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Keine Anti-Wien-Tirade: aber...

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Föderalistisch ist ein Staatssystem, in dem sich selbständige, gleichberechtigte Einheiten, in Österreich Bundesländer, zu einem Gesamtstaat zusammenschließen. Das bewirkt, daß nicht alle Macht und nicht alles Geld in einer Metropole konzentriert sind, sondern daß Subzentralen, in unserem Fall Landeshauptstädte, bestehen, in denen der Bürger die Chance hat, zu seinem Recht zu kommen, ohne den weiteren Weg zur zentralen Macht in der Zentralhauptstadt antreten zu müssen. Politik und Verwaltung sind hn föderativen Staat menschennäher als im zentralistischen.

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Föderalistisch ist ein Staatssystem, in dem sich selbständige, gleichberechtigte Einheiten, in Österreich Bundesländer, zu einem Gesamtstaat zusammenschließen. Das bewirkt, daß nicht alle Macht und nicht alles Geld in einer Metropole konzentriert sind, sondern daß Subzentralen, in unserem Fall Landeshauptstädte, bestehen, in denen der Bürger die Chance hat, zu seinem Recht zu kommen, ohne den weiteren Weg zur zentralen Macht in der Zentralhauptstadt antreten zu müssen. Politik und Verwaltung sind hn föderativen Staat menschennäher als im zentralistischen.

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Es ist eine weltweite Entwicklung, daß die riesigen Machtkonzentrationen in Zentralbürokratien für den Einzelbürger immer fremder, unübersichtlicher, quälender werden: es sind Megastrukturen, die zum allgemeinen Überdruß gegenüber Staat und Politik führen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in zen-tralistisch gesteuerten Ländern die Diskussion um mehr Unabhängigkeit für Einzelregionen in letzter Zeit immer stärker aufflammt. Es gibt Lösungen wie die Regionalisierung in Italien, um die anderswo noch gerungen wird: in Frankreich (nicht nur für die Bretonen), in der Schweiz für einen neuen Kanton im französischen Jura, in Großbritannien für Schottland und Wales (vom nordirischen Dilemma ganz zu schweigen). Es gibt schwelende Probleme, die im Westen (wie etwa in Belgien) offener daliegen als im Osten, wo die zentrale Diktatur eine Debatte um Föderalismus oder Regionalisierung weitgehend verhindert. Wo jedes Gespräch darüber von Zentralen abgelehnt wird, kann aber eines Tages der Ruf nach totaler Trennung ertönen wie bei den baskischen Separatisten im Westen und wer weiß bei wem schon morgen im Osten.

Allgemein kann man sagen, daß unterentwickelte Länder zu diktato-

rischen, also zentralistischen Lösungen neigen. Mit fortschreitender Entwicklung entsteht außerhalb der Zentrale mehr und mehr geistiges und wirtschaftliches Potential, das mehr Selbständigkeit und den Abbau von regionalen Ungleichheiten verlangt. In Österreich ist diese Entwicklungsphase längst erreicht. Fortschrittliche Politik würde daher steigende Dezentralisierung heißen. Genau das Gegenteil, rückschrittlicher Zentralismus, wird von der derzeitigen Bundesregierung betrieben. In Bildungs- und Kunstpolitik wirkt sich das beispielsweise wie folgt aus: Das UOG hat den Hochschulen Autonomie genommen und mehr Verfügungsgewalt in ein zentrales Ministerium verlegt. Während an den Schulen selbst hochqualifizierte Leute kostbare Zeit in Kommissionen mit Sekundärproblemen verplempern, fallen die wesentlichen Entscheidungen über Personal und Geld hinter dicken Polstertüren in einem Politbüro in Wien. Im Manifest der 59 haben kürzlich polnische Intellektuelle für ihr kommunistisches Land eine Forderung erhoben, die auch in Österreich 1976 geschrieben sein könnte: „Die Freiheit der Wissenschaften und der Forschung

ist solange unterbunden, als die personale Auswahl der Wissenschaftler und die Auswahl der Forschungsaufträge von den staatlichen Stellen gehandhabt wird und solange bei dieser Auswahl politische Kriterien ausschlaggebend sind. Die Autonomie der Universitäten ist daher wiederherzustellen, die Wissenschaft muß ihre Freiheit wiedererlangen.“

