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Das Konzil auf dem Bildsdrirm

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Mit dem ihm ganz persönlich eigenen, die stämmige und gedrungene Persönlichkeit mit geradezu rhythmischem Schwung erfüllenden Optimismus hatte Papst Johannes in seiner Eröffnungsansprache zum Konzil davon gesprochen, daß sich letzten Endes auch das Menschenwerk unseres Jahrhunderts zum Guten wenden werde „in einem jedes menschliche Hoffen sogar noch übersteigenden Sinn“. (Wenige Tage zuvor erst hatte Kardinal Ottaviani, den manche informierte Beobachter mit einigem Recht als das geistige Haupt der konservativ denkenden Gruppe der Konzilsväter ansehen, von den Gefahren des technischen Zeitalters, von Hybris und Auflehnung gesprochen ...) In einer merkwürdigen Entsprechung zu den prophetischen Worten des Papstes stand für Millionen Menschen an diesem Morgen des 11. Oktober das Erlebnis des Fernsehens. Wer sich die Zeit nehmen konnte und sich fünf Stunden lang auf das Geschehen auf dem Bildschirm zu konzentrieren vermochte, war vielleicht mehr und intensiver „dabei“ als die Mehrzahl derer, die an irgendeinem Platz des Petersdoms dem heiligen Ereignis beiwohnten. Sie alle sahen die Dinge gezwungenermaßen nur unter einer einzigen Perspektive. Die Bildübertragung — ein Meisterwerk der Eurovision übrigens und eine nicht minder souveräne Leistung des sich nur einmal, und da allerdings sehr beziehungsreich, irrenden Kommentators — gab die Möglichkeit, fast immer ins Zentrum des Geschehens vorzustoßen, den Beginn des Konzils in sinngerechter Akzentsetzung mitzuerleben.

Man tat gut daran, sich mehr auf die eigenen Äugen als auf die — in der Mehrzahl bestimmt gut gemeinten, aber zuweilen von erschreckender Sachunkenntnis zeugenden — Berichte der meisten österreichischen Blätter zu verlassen. (Verzichten wir hier auf eine Blütenlese, sie würde von der Feststellung, daß vor dem Konzil eine „Stimmung wie vor einem Match des Europacups“ herrschte, über die Bemerkung, daß man zu Ephesus einst die „Göttlichkeit der Maria“ proklamierte, bis zur Bekanntgabe reichen, daß der Papst das vorgeschriebene Glaubensbekenntnis zu Beginn des Konzils noch durch eigene [!] Zusätze erweiterte, Begnügen wir uns nur mit der epochalen Konzilsmitteilung, daß „Otto von Habsburg für die Priesterehe“ sei und „Kardinal König dagegen“, und gehen wir in Frieden zur Tagesordnung weiter ...) Wer dem Bild mehr traute als dem Buchstaben, hat an diesem Konzilsmorgen ein Erlebnis eingeprägt erhalten, das ihm mehr von der Wirklichkeit der heutigen Kirche vermittelt, als es noch so viele gelehrte Abhandlungen vermögen.

Wir wollen hier einige Punkte dieses Gesamterlebnisses herausheben. Für den, der zu sehen bereit und willens war, markieren sie nichts unbedingt Neues. Aber vielleicht sind sie doch manchem entgangen.

Da war gleich zu Beginn, als sich die Einzugsprozession entfaltete, sehr individuell übrigens und ohne den geringsten Anklang an „Gleichschritt und Aufmarsch“, das kurze Bild des jungen afrikanischen Bischofs, der seinen greisen, nur mühsam mitkommenden Missionsbischof, einen weißbärtigen Europäer, führte: wie ein ehrfürchtig liebender Sohn, aber doch auch wie einer, der seine eigene Richtung kennt. Den Äbten gingen die Kleriker Roms voraus, gefolgt von jener kleinen Gruppe von Ordensgeistlichen, die man seit alters „Familie des Papstes“ nennt. (An den Begriff „Familie“ darf man hier aber auch nicht entfernt denken, denn in diesen fünf Stunden der Weltkirche sah man nicht ein einziges weibliches Wesen über den Bildschirm huschen, keine Nonne und keine Diplomatin, keinen photogra-phierten Ehrengast und keine in den Seitengängen postierte Hilfsschwester ...) Aber man hat kaum Zeit, solchen reichlich aussichtslosen Gedanken nachzuhängen: Die Schar der weißgekleideten Bischöfe und Erz-bischöfc beherrscht für fast eine halbe Stunde allein das Bild. Da und dort glaubt man einen Bekannten zu gewah ren. Aber bald gibt man das Suchen auf. Die Bischöfe, die man sein Leben lang als große Einzelne, als Herausgehobene zu sehen gewöhnt ist, verschmelzen zur Einheit. („Candidatus exercitus“ heißt es im Tedeum“.) Nur die östlichen Gewänder heben sich ab, die Priesterkronen der Ruthenen und Kopten, die schwarzen Kopfschleier der Griechen. Die meisten von ihnen tragen das breite Omo-phorion, das im lateinischen Ritus im Pallium der Erzbischöfe weiterlebt. Sie haben Christum gleichsam „angezogen“. Die Gesichter der Kardinäle erscheinen auf dem Bildschirm. Auch sie im liturgischen weißen Gewand der Diakone, Priester, Bischöfe. Alte Konzilsbilder kommen uns in den Sinn: die

