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Kulturpolitik für morgen

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DIE FURCHE: Herr Minister! In vielen Staaten, in Europa und weit über Europa hinaus, macht man sich gegenwärtig Sorgen, und gerade in unseren Nachbarländern auch bedeutende Anstrengungen in bezug auf eine Kulturpolitik und eine Bildungspolitik für morgen. Leidige Auseinandersetzungen in Österreich in der letzten Zeit haben gezeigt, wie sehr es nötig ist, eine eigenständige und produktive österreichische Kulturpolitik zu betreiben. Was halten Sie für vordringliche Aufgaben einer österreichischen Kulturpolitik für morgen?

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Wenn Sie ln den letzten Wochen und Tagen durch Wiens Straßen gegangen sind, werden Sie immer wieder auch dies gesehen haben: eine Jugend aus den Bundesländern, aus ganz Österreich, die da, von ihren Schulen aus und mit ihren Lehrerinnen und Lehrern, nach Wien gekommen ist. Diese Jugend will sehen, lernen, will die Welt, will Österreich kennenlernen. Für diese Jugend sind wir alle verantwortlich. Sie wird morgen Österreich gestalten oder nicht gestalten. Ich sehe es als eine erstrangige Aufgabe einer österreichischen Kulturpolitik und Bildungspolitik an, die Jugend dm guten Sinn zu erwecken, ihr bewußt zu machen, daß sie ihre reichen Kräfte in Österreich und für Österreich entwickelt und einsetzt. Wir haben unsere Jugend zur Mitverantwortung zu erziehen. Österreich braucht eine junge Generation, die nicht lethargisch, passiv „sich gehen läßt”, wie man so sagt und leider auch oft tut, sondern die sich froh und frei zur Mitarbeit in und für Österreich entscheidet. Ich verstehe dabei Österreich nicht exklusiv, sondern als einen Staat und ein Volk, das sich seiner Verpflichtungen in Europa und der Menschheit gegenüber, die heute in so großen Entwicklungsprozessen sich befindet, bewußt ist.

DIE FURCHE: Was wollen Sie für diese Jugend tun?

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Zunächst gilt es, für diese unsere Jugend die bestmöglichen Schulen und Ausbildungsstätten und die besten Lehrkräfte zu gewinnen. Beides in Stadt und Land, in den Städten und Bundesländern. Möglichst früh müssen wir da in unserer Jugend ein echtes, gesundes, ich betone nochmals, ein durchaus nicht exklusives, andere ausschließendes österreichisches Lebensgefühl erwecken: das Wissen und auch die Erfahrung, daß es sich im guten Sinne lohnt, hier, in öster-reich’ zu leben und zu arbeiten. Neben die Spezialausbildung für den Beruf soll früh die Erziehung und Bildung des ganzen Menschen treten. Die Bildung zur Erfahrung und Leistung des Guten, Wahren, Schönen. Ich glaube, daß unsere Jugend und unsere junge Generation durchaus bereit sind, Opfer für Österreich auf sich zu nehmen, wenn sie sehen, daß sie nicht mit Phrasen abgespeist werden. Unsere Jugend soll kritisch und wach werden; sie soll die Schwächen und Fehler die in unserem Staat gemacht werden, sehen, wie sie bereits die Krankheiten unserer Gesellschaft oft in der eigenen Familie sehr früh schmerzlich erkennen lernt. Diese Jugend soll — und dazu muß unsere Bildungs- und Kulturpolitik ihr helfen — unser Österreich aber gerade in dieser Erfahrung lieben lernen, so, wie man eine Mutter liebt, auch wenn man ihre Schwächen sehr gut kennt.

DIE FURCHE: Sie denken vordringlich an unsere Jugend, an ihre Zukunft, an ihre Verantwortung für Österreichs Morgen; eine Verantwortung, die heute bereits beginnt. Sie wissen, Herr Minister, wie viele Erzieher, Ärzte und Soziologen sich um die Jugend von heute Sorgen machen, da diese Jugend in einer Gesellschaft heranwächst, die ihr so viele böse und schlechte Beispiele, wie man eben nicht recht lebt, gibt.

