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Musik über den Rubriken
Die Reihentechnik der Konzertprogramme hat sich im Gegensatz zur kompositorischen bei uns rasch durchgesetzt. Sie versucht die Musik in eine „Viva“ und „Nova“ zu gliedern, „Klassisch-Romantisch-Modern“ gegeneinander abzuheben — und wirft damit einen belebenden Funken in die Programmbildung, auch wenn die Klassifikationen nicht immer genau stimmen, weil die Musik lebendiger ist als alle Rubriken.
Im Zyklus „Klassisch-Romantisch-Modern“ der Ravag (Symphoniker unter Swarowsky) erlebte man die 2. Symphonie von Johannes Brahms in ihrer landschaftlichen Gebundenheit als klassisches Meisterwerk und war für die wohltemperierte Wiedergabe dankbar. Die dreisätzige Suite aus „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith gab sich als höchst persönlich profilierte romantische Moderne mit Engelsposaunen und Vogelgezwitscher. Dennoch zählt gerade dieses Werk durch seine formale und stilistische Klarheit sowie durch die Ausgewogenheit von Form und Inhalt zu den klassischen Kompositionen der Gegenwart, der kaum eine gleich ausgewogene zur Seite steht. „Lebendig“ im unmittelbaren Sinn trotz sorgloserer Nachgestaltung Beethovens „Egmont“-Ouvertüre.
Als „Musiva viva“ hörten wir ein Oktett op. 67 von Egon Weltes z, sehr kultivierte und äußerst gekonnte Musik, die in ihrer traditionellen Formen verhafteten Spierart weniger lebendig erschien und trotz mancher schönen Figuren gleichsam wie eine Gabe aus zweiter Hand wirkte. Ganz anders tat sich im 2. Streichquartett von Arnold Schönberg mit Gesang, op. 10, eine geistige Landschaft auf, Vorland der Atonalität, Erlebnis in jedem Takt, dem die Singstimme nicht deutlichere, doch intensivere Lichter gibt. Ilona Stein-gruber, sich stimmlich bald dem Streicherklang verschmelzend, bald sich davon abhebend, konnte ihre hohe Musikalität, ihr fulminantes Können und ihre Stilsicherheit nicht überzeugender beweisen als in der ausgezeichneten Wiedergabe der beiden
Gesangsätze. Vollends ein natürliches und zuweilen übermütiges Musizieren ist Benjamin Brittens Erstling, die „Sinfonietta“, unbekümmert um „Nova“ und „Viva“, in ihrer Frische aber „moderner“ als die meisten „—ismen“ und höchst persönlich gezeichnet, dadurch sogar überzeugender als manches seiner späteren Werke. Das verstärkte „Wiener Oktett“ hatte in der vorbildlichen Wiedergabe dieser Kompositionen seinen großen Abend.
„Lebendig“ bis in die Fingerspitzen präsentierte Clemens Krauß im RWR-Konzert ein fast buntes Programm. Die geistvolle, in ihrer Vitalität unbesiegbare Musik Rossinis (Semiramis-Ouver-türe), deren durch den Dirigenten elegant gelöste Interpretationsprobleme in lächelndem Gegensatz zu ihren tonalen stehen, hat uns anscheinend desto Angenehmeres zu sagen, je älter sie wird. Ottorino Respighrs nach alten Meistern bearbeitete und zur Suite gereihte Stücke „Gli uccelli“ weiß die Distanz des Archaismus durch klug und vornehm aufgesetzte neue Lichter zu umgehen und fesselt durch die Straffheit ihres frisch-fröhlichen Charakterisieren«. „La mer“ von Claude Debussy (mit „Iberia“, eines seiner duftigsten Orchesterwerke), ein Schillern und Weben von Sonne, Wind und Wellen, wie es nie in gleicher Intensität und Subtilität zu wiederholen sein wird, erlebte man als unmittelbare Gegenwart; als zeitlose Unmittelbarkeit dagegen das Schelmenlied vom „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauß, das wir vielleicht noch nie in solcher Vollendung musizieren hörten.
Max Regers Konzert für Klavier und Orchester f-moll op. 114, das wir im Romantik-Zyklus der Konzerthausgesellschaft hörten, wird von einem Schüler des Meisters als
„Selbstporträt“ in dem Sinne bezeichnet, daß in ihm alle charakteristischen Züge seines Autors am deutlichsten zutage treten: das Stürmische und Wilde, die intimste Zartheit und die Mystik des
Klanges.. Zur Erfassung und Gestaltung seiner großen, zerklüfteten Formen gehört ein weiter Blick, ein klarer Kopf und ein besonderes Gefühl für das Regersche Chroma und Regers schwermütigen Lyrismus. Der . livländische Pianist Eduard Erdmann (Jahrgang 1892) hatte als Komponist und hervorragender Interpret zeitgenössischer Musik in den zwanziger Jahren seine „heroische“ Zeit und bringt, geistig und technisch, alle Voraussetzungen mit, dieses überaus schwierige, gehaltvolle, wuchtige, von Ausdruck fast berstende Werk zu gestalten. Felix von Pro-h a s k a leitete das auf weite Strecken selbständig konzertierende Orchester mit Schwung und echter Ergriffenheit. Der erste Teil des Konzertes wirkt in der Erinnerung wie ein leichtes, liebenswürdiggeistvolles „Vor-Spiel“: Mozarts Serenade D-dur und Prokofieffs „Symphonie classique“ op. 25. — Die gleichen Qualitäten, freilich »uf einer ganz »nderen Ebene, kamen auch der Interpretation der drei letzten Klaviersonaten von Schubert zugute, die Eduard Erdmann in seinem Soloabend im Mozart-Saal spielte. H.A. F.
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