufführung dieses schwierigen Werkes war eine verdienstvolle Leistung des Dirigenten und der Symphoniker.

Noch einmal Tschaikowsky, und zwar die 6. Symphonie, hörten wir unter dem rumänischen Dirigenten Konstantin Turkano, dem ersten Dirigenten der Bukarester Staatsoper. Mit tiefen Holzbläsern beginnend, die dem Tschaikowsky-Orchester seine eigentümlich düstere Färbung geben, und in der tiefen Lage der Celli und Kontrabässe verklingend, ist dies Werk stilistisch einheitlicher, als die 5. Symphonie des russischen Meisters. Gut gespielt, wird die Sechste kaum jemals ihre Wirkung verfehlen, obwohl sie ein'“ Themen enthält, die uns heute kaum mehr erträglich sind und eben jenes Abgleiten in den Salon- und Romanzenton exemplifizieren, von dem. schon die Rede war. Gerechterweise muß man bedenken, daß von Tsdraikowsky nicht nur Mussorgsky und Strawinsky herkommen, sondern auch Puccini und Lehar! Und wir sind vielleicht erst nachträglich gegen diese süßliche Melodik besonders empfindlich geworden. Was schönster Belcanto verbunden mit edlem dramatischem Ausdruck zu leisten vermag, erlebten wir — nach sehr langer Pause in Wien! — im, Vortrag dreier Opernarien ATda, Butterfly und Tosca) durch Lucia Turkano. Es mag genügen, festzustellen, daß man sich diese vielfach malträtierten und abgesungenen Arien mit dem größten künstlerischen Vergnügen anhören konnte und noch aus den Fragmenten das Erlebnis und die Atmosphäre des ganzen Werkes spürbar waren.

George Enescus 1. Rumänische Rhapsodie ist nicht nur ein interessantes — wenn auch nicht ganz einwandfreies — Beispiel für die Frühzeit rumänischer Folklore-Bearbeitungen, sondern auch ein virtuoser Reißer. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Musik zu interpretieren. Die eine, indem man sich mif Schwung und T-mnerament über die außerordentlichen Schwierigkeiten des Schlußsatzes hinwegmusiziert, kann sich nur ein eingeborenes Orchester, das aus lauter Vollblut-0:?ern besteht, leisten (etwa die Bukarester oder Budapsster Philharmoniker); die andere Möglichkeit geht über den Weg intensivster Probenarbeit. Keine der beiden Mö-rFchkeiten stand den Symphonikern zur Verfügung. So war auch die Aufführung dieses Werkes dementsprechend. Zum Glück ist diese Musik so vital, daß es dabei auf eine Handvoll unter die Pulte gefallener Noten ni-V a“Vimrnt, und die Ensscu-Rhapsodie wurde, wie audi die übrigen Stücke des Programms, .ein schön t Erfolg für das Orchester und den Gastdirigenten. ,

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