streitenden und diskutierenden Kardinäle im Purpur, bedeckt mit den breiten Hüten, geziert mit den Ehrenzeichen der allerchristlichsten und allerkatholischesten Majestäten, als deren Sachwalter sie sehr oft zu fungieren gezwungen waren. („Wie gut, daß dieses Konzil von weltlicher Einflußnahme frei ist wie kaum ein anderes der zwanzig zuvor“, meint der Papst wenig später in seiner Eröffnungsansprache.) Daun sieht man den Heiligen Vater selbst. Er geht die breiten Stufen der „Königlichen Stiege“ hinunter, etwas mühsam und auf den einen oder anderen gestützt wie ein alter Landdechant. Um ihn herum gibt es kaum eine Absperrung. Die Menschen fluten hin und her, wie übrigens auch später, da man ihn vor dem Grab des Petrus im Gebet sieht. Zeitweise verschwindet seine Gestalt sogar in der Menge. Die Sedia gestatoria, der nicht unumstrittene triumphale Tragsessel des römischen Bischofs, erhebt ihn plötzlich. Daneben werden die berühmten Pfauenwedel sichtbar: ein Herrscherattribut aus hellenistischen Zeiten. Man schrickt für einen Augenblick zurück: Also doch immer wieder der historische Ballast der Jahrhunderte, immer wieder das große barocke Zeremoniell. .. Aber dann sieht man das Gesicht des Papstes selbst, in sich gekehrt, die Segenshand fast nur gewohnheitsmäßig erhebend. Man glaubt, seine Gedanken lesen zu können. „Knecht der Knechte ...“

„Der Heilige Vater wird zu Fuß durch den Petersdom gehen. Er hat erst vor kurzem gesagt, daß er es als eine Art Demütigung empfinden würde, in dieser Weise an den Bischöfen vorbeigetragen zu werden“, meldet der Sprecher.

Dann sieht man noch einmal den Papst auf dem Thron. Er blickt etwas ungeduldig auf die Uhr. Es hat mit der Prozession länger gedauert als erwartet. Er läßt sich also nicht absetzen, sondern zieht auf dem Tragsessel ein. Eine Meinungsänderung des rasch Entschlossenen? Ein gebieterisches Diktat des von manchem vatikanischen Würdenträger gerade jetzt nicht ungern gehandhabten Zeremoniells? Wer kann es wissen?

Immer wieder ist von jetzt an das Kirchenschiff zu sehen, das wogende Meer der weißen Mitren. Dann huscht

die Kamera über die Tribünen. Man sieht die ausländischen Gäste: Neben Allemagnia, vertreten durch den verschlossen wirkenden Außenminister Schröder, und Argentinia erscheint Austria im Bild: das massige Gesicht des Unterrichtsministers. Dann gleich wieder andere Köpfe: ein uralter Chinese von der Insel Tschiangkaischeks, Orientalen, goldbefrackte europäische Hofdiplomaten, auf einem besonderen Sessel der Staatspräsident Italiens: das hagere Philosophenpröfil Segnis. (Ein kurzes historisches Zurückdenken. Vor neunzig Jahren hieß Italiens Oberhaupt Victor Emmanuel. Er stand als militanter Feind vor den Mauern des Konzils, als Exkommunizierter und „Kirchenräuber“ ...) Die Zeiten ändern sich. Kaum, daß die Tribüne der Ehrengäste und Fürstlichkeiten für die Kamera noch eines längeren Blickes wert ist. Die Zeiten des Mittelalters oder gar der Antike sind verschwunden, da die gekrönten Häupter die Ehrenplätze einnahmen. Auch von den nichtkatholischen Beobachtern ist kaum einer genau zu erkennen. Aber man gewahrt ihre Kleidung: die weißen Beffchen des evangelischen Pastors, den zivilen Kleidungsschnitt des amerikanischen Freikirchlers und daneben die würdige, priesterliche Gewandung des östlichen Christen. Der Chorgesang ist deutlich und in seiner gregorianischen Klarheit bis ins Letzte durchleuchtet: „Laudate Dominum, omnes gentes“, „Salve Regina“, „Ma-gnificat“, „Benedictus“. Und dann, vom Papst angestimmt: „Veni Creator Spiritus“ ... Auch jeder von uns kennt diese ergreifende Melodie von Pfingsten her: „Komm, Schöpfer, Geist, kehr bei uns ein ...“ Wir folgen der Messe. Selbst da, wo sie zur heiligen Handlung im strengsten Sinn wird, fühlen wir uns nicht verletzt. Ist es nicht in der Ostkirche heute noch

