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Das Wunder der Österreichwoche

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Die Propagandisten, Werbeexperten, Iniagezauberer und Kreatoren der Public-Relation-Branche sind um ihr jährliches Endoktoberpensum nicht zu beneiden. Jedes Jahr dasselbe: die letzte Oktoberwoche ist der Propagierung österreichischer Qualität gewidmet.

Man muß sich einmal die vielen Tage und Wochen des Jahres vor Augen führen, die den heiligen Zwecken der Wirtschaft zugedacht sind. Der Weltmilchtag leuchtet ein und steigert Milchkonsum und -Produktion. Der Valentinstag ist sympathisch und fördert den Blumenabsatz. Der Weltspartag lenkt den Geldström auf die Sparkonten. Der Muttertag — ja, es soll tatsächlich Menschen geben, die sich nur an diesem Tag ihrer Mutter erinnern, aber der Geschenkumsatz macht diesen Tag zum Fest. Sogar der Vatertag gewinnt an Boden, der Tag des Waldes fördert Ausflug und Verkehr, die Weißen Wochen stärken das Interesse für Weißware mit ausgiebigem Niederschlag in den Umsatzziffern, die Ausverkaufswochen bringen Ramsch und Restln an den Mann beziehungsweise die Frau — alles dankenswerte und im Erfolg meßbare Marksteine am der Straße des wirtschaftlichen Wachstums. Das Werbafach kann seine Prozente an Hand des Kassensturzes der betreuten Branchen ausrechnen. Fähnchen, Inserate, TV- Spots, PR-Seiten, Slogans und andere Produkte der kreativen und animatorischen Spezialisten setzen sich in reale Konsum- und Produktionssteigerungen um. Der Erfolg ist sichtbar. Nicht sicht- und meßbar ist er hingegen in der Woche vor Allerseelen, denn es handelt sich um eine Erinnerungswoche,

in der der Österreicher an die Qualität seiner Waren erinnert wird. Da nun niemand plötzlichem Entschluß zufolge in ein Geschäft geht und österreichische Qualität kauft, wie ihm eindringlich empfohlen, so gibt es am Ende dieser Woche keine Bilanzfreuden, und der Reklameexperte hat nicht den geringsten Anhalt, ob seine Full-Ser- vice-Bemühungen auch tatsächlich angekommen sind. Und dabei wäre es so schön, wenn man das wüßte. Der Grund dafür ist metaphysisch. In einem Land, in dem man nur mit fremden i im Namen Karriere macht und ohne Ypsilon, das heißt mit einem gewöhnlichen i im Winkel ab gestellt bleibt, wäre es einmal so unendlich wichtig, die Liebe zu den eigenen Dingen messen zu können — sofern sie überhaupt existiert. Das ist es, was Kummer macht.

Man geht über die kleine Grenze einkaufen, weil es draußen besser und billiger ist, man zieht die Ware von draußen der inländischen vor, auch wenn die St. Gallener Spitzen vielfach aus Vorarlberg stammen und der Käse, den man aus Italien als Souvenir für zwei Wochen heimbringt, aus der Steiermark kommt. Aber wer weiß schon, daß die mit der Weihe der Auslands - herkunft gekennzeichnete Ware inländischer Güte ist?

Der Österreicher kennt nur eine Ausnahme von dieser Regel: Produkte, die er selbst mit eigener Hand herstellt, sind von einmaliger, in der Welt nicht übertroffener Güte. Aber da die paar Molkereiarbeiter nicht davon leben können, daß sie ihren ausgezeichneten Käse selbst essen, weiß sich der Werbefex mit einem einfachen Trick zu helfen:

er gibt dem Käse einen französischen Namen, die Möbel kriegen das klangvolle Wort „Europa“ (ein Gedanke, auf den die Schweden mit ihren ins Primitive modernisierten Bauernmöbeln nie kommen würden), eine ihres österreichischen Geschmacks wirklich nicht zu entkleidende Farbe, das Altwiener Rosa, bekommt wenigstens eine englische Marke, „Austrian pink“, und kann man in der Fremdenverkehrspropaganda schon aus geographischen Gründen den heimatlichen Namen nicht verschweigen, dann schreibt man ihn wenigstens mit Ypsilon — Tyrol (siehe oben), denn das macht sich doch so gut. Ob Ybbs Erfolg hat,

seitdem es sich nicht mehr Ips schreibt, ist nicht bekannt, bekannt ist aber den Wirtschaftshistorikern, daß man schon in der Monarchie österreichisches Leinen zuerst nach Irland schickte und es von dort reimportierte, um es als echtes irisches Leinen in der fremdgläubigen Heimat an den Mann zu bringen. Der Werbemann, gewohnt, sich an die Kundenwünsche zu halten, hat es das ganze Jahr über mit der österreichischen Ware leicht — er verleiht ihr hottentottische Herkunft, bezeichnet sie fremd und schon stürzt sich der Einheimische darauf.

Nur in der letzten Oktoberwoche ist das anders. Da soll der Einheimische erfahren, daß alles Heimische gut ist, und dieser hört mit Staunen die Kunde. Dieweil kassieren die Ramschbuden rings um Österreichs Grenzen herum den Schilling aus dem österreichischen Weihnachtsein kauf. Der Werbemann preist österreichische Qualität und muß letzten Endes vor dem Inserat kapitulieren, das im einheimischen Blatt die Hongkongware auf der anderen Seite der Grenze anbietet. Das Wunder der österreichischen Woche ist perfekt: es klingelt in der nachbarlichen Kasse. Heuer hat diese Tradition freilich einen Stoß bekommen. Die Deutschen wollen nicht mehr so viel verkaufen, weil ihnen die . eigene Tüchtigkeit den Währungsnerv reizt, und sie erhöhten zu diesem Zweck den Kurs der Mark. Es scheint deshalb heuer fast so, daß die Werbeexperten Ende Oktober das ernten können, was die DM-Aufwertung gesät hat. Was ihnen nach den Jahren vergeblicher Mühen gegönnt sei. Denn letzten Endes leben wir alle davon, daß das, was wir Herstellen, gut ist.

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