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Ein weithin animalisches Dahinleben im Genuß, im Konsum, hat viele Menschen dazu verführt, Kultur einfach mit Kulturkonsum, mit Konsumation von Kulturgütern, die andere geschaffen haben, zu identifizieren. Ein sehr egoistischer Genuß von Kulturgütern entnervt jedoch, macht den einzelnen schwach und unfähig, selbst am kulturellen Leben teilzunehmen. Wir Österreicher dürfen nicht Selbstverzehrer, Selbstverbraucher werden! Eine österreichische Kulturpolitik, die sich ihrer Verantwortung für das ganze Volk bewußt ist, .muß diese genüßliche Art, sich ausschließlich und allein mit den Reproduktionen bereits gesetzter Kulturwerke zu befriedigen, als unbefriedigend, ja als alarmierend ansehen. Ein rechtes Menschenleben bedeutet nicht nur genießen! Kultur ist mehr als Konsum! Kultur ist mehr als Reproduktion. Wenn es uns in Österreich nicht gelingt, wieder eine Volkskultur mitzuschaffen — in einem langwierigen und schwierigen Aufbauprozeß —, werden wir kulturell versiegen und versanden. Wir wollen deshalb alle jene Künste besonders fördern, die gemeinschaftsbildend sind. Eine echte und lebendige Volkskultur läßt sirti mit einem Chor vergleichen, auch mit einer Symphonie: In ihr wirken sehr verschiedene Kräfte, Stimmen und Personen zusammen!

DIE FURCHE: Herr Minister, wie stellen Sie sich die Führungsaufgabe Ihres Ministeriums in bezug auf die so vielfältigen Bereiche der Kultur und des kulturellen Schaffens in Österreich vor? Böswillige Zungen haben in letzter Zeit Ihrem Ministerium unterstellt, eine Art Diktatur aufrichten zu wollen.

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Sie sprechen mich offen an. Ich will offen antworten. Sie sprechen von einer Führungsaufgabe des Unterrichtsministeriums. Ich möchte es eine Führungsverpflichtung nennen. Ein Minister ist dazu da, dem Volk und dem Staat zu dienen. Ein Ministerium, das für Unterricht, Kultur, Bildung zuständig ist, hat allen den so vielfältigen und vielfarbigen schöpferischen Kräften in Österreich zu dienen, soll ihnen freie Bahn schaffen. Es gibt eine alte, große österreichische Tradition, die wohl besonders durch Maria Theresia geschaffen wurde: In dieser Tradition stehend haben Beamte, hohe, mittlere und kleine Beamte, ihr Leben, ihr ganzes Leben als Dienst am Staat und am Volk verstanden und gelebt. Beamter in diesem Sinne, in einem Ministerium, so verstanden, ist mehr und ist etwas anderes als Bürokrat sein. Minister sein heißt nicht Diktator sein oder werden, sondern schlicht dies: Gegen alle Diktaturen, gerade auch auf den Sektoren der Kunst und Kulturproduktion, mannhaft und offen auf- treten. Jede Monokultur, jede Einmannherrschaft ist von Übel. Wir laden alle, die es angeht und die sich berufen fühlen und befähigt wissen, zur Mitarbeit in Österreich ein.

DIE FURCHE: Sie sprechen von Österreich. Soll für dieses Österreich, das ja nicht nur aus Wien besteht, die ganze Kulturpolitik straff zentralisiert in Wien, am Minoritenplatz, gemacht werden?

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Nein! Ich bin gegen jeden überstiegenen Zentralismus. Genauso, wie es unsere Aufgabe ist, in unserer Jugend den einzelnen anzusprechen und zu gewinnen — für die größere Gemeinschaft —, genauso, wie wir nicht Kulturpolitik für eine kleine Schar von Privilegierten, für eine Kaste oder Klasse, für Snobs oder eine Clique bevorrechteter Kunstgenießer betreiben wollen, genauso sehen wir es als eine besondere Verpflichtung an, die kulturelle Arbeit in den einzelnen Bundesländern anzuregen, anzuspornen — nicht aber sie zentralistisch zu gängeln oder gar zu bevormunden. Vom Burgenland bis zum Bodensee, vom Steinbruch in St. Margarethen, in dem durch die Initiative junger Künstler ein Symposion von Bildhauern aus aller Welt geworden ist, bis zu den Bregenzer Festspielen, von Linz bis Klagenfurt; Salzburg, die schöne Stadt, nicht zu übersehen: wir auf dem Minoritenplatz sind für alle da, die in Österreich schaffen, schöpferisch arbeiten und leben wollen!

DIE FURCHE: Welche Rolle fällt da Wien zu? Denn dies ist doch eine wohl notwendige Tatsache: In Ihrem Ministerium, in den Wiener Ministerien, in der Hauptstadt, in der die Regierung und das Parlament ihren Sitz und Arbeitsplatz haben, kommt, so scheint es, ein Übergewicht Wiens zum Ausdruck, das in den Bundesländern viel Verdruß geschaffen hat.