10 — wir erlebten das beim Eucharisti-schen Kongreß in München —, daß die Einsetzungsworte nicht geflüstert, sondern laut gesungen werden? Unser Augenniederschlagen, unsere Totenstille: ist das nicht antik-heidnische Arkandisziplin? Wir sehen die Hände des Kardinals Tisserant, wie sie die Hostie erheben, hören seine Stimme. Und manchem geht es jetzt mit einem Male wieder auf, was wir im Katechismus stehen haben: Realpräsenz. „Wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig ...“ Der Friedenskuß folgt. Der Papst, der zu Beginn zusammen mit dem Kardinal das Confiteor gebetet hat, Bruder unter Brüdern, und der Messe nur „anwohnte“ (wie es so schön in den Zeremonienbüchern heißt), empfängt ihn durch einen Diakon wie eine ganz persönliche Botschaft. Dann wandert dieser Kuß über die Bischofstribünen. Niemand kann sich diesem Eindruck entziehen. Ebensowenig wie der Verkündigung des eigentlichen Konzilsbeginns, die sich nun unmittelbar anschließt.

Das heilige Evangelienbuch, das der Generalsekretär des Konzils, Erzbischof Felici, auf den kleinen, beweglichen Konzilsaltar legt, ist ein uralter vatikanischer Kodex. Für ein paar Augenblicke sehen wir die Miniaturen des aufgeschlagenen Bandes. Dann nimmt die Schrift ihren Thron ein. Ehrfürchtig beräuchert und wie ein heiliges Wesen verehrt. Kein Gläubiger des Alten Bundes kann seiner Thorahrolle mehr Huldigung erweisen. Die Stimme des Papstes spricht das Konzilsgebet: „Adsumus“. So sollen schon die Väter von Konstanz gebetet haben, vor mehr als 500 Jahren. Die Allerheiligenlitanei ist in jeder Anrufung zu verstehen. Unter den Fürbitten ist eine eigene für das Konzil. Sie wird dreimal angestimmt, jedesmal vom Papst selbst. „Wir bitten Dich, erhöre uns .. .“ lautet die tausendstimmige Antwort. Der Papst legt nun das Glaubensbekenntnis ab. Johannes kniet vor seinem Thron. Das Buch wird ihm gereicht, das die ausführliche Glaubensformel enthält. Mit einem Male sind die alten Konzile wieder ganz lebendig. Was einst dort formuliert und verkündet wurde, ist nun zum Fundament geworden. Der Papst spricht die hart klingenden Sätze der Unterscheidung deutlich, aber ohne jeden Unterton yon Fanatismus. Ein ruhiges, in sich gefestigtes Treuebekenntnis, keine Flammenpredigt. Auch knapp vorher, als ihm, dem Petrusnachfolger, die Kardinäle und die Delegierten der bischöflichen und mönchischen Konzilsväter die Treuehuldigung darbringen, versteht er es, die für unser Empfinden etwas antiquiert anmutende Zeremonie des Ring-, Stola- und Fußkusses mit gewinnender Menschlichkeit zu verklären. Er hat für fast jeden ein paar Worte, eine Handbewegung, eine spontane Geste übrig. Die Kardinäle begrüßen ihn auf ihre Weise, gemessen die einen, greisenhaftvertraulich die anderen, mit Händedruck auch für die Thronassistenz die Amerikaner... So wie er hat wohl einst Joseph seine Brüder umarmt, auch die, die ihn nicht gerade brüderlich behandelt hatten.

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