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Lagerleben im anatolischen Gesäuse

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Da, wo die Gebirge auseinanderstreben, stürzt aus einer Felsenwildnis eisblau und überlaut ein reißender Fluß, der Tedscher. Hohe Felswände tauchen in die Unendlichkeit des Himmels. Immer neue Felsberge schieben sich ineinander, verschwinden im ziehenden Nebel. Manchmal tauchen bläuliche Schneeberge auf, verlieren sich wieder. „Taschly Dere“, „Stcintal“, heißt die Gegend, die an unser Gesäuse erinnert.

Rund um ein geborstenes Gebäude, eine ehemalige Mühle, sind viele Zelte aufgeschlagen. Lagerfeuer glimmen, röten den Himmel, erlöschen nie. Völker des Orients schaffen in Taschly Dere\ Sie bauen eine Bahn *. Brücken, Viadukte entstehen, Berge werden durchbohrt. Abends kommen sie in ihre Zelte, die, nach Völkern geordnet, richtigen Dörfern gleichen.

Kupferrot sind die Zelte der Kizilboschi, der „Rothäupter“, wie dieser kurdische Stamm genannt wird. Die Häuptlinge, das Bruderpaar Riza und Rifaat, sehen beinahe wie südamerikanische Farmer aus, es sind umpänglidae Leute, die ihr Handwerk — es sind Maurer — verstehen. Sie tragen große, schwarze Filzhüte und ins Grünliche schillernde, schwarze Frackanzüge. Etwas weiter ab am klaren Tedscherflusse, wo Erlen und Pappeln an den Ufern stehen und Pelikane mit ihren Löffelschnäbeln feierliche Klapperkonzerte veranstalten, zieht sich die gelbe Zeltsiedlung der lasischen Arbeiter hin. Lehmgelb ist die Haut der Leute aus Lasistan, ihre Gesichter sehen ausgedörrt aus, sie sind nett gekleidet und reden eine gutturale Sprache, die hier niemand versteht. Ihr Anführer — Mehmet Tschausch — ist lebhaft wie ein Grieche und spricht gut türkisch.

Die meisten unserer Türken nächtigen in einem unsichtbaren Bergdorf, es sind stille, fleißige Männer, die es für ihre Hauptpflicht halten, uns Lämmer, Geflügel, Honig und Butter zu bringen.

Tscherkessen sind ewig uneinig. Die einen halten ich für so etwas wie Prinzen, weil sie einer hohen „Dschinn“ entstammen; bewaffnet, faul, aber intelligent. Unser Pferdewärter Kazim ist auch so ein Vornehmer. Er hält mein schönes Pferdchen Peppi zwar tadellos, ist aber vor lauter Hochmut unausstehlich. Seinen Landsmann, unsern kleinen Diener Hassan, übersieht er.

Die Perser sind Sonderlinge. Sie arbeiten nicht des Taglohnes wegen, denn sie sind — Schatzgräber. In ihrer Freizeit suchen sie in den öden Bergen nach versteckten Goldmünzen der verjagten Armenier, die ihr Gold auf der Flucht just hier verscharrt haben sollen. Sie stecken alle anderen mit ihrem Goldfieber an. Einer von ihnen hat ein paar hübsche Kupfer- und Silbermünzen gefunden, griechische und römische. Ein anderer wollte uns garstige Töpferware als antiken Fund verkaufen, doda als dies auf abendländischen Unglauben stieß, zeigte er uns geheimnisvoll einen, wie er meinte, aus

* Verfasserin ist die Gattin eines Bauingenieurs, der im Nahen Osten an zahlreichen Eisenbahn- und Hafenbauten leitend tätig war und heute noch in diesem Berufe steht.

„Die Furche“ vorsintflutlicher Zeit stammenden Toten-schädel. Nein, unsere Perser waren zu sehr in phantastische Träume verstrickt.