Durch sinnlose Reglementierungen haben die neuen Schulgesetze einen Kulturverlust eingeleitet. Was sollen beispielsweise absurde Bestimmungen, nach denen der Staat jedem Lehrer in ganz Österreich vorschreibt, wie oft (genauer: wie selten) er seinen Unterricht durch einen Lehrausgang auflockern darf? Was soll ein solches Mißtrauen gegenüber der Urteilsfähigkeit von Lehrern und Direktoren? Diesbezügliche Einsprüche kontert der Minister mit phlegmatischen Hinweisen auf ein „Jahrhundertgesetz“. Soll das heißen, daß es ein Jahrhundert dauern wird, bis das Gesetz brauchbar wird?

Unsere zentralen Bühnen, die Bundestheater, sind ein wichtiges Schaufenster Österreichs. Daher spricht alles für das Prinzip Bundestheater, aber auch alles gegen sinnlose Verschwendung und gegen Privilegien, die dort herrschen. Die Pfründen, die

es dort allenthalben gibt, werden durch sauer erarbeitete Gelder finanziert, die von Menschen aus ganz Österreich stammen, denen man auf der anderen Seite die paar Groschen noch kürzt, die die Bundesregierung den Bühnen in den Ländern und Städten außerhalb Wiens gnädig hinwirft.

Der Programmauftrag des ORF ist föderalistisch. Die Einrichtung ORF versucht, diesem Auftrag gerecht zu werden. Aber läßt man sie auch wirklich? Immer wieder gibt es zum Beispiel Versuche, das Bildungsprogramm des ORF, die sogenannte ORF-Akademie, mit Mitteln der Geheimdiplomatie unter strengem Ausschluß der Bundesländer einzurichten. Das dürfte in das Machtkonzept einer Parteizentrale passen, aber es widerspricht den Interessen der Menschen in allen Regionen Österreichs, die sich nicht einfach auf einen Parteinenner bringen lassen.

Und darum geht es bei der Frage Föderalismus: um die Interessen der Menschen aller Bundesländer. Es sind vielfältige Interessen, denn die österreichischen Länder sind in Jahrhunderten gewachsen und haben jedes für sich ihre eigenen Probleme. Ihre Verschiedenheiten machen den

Reichtum der österreichischen Szenerie aus. Es wäre sinnlos und inhuman, sie einebnen zu wollen. Keinem Gamsbartdenken wird hier das Wort geredet und keinem künstlichen „Regionalnationalismus“. Was hier verlangt wird, ist der Geist der Partnerschaft, der Toleranz von Mehrheiten gegenüber Minderheiten, der einzige, mit dem auf die Dauer menschliche Lösungen gefunden werden können. Dieser Geist ist natürlich nicht streng auf die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Bundesländern zu beschränken. In einer fortschrittlichen Gesellschaft sind in diese Partnerschaft nicht bloß Staat, Länder und Gemeinden, sondern auch alle übrigen Gruppen bis zu Vereinen und Einzelpersonen einzubeziehen. Das kann

im Sinne von kulturellem Föderalismus folgende Notwendigkeiten ergeben:

Mehr dezentrales Denken zwecks Findung gemeinsamer Strategien von Bund und Bundesländern. Weiterentwicklung der Konferenzen der Landeskulturreferenten zu einer gemeinsamen Konferenz Bund-Länder mit beiderseits verbindlichen Beschlüssen über gemeinsame Schwerpunktbildungen.

Kulturarbeit scheitert oft am Raummangel. Daher müssen kooperative Modelle Bund-Länder-Gemeinden durchgespielt werden, um aus Schulneubauten mit wenig Mehraufwand zugleich Kulturzentren für Gemeinden und Regionen zu machen.

