Aufmacher Booklet Helleborus viridis - © Foto: iStock/ZU_09

„Eskalationsstufen“ von Barbara Rieger: Keine Chance zu fliehen

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Barbara Riegers Roman „Eskalationsstufen“ thematisiert sensibel die Gewalt an Frauen, die bis zum Femizid führt.

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Barbara Riegers Roman „Eskalationsstufen“ thematisiert sensibel die Gewalt an Frauen, die bis zum Femizid führt.

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Keine Chance zu fliehen hat die Erzählerin Julia im Vorspann von Barbara Riegers Roman „Eskalationsstufen“. „Ob es ein schönes Bild sein wird“, fragt sie sich noch, während sie auf einem Fell liegt, in Fesseln und mit einem Klebeband über dem Mund. Während sie hofft, dass alles nur ein Traum gewesen sein wird. Während sie wartet, dass ihr Freund Joe wiederkommt, um sie zu töten und sie anschließend zu malen.

Die kurze Szene antizipiert das Ende einer toxischen Beziehung, die dem Modell von Jane Monckton Smith folgend acht Stufen durchläuft, bevor der Mann seine Partnerin umbringt. Der exzentrische Joe entdeckt die attraktive Julia bei einer Vernissage, lobt ihre Zeichnungen, lädt sie zu seiner eigenen Ausstellung ein. Er zeigt verstörende Bilder von verschwundenen und ermordeten Frauen. Julia spürt die Gefahr und ist gleichzeitig fasziniert von Joes Charisma, mit dem er sein Umfeld geschickt manipuliert. Die Erzählung vom traumatisierten Künstler, der das Verschwinden seiner Ehefrau Maria nicht verarbeiten kann, und das Helfersyndrom der engagierten jungen Deutschtrainerin greifen wie ein Uhrwerk ineinander. „Joe braucht mich, um zu überleben“, sagt Julia leise zu sich selbst, als sie, bereits in Sicherheit, ein letztes Mal zu ihm zurückkehrt. Schicht für Schicht hat Joe sie aus ihrer Partnerschaft, ihrer Familie, ihrer Arbeit herausgeschält, sie gefügig gemacht, die Schleifen um sie festgezogen. Julia hat es zugelassen. Zu Beginn der Pandemie flüchten die beiden aus der Stadt in seine Jagdhütte. Dort ist auch Maria verschwunden.

„Eskalationsstufen“ ist nach „Friss oder stirb“ und „Bis ans Ende, Marie“ Barbara Riegers dritter Roman über die Abgründe menschlicher Beziehungen, und es gelingt ihr hier ganz hervorragend, das allgegenwärtige Thema Femizid zugleich sensibel und mit hohem künstlerischem Formbewusstsein anzupacken: Ihre Sprache ist rhythmisch, umkreist Gedanken in elliptischen, tastenden Sätzen, inszeniert Verunsicherung, Übergriffe und Gewalt wie einen Tanz. Ein Auszug aus dem Text wurde mit dem Frauenliteraturpreis der Stadt Linz ausgezeichnet – ein guter Anfang!

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