Sehr gern hatten wir die schönen, blonden, kindlichen Gürdschi-Leute. Waren es Georgier aus dem Kaukasus? Sie waren beim Brückenbau beschäftigt, etwas langsam, aber unermüdlich. Ihre Sprache klang, als ob man einen Sack mit Nüssen schütteln würde. Sie waren demütig und genügsam, manche von ihnen hätten mit ihren langen Barten als Langobarden auftreten können.

Die merkwürdigste Figur aber war Kusu-Bey. Nationalität? Ex-Räuber, also international. Eines Tages hatten der Kommandant und der Bürgermeister von Sivas den Bau besichtigt und ein Anliegen vorgebracht.

.„Es sind zwar gefährliche Wegelagerer, weldae die Pässe der Straße nach Tokat jahrzehntelang in Händen hatten und zahllose Karawanen ausplünderten usw. Jetzt ist ihr berüchtigter Hauptmann Kusu(Lamm)-Bey zahm geworden, man hat ihn und seine Gesellen begnadigt. Was sollen wir aber mit den Kerlen anfangen? Bitte, be-sdiäftigen Sie die Rotte. Sie werden ruhig schlafen können, wenn der Kusii Sie und das Tal beschützt. Kein Wolf wird sie belästigen, kein Nagel verschwinden.“

„Gut. Was bedeutet aber ,usw.'? Haben die Leute gemordet?“

„Gewissermaßen, es war eben ihr Beruf. Dabei war Kusu auch ein edler Wohltäter. Auf der höchsten Paßstelle hat er einen Brunnen für durstige Reisende errichtet.“

„Um sie in erquicktem Zustand zu erschießen“, denken wir.

So kam Kusu mit seiner Florde, seinen Herden, Waffen und Gattinnen ins Taschly Dere und schlug seine schwarzen Zelte rund um die geborstene Mühle auf. Ein einzelner schwarzer Riesenbaum stand dort wie ein vielarmiges, rauchgeschwärztes Ungetüm. War dieses finstere Gespenst einmal eine Fädicrpinie gewesen? Der schwarze Rauch aus den Kochstellen des Kusu richtete ihh so übel zu. Der Held war groß und stark wie zwei Männer, hatte Augen wie ein Berberlöwe, und wenn man ihm die Hand reidite, bekam man sie in völlig zerdrücktem Zustand wieder. Er und seine Leute ruhten hier von ihren Abenteuern aus, waren prächtig anzusehen und bewachten uns. So blieb mir nichts anderes übrig, als seinen Gemahlinnen einen Besuch abzustatten. Unser Kasim sah sorgenvoll darein und meinte: „O Hanum-Efendim, sie werden dich umbringen! Nimm einen tscher-kessischen Dolch mit, klein und praktisdi!“ Und als ich dies ablehnte, empfahl er, keineswegs eine angebotene Speise oder ein Getränk anzunehmen. „Sage, du seist krank.“

Die jüngeren Frauen waren teils reich und bunt gewandet, teils glichen sie Dienerinnen. Sie waren mit ihren Liebkosungen wild, schrien durcheinander und waren maßlos neugierig. Da ich ihren Dialekt schwer verstand, war ich froh, als die konventionelle Zeit verstrichen war. Zum Abschied biß mich eine der Schönen in die Hand.

Einmal gaben die Kizilbaschi uns ein „Ziyafet“, “ein Fest. Kasim war voll düsterer Ahi.ungen.

„O Mühendis, sie wollen Euch vergiften! Berührt nichts von den Speisen, die angeboten werden. Sie werden Euch sonst sdileidiendes Gift einflößen, das erst nach Jahren tötet! Geht nicht in die roten Zelte!

Seht, auch Euer Pferd, der Peppi, fürchtet die Rothäupter.“

Im Zelt der Häuptlinge gab es erlesene Gerichte. Per Glanz des Festes war jedoch nicht der „Ormanicebah“, ein am Spieß auf offenem Feuer mit Lorbeerblättern gewürzter, fetter, gebratener Hammel, auch nicht der nach Zimt und Rosen duftende „Pilav“, das Reisgericht, — nein, es war der schwärmerische, mit perlenden Koloraturen verzierte Gesang einer Tenorstimme, welche ■vährend des Festmahls heimatliche Weisen ing:

„Schwertlilien und Narzissen

Blühen vor meinem Zelt.