Kooperative Modelle fehlen auch auf dem Personalsektor. Immer mehr Lehrer treten nebenberuflich als Erwachsenen- und Jugendbildner auf. Das ergibt Personalfragen, die nur kooperativ gelöst werden können.

Mehr Mut ist nötig, Verfügungsmacht von Zentralen auf den einzelnen Staatsbürger zu übertragen. Ein Beispiel ist die hartnäckig verweigerte Steuerbegünstigung für private Aufwendungen der Kunstför-

derung. Durch sie würden nach bewährten ausländischen Beispielen öffentliche und private Förderung entstehen, mehr Chancen für Künstler und Kunst in Österreich.

Diese Steuerbegünstigung müßte auf einen zu gründenden Feuerwehrfonds gegen den weiteren kulturellen Ausverkauf Österreichs und vor allem auf die Denkmalpflege angewendet werden. Die Versager des „Kulturstaates“ Österreich sind auf diesem Gebiet in den letzten Jahren ungeheuerlich, die Nichtbeteiligung des Bundes am Europäischen Jahr des Denkmalschutzes war blamabel. Ein paar schöne Reden mit Streichquartett zur Untermalung können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das finanziell ausgehungerte Bun-desdenkmalamt ohnmächtig einer

großen Verfalls- und Zerstörungswelle zusehen muß. Wenn schon der Bund in diesem Bereich so gut wie alle Aufgaben den Ländern, Gemeinden und Privaten zuschiebt, dann hat er auch die Pflicht und Schuldigkeit, ihnen die Mittel dafür in die Hände zu geben. Das bedeutet: erstens Abtretung der Bundeskompetenz in Sachen Denkmalschutz an die Bundesländer, zweitens Aufstockung der dafür vorgesehenen Mittel über den Finanzausgleich, drittens steuerliche Begünstigung für Aufwendungen in Sachen Denkmalpflege.

Damit sind wir beim Kern der Frage angelangt. Wenn Kultur lebt, ist sie eine Frage für Einzelpersonen und kleine überschaubare Gemeinschaften. Damit die sich entfalten können, müssen große Einheiten, wie der Staat, Verfügungsgewalt an kleinere abtreten. Nicht, was der Staat vorschreibt, ist Kultur, sondern was einzelne Personen und Gemeinschaften selbst für ihre Entfaltung zu leisten gewillt und imstande sind. Kultur in einer Phase höherer Entwicklung bedeutet Entstaatlichung des Menschen, mehr Chancen für seine persönliche Kultur. Der fortschrittliche Kulturpolitiker muß daher bereit sein, jeden einzelnen als Partner

anzuerkennen. Seine Politik muß partizipatorisch sein. Im Klartext heißt das: demokratische Kulturpolitik ist mit zentralistischer Machtpolitik unvereinbar. Aber noch nie war zentralistische Machtpolitik in Österreich seit 1945 so stark wie heute.

Das ist keine Anti-Wien-Tirade. Im Gegenteil, in dieser Stadt gibt es Talente in Menge, wie selten wo. Nur hat man den Eindruck, manche Talente würden durch ein primitives Freund-Feind-Denken zu Tode verwaltet.

Das ist auch keine Anti-Sozialis-mus-Tirade. Selbst wenn in Österreich seit 1970 allzu oft das Prinzip „right or wrong, my party“ herrscht, selbst wenn Sozialismus in West und Ost noch überall ein Kraftfutter für zentrale Politbürokratien geworden ist — wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, daß endlich irgendwo ein paar neue Sozialisten auftauchen, die ihre Thesen vom Abbau des Staates ernstnehmen. Warum nicht bei uns in Österreich?

Alles ist also eine Frage der Einstellung. Kultureller Föderalismus ist in Wirklichkeit nur ein Teilproblem der Beziehungen des Bürgers zum Staat und umgekehrt. Sollen diese Beziehungen verbessert werden, setzt das voraus, daß es immer mehr Menschen gibt, die gegen den Strom des Machthungers einer neuen herrschenden Klasse schwimmen. Das braucht sicherlich eine neue Einstellung zum Menschen und zur Gesellschaft. Und darüber wäre weiter zu diskutieren.

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