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Passion, Lobgesang, Solisten

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„Zwei Mißverständnisse“, so schrieb 1918 der Münchner Reger-Schüler und Musikkritiker Alexander Berrsche, „bedrohen den Aufführungsstil der Matthäuspassion: die falsche Dramatik und die falsche Sachlichkeit.“ Karl Richter, dessen Interpretation Bachscher Orgelwerke sehr anfechtbar ist, kann als Dirigent und Betreuer des Cembaloparts in der „Matthäuspassion“ unserer weitgehenden Zustimmung gewiß sedn. Hier ist alles auf eine schwer definierbare Art gut und richtig. Sein Vortrag und der des unter seiner Leitung musizierenden Ensembles ist weder akademisch noch theatralisch. Der von Helmuth Froschauer einstudierte, etwa 160 Mann starke Singverein, die Sängerknaben und die Wiener Symphoniker mit einem Dutzend hervorragender Instrumentalsolisten haben sich unter seiner Direktion recht wohl gefühlt. Nach guter alter Manier begleitet Richter die Rezitative am Cembalo, das, etwas erhöht, an der Stelle des Dirigentenpultes steht und dirigiert bald sitzend, bald stehend mit einem Minimum von gestischem Aufwand. Von den Vokalsolisten muß primo loco Peter Schreier als Evangelist und Interpret der Tenorpartien genannt werden, die Partie des Jesus sang mit noblem Ausdruck und Timbre Emst G. Schramm, die Sopranpartien stil-und ausdrucksvoll Eddo Moser, der Alt Anna Reynolds' ist von ähnlicher Qualität, der Baß von Shirley-Quirk etwas schwächer. Sie alle trugen zum Gelingen der vorfestlichen Aufführung am vergangenen Samstag- und Sonntagabend im Großen Musikvereinssaal ihr gemessenes Teil bei.

Leonard Rose, 1918 in Washington geboren, wurde mit 20 Jahren von Toscanini ins NBC-Orchester geholt und spielte seither auf seinem Amati-Cello aus dem Jahr 1662 als Solist mit fast allen führenden Orchestern der neuen und der alten Welt. Im Großen Konzerthaussaal wurde er von dem Basler Karl Engel begleitet, der ebenfalls mit einem guten Dutzend der größten Orchester musiziert hat. (1960/61 gab er in Wien einen kompletten Mozart-Zyklus.) Mit der Celloliteratur, wie wir sie aus dem Konzertsaal kennen, ist es ein wahres Kreuz. Die dreisätzige, zum Glück nur eine Viertelstunde dauernde 2. Sonate von Bohuslav Martinu aus dem Jahr 1941 hat man, sobald sie verklungen ist, wieder vergessen. Luigi Boccherinis 6. Sonate gibt in den beiden Sätzen Adagio und Allegro Gelegenheit zu unwahrscheinlichen technischen Kunststücken. Gabriel Fauris „Elegie“ ist mit Recht als Paradestück für die Entfaltung einer süßen Kan-tilene beliebt. Tschaikowskys „Variationen über ein Rokokothema“ sind technisch brillant, könnten aber ebensogut von einem anderen (schwächeren) Komponisten gegeschrieben sein. Nur Beethovens Sonate für Klavier und Violoncello A-Dur ist ein Meisterwerk. Und hier zeigten sich die Qualitäten Leonard Roses in hellstem Licht: ein nobler, nie überschwenglicher Ausdruck, ein substantieller Ton von seltener Schönheit und — wie auch in den virtuosen Stücken — eine absolut sichere Linke. Das Publikum war zurecht sehr begeistert.

In dem „Wir-stellen-vor“-Zyklus des Konzerthauses trat diesmal die junge dänische Altistin Else Paaske, eine Schülerin Eugenie Besallas und Dora Sigurdssons, vor das Publikum des Schubertsaales und holte sich die beifallsbekundete Bestätigung, daß ihr höchst zufriedenstellendes technisches Können und ihr schönes Material weiterer Ausbildung fähig ist. Aus ihrem Programm — u. a. bekannte Brahms- und Mahler-Lieder — sei besonders die vorzügliche, mit höchstem Ausdruck gebrachte Interpretation von Gesängen Alban Bergs und der „Zigeunermelodien“ Dvofäks hervorgehoben. Debussys „Chansons de Bilitis“ und drei Lieder ihres Landsmannes Ib Norholm ergänzten die Vortragsfolge, deren Wiedergabe eine weitere Wertsteigerung durch die feinfühlige Begleitung Friedrich Gürtlers erhielt. Es gab langanhaltenden, gerechtfertigten Applaus, den die Künstlerin mit Zugaben quittierte.

Das Bundesrealgymnasium in der Wasagasse für Studierende der Musik veranstaltete im Großen Musikvereinssaal ein „Musikfest“ betiteltes Konzert, in dessen Mittelpunkt Mendelsohns selten zu hörende symphonische Kantate „Der Lobgesang“ nach Worten der Heiligen Schrift, op. 52, stand. Es spricht für die Leistungsfähigkeit des Anstaltschors und -Orchesters, daß das große Anforderungen an die Mitwirkenden stellende Werk in der Wiedergabe erfreuliches Niveau zeigte und damit der Hochromantik dieser fast 150 Jahre alten, klassische Formstrenge zeigenden Musik bestens gerecht wurde. Nach drei einleitenden Orchestersätzen erreicht das Werk seinen Höhepunkt in dem Jubelchor „Die Nacht ist vergangen“ und in der machtvollen Schlußfuge. Die eingestreuten Sopran-, Mezzo- und Tenorarien und Duette hatten gute Interpreten in Gtmdi Klebel, Gerltnde Götz und Adolf Tomaschek. Doktor Hans Zwölfer war der umsichtige, Chor und Orchester bestens zusammenhaltende Dirigent. — Zu Beginn des Konzerts spielten die Anstaltsschüler Zwiauer und Riebl mit höchst anerkennenswertem technischem Können Mozarts „Konzertante Symphonie für Violine und Viola“, begleitet vom Schulorchester unter der Leitung des sich als Kapell-meisterdebütant gut bewährenden Gerhard Schmidt. Viel Beifall für alle Mitwirkenden.

Johann Sonnleitner, einer der meistversprechenden Wiener Nachwuchsorganisten, begann sein Konzert im Mozartsaal mit Kuhnaus köstlicher Programmsonate „Der Streit zwischen David und Goliath“, welche die einzelnen Phasen des Kampfes sinnfällig und durch lautmalerische Effekte zu verdeutlichen sucht. Zeitlich in der Programmgestaltung forschreitend, kam der Künstler über die kunstvoll ausgezierte, liturgische Titel tragende „Messe pour les Paroisses“ Coupe-rins zu einem von Bach arrangierten „Concerto grosso“ Antonio Vivaldis. Der Moderne zollte Sonnleitner seinen Tribut durch die Uraufführung einer 1972 komponierten, mit Zwölftontechnik operierenden Sonate Ernst Vogels, die ihre Krönung in einem kontrapunktreichen, in mächtigem Plenum einhergehenden Finale findet, sowie durch die in seltsamem Mystizismus verharrenden „Variationen über ein Thema von Jannequin“ von Jean Alain. Stilistische Feinheiten und eine reiche Registrierungspalette sind für die stets geschmackvolle Spielkultur des vitalen Musikers Sonnleitner signifikant.

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