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Ich betrachte es als eine schöne und wichtige Aufgabe einer österreichischen Kulturpolitik, endlich die vielen Vorurteile auszuräumen, die um Wien, gegen Wien, vielleicht auch in Wien bestehen. Ich bin gegen jede falsche Selbstgenügsamkeit. Unser Wien gehört, richtig verstanden — und so soll es ja unsere Jugend aus den Bundesländern bei ihren ersten Besuchen bereits erleben —, sowohl den Wienern im engeren Sinne, wie allen Österreichern. Wien soll vermitteln. Wien soll für alle da sein. Gerade so hat Wien nicht nur eine kulturpolitische, sondern auch eine staatspolitische Funktion! Unsere Kulturpolitik hat überparteiliche Aufgaben zu erfüllen: Sie wendet sich an alle, die es mit Österreich und mit unserem Volk gut meinen. Die Ereignisse der letzten Zeit haben gezeigt, daß es quer durch die Parteien hindurch einen gesunden österreichischen Patriotismus gibt, dem, allen Vernebelungen zum Trotz, der wahre Wiederaufbau unserer vom Staat erhaltenen Kulturinstitute am Herzen liegt. Wien und die Bundesländer kulturell noch mehr zusammenzubringen als bisher, so daß alles schiefe Sehen aufhört und niemand sich als ein Stiefkind der staatlichen Kulturbetreuung ansehen soll: dafür soll eine föderalistische Kulturpolitik sich einsetzen, die es ernst meint mit den gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Staat und Volk, zwischen den Bundesländern und Wien.

DIE FURCHE: Herr Minister, Sie haben von unserer Jugend, von einer gesamtösterreichischen Kulturpolitik von Wien und den Ländern gesprochen. Wien liegt nahe an zwei Staatsgrenzen. Österreich ist keine Insel. Sie haben am Beginn unseres Gesprächs selbst darauf hingewiesen, daß Sie Österreich nicht exklusiv verstehen. Ein falscher Kantönligeist, ein falscher Provinzialismus müßte Österreich sowohl politisch wie kulturell gefährlich schädigen.

DR. PIFFL-PERČEVIČ: Nichts liegt mir ferner, als einen falschen Provinzialismus zu fördern oder ihm auch pur das Wort reden zu wollen. Im Gegenteil: Mich hat es seit vielen Jahren oft bedrückt, wenn man da so oft in Festreden, in gefälligen Publikationen gesagt hat: Österreich ist eine Brücke, eine Brücke zwischen Ost und West, Nord und Süd. Es ist heute hoch an der Zeit, daß wir gerade in Wien weniger diese Phrase gebrauchen, wohl aber mehr dafür tun. Viele Besuche, gerade aus unseren östlichen Nachbarländern, zeigen uns, wie man auf uns wartet: Tut etwas, in Wien, in Österreich. Eine aktive österreichische Kulturpolitik hat gerade von Wien aus Budapest und Prag, Warschau und Agram, die alten Nachbarstädte und Nachbarländer Österreichs, nicht aus den Augen zu verlieren. West und Ost sollen sich in Wien nicht nur bei Kongressen und einzelnen Veranstaltungen treffen, sondern in kulturellen Institutionen zu gemeinsamer Arbeit einfinden. Dies halte ich für das Wichtigste: Nicht das Spektakuläre, nicht eine Revue, nicht die Sensation sind zu fördern, sondern dies: Die gewissenhafte, saubere kulturelle Arbeit, das schöpferische Werk, neben einer gewissenhaften Reproduktion, die Künste und die Künstler, die für die Gemeinschaft wirken und eine wirklich schönere, auch seelisch reichere Zukunft schaffen. Ein Österreich, das so, recht verstanden, seine schöpferischen Persönlichkeiten ehrt und nährt und sich als ein Gastland für Künstler, Wissenschafter, für Menschen aller Berufe, Stände, Rassen versteht, braucht um seine Zukunft nicht abergläubisch in falscher Sorge zu sein. Wenn das aber gelingen soll, dann müssen sich, durch viele falsche Fronten von gestern und auch noch heute hindurch, Patrioten finden. Kunst und Wissenschaft haben diese schöne Möglich-, keit: unser aller Leben schöner, reicher, erfüllter zu machen. Unsere Jugend wird sich für Österreich entscheiden, wenn wir ihr hier die Wege bahnen, echte Aufgaben stellen und wirklich erstrebenswerte Ziele zeigen. Das ist das erste und letzte Ziel einer verantwortungsbewußten Kulturpolitik: der Jugend helfen und die Sperren aufzuheben, die so manches Wachstum in Richtung Zukunft lange Jahre hindurch behindert haben.

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