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Prager, Turiner und Gurrelieder

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Die Prager Philharmoniker spielten unter Leitung Vaclav Neumanns Anton v. Weberns „Sechs Stücke für Orchester“, op. 6 in stilvertrauter, den diffizilen und meist heute noch neuartigen Klangstrukturen werktreuer Sicherheit. Allein diese Leistung stellt das Orchester in die erste Reihe der internationalen Klangkörper. Das Konzert für Klavier und Orchester G-Dur von Maurice Ravel (Solist Ivan Moravec) mutete daraufhin geradezu leicht an, was die exzellente Wiedergabe noch unterstrich. Daß die Tschechen in Antonin Dvofäks 5. Symphonie (Aus der Neuen Welt) ihr Eigenstes gaben, war selbstverständlich. Und siehe da, sie musizierten es weniger sentimental (besonders im 2. Satz) als manche andere Orchester, um so wirkungsvoller allerdings dadurch. Herzlicher Beifall bedankte die nahen und doch so seltenen Gäste. F. K.

Noch einmal konzertierten die Prager im Großen Musikvereinssaal, diesmal unter dem der älteren Generation angehörenden, vornehmlich in den USA tätigen Ejrem Kurtz, den wir noch von seinem Wiener Nachkriegsdebüt vor zwei Jahren in bester Erinnerung haben. Die Ouvertüre zu „Donna Diana“ von Reznicek erwies sich als recht heikles „Einspielstück“. In dem neoimpressionistischen Concerto für Flöte und Orchester des vielseitigen Jacques Ibert war die nobelelegante Elaine Shaffer ebenso angenehm anzusehen wie zu hören. Aus dem goldenen Instrument tönt es in der Tat wie reinstes Gold. Die 5. Symphonie von Schostakowitsch, der man immer wieder gern in einem Programm begegnet, begann ein wenig spannungslos (1. Satz), wurde aber dann lebhaft und intensiv musiziert, wie sich's gehört.

Ein erstklassiges Orchester ist das der RAI-Turin. Mit der Sicherheit und Routine der meisten großen europäischen Rundfunkorchester verbindet dieses Ensemole einen ungewöhnlich schönen Ton sowie eine Intensität des Vortrags, die natürlich auch durch seinen Leiter Mario Rossi garantiert ist. Maestro Rossi gehört zu den liebenswürdigsten und besten Erscheinungen am Pult. Ein Musiker von Temperament und Geschmack, ein Herr und ein Künstler. (Hätte er uns nur das langweilige Rondo Veneziano seines Landsmannes Pizetti erspart; aber überall, wo italienische Orchester oder Dirigenten gastieren, steht entweder ein Stück von Pizetti oder eines von Ghedini auf dem Programm: Tribut an die mächtige Vätergeneration.) Gleich Straussens „Don Juan“ schlug wie eine Bombe ein und erhöhte die ohnedies beträchtliche Saaltemperatur noch um einige Grade. Das unmittelbar darauffolgende Violinkonzert von Bartdk wirkte, bei allem inneren Wert, ja Genialität, daneben ein wenig mühsam und pedantisch (über eine halbe Stunde lang offene oder cachierte Variationen!). Der Solist freilieh tat sein Möglichstes — und es gelang ihm weitgehend — den spröden Stoff mit einem Hauch von Poesie zu umgeben. Auch Ton und Technik von Franco Gulli waren hervorragend. — „Pini di Roma“ von Respighi ist ein in der Ausführung ebenso glänzendes wie inhaltlich — mit seiner naiven Schilderung von Kindergeschrei, Nachtigallenschlag und tubadröhnendem Marsch der Legionen — entwaffnendes Stück. Es wirkt vollends umwerfend, wenn Italiener es spielen. Entsprechend war auch der Applaus.

Im letzten Konzert dieser Festwochen wurde das dem Umfang und der Besetzung nach größte und für das Motto „Anbruch unseres Jahrhunderts“ charakteristischeste Werk aufgeführt: Arnold Schönbergs „Gurrelieder“, 1900 bis 1901 komponiert, aber erst zehn Jahre später in der Partitur vollendet. Die hochromantische Dichtung Jens Peter Jacobsens (1847 bis 1885) findet in der schwelgerischen, spätromantischen Musik Schönbergs ihre legitime Entsprechung. Das Riesenorchester (mit 5 Klarinetten, 10 Hörnern, 6 Trompeten und so weiter) und die Chöre (achtstimmiger gemischter Chor, drei vierstimmige Männerchöre) hat Schönberg später reduziert. Wolfgang Sawallisch ist durchaus der Mann, ein solches Riesenensemble fest in der Hand zu behalten und auch die Feinheiten der Partitur zu betreuen. Von den Solisten müssen an erster Stelle Wilma Lipp als Tove und Waldemar Kmentt als König Waldemar genannt werden —- und dies nicht nur wegen des Umfangs ihrer Partien. Biserca Cvejic sang die besonders schöne Altpartie der Waldtaube, Tu-gomir Frank den Bauern, Hermin Esser den Klaus Narr und Mihael Heitau war der Sprecher jener melodramatischen Partie, in der Schönherg am weitesten in Neuland vorgestoßen ist. — Es sangen die Wiener Singakademie, der Singverein und der Schubertbund. Es spielte das Orchester der Wiener Symphoniker. Allen Mitwirkenden gebührt für ihre Leistungen, besonders im Hinblick auf die im Saal herrschende subtropische Temperatur, die höchste Anerkennung. — „Strah-lenlockenpracht“ war das letzte gesungene Wort dieser mächtigen Vokalsymphonie und des heurigen Musikfestes, das uns noch einmal sein Motto und seine Verhaftung in Secession und Jugendstil in Erinnerung rief.

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