Mein Zelt ist rot,

Rot wie die Abendsonne,

Und si brennt wie____“

„Schweig!“ sagte da die unbeschreiblich grobe Stimme des Riza, „wir haben von deinem Gemecker genug.“

Als wir uns verabschiedeten, flüsterte Rifaat: „Ihr habt einen elenden Tscher-kessen um Euch, wie könnt Ihr so leichtsinnig sein? Jagt ihn fort, er könnte Euch im Schlafe ermorden! Wir werden Euch einen der Unsrigen geben, der Euch treu bewachen wird.“

Das war rührend, ließ sich aber nicht durchführen, da Kasim ältere Rechte hatte.

O die Mondnächte, wenn Ohreneulen sich mit geisterhaften Rufen verständigen, wenn Füchse und Wölfe sich anbellen und Silberfische im lichten Tedscher plätschern! Dazu leuchten Sternschnuppen in blauem Feuer.

Auch die Lasen luden uns zu einem Ziyafet. Der Himmel war wie eine gelbe Glasglocke, die große, goldene Mondscheibe war soeben hinter den zackigen Berglinien aufgegangen, gelber Feuerschimmer umwebte das lasische Häuptlingszelt. Die Zelttür stand offen, eine geschmückte Tafel stand unter Wasserweiden, die Gesichter der gelben Berglasen strahlten. Wir lagern auf teppichbedeckten Zementsäcken, naschen Helva und nach Rosen duftendes Honiggebäck.

„Seid ihr auf Euren Reisen jemals nach Platana gekommen? Habt ihr dort die Geschichten des Wunderhodschas Ahmed gehört?“ forscht der Vater unseres Gastgebers.

Doch schon hat dessen stolzer Sohn die Büchse ergriffen. „Der Vollmond ist aufgegangen, ihm zu Ehren feuere ich zehn Schüsse in den Himmel!“, und er stellt sich in Positur.

„Lieber Mehmet Tschausch, ich bin sehr ängstlich, schieße lieber nicht!1' flüsterte ich.

Doch er lacht nur und knallt darauf los, als ob er die Sternbilder herunterschießen wollte. Dann ergreift er ein anderes Gewehr:

„Zu Ehren der Gäste zehn weitere Schüsse!“ — Sprach's — und der Schuß traf ihn irgendwie ins Knie! Da spielte das Gelb seines Gesichtes mehr ins Graue, und er zog sich ins Zelt zurück. Sein Vater und die anderen Lasen fanden keine Ursache, sich stören zu lassen. Um sie nicht zu kränken, mußten wir noch weitere Schußkonzerte anhören, bevor wir uns verabschieden.

Friedlicher ging es beim Ziyafet der braven Leute aus Gümüschhane (Silberhaus) zu. Sie erwarteten uns zur Mittagszeit. Aus Schattenschluchten des Taschly Dere' kommend, sah man plötzlich eine Reihe blendend weißer Hügel, das waren die zum Beschottern der Strecke bereiteten Steinhaufen, die wie geschliffene Edelsteine blitzten. Würdige Hodschas mit Silberbärten bemühten sich um unser Wohl. Der Älteste schien etwas auf dem Herzen zu haben: ob der Verdienst ausreichen werde, dem verwitweten Lutfi Hodscha, einem ehrwürdigen Greise, eine Frau zu verschaffen? — Ja, das Heiratsgut für eine ältere Person dürfte nicht allzu hoch sein. — Der Wortführer meinte zögernd, die passende Braut sei in der Heimat bereits gefunden Frisch, unschuldig, häuslich — fünfzehnjährig. — Das verschlug uns die Sprache. Beleidigt flötete Lutfi, bis er seinen Bart abnehmen werde, würde er wie ein Dreißiger wirken. — Es war Ansichtssache.

„Seid ihr je in Samsun gewesen?“ piepste der Älteste. — „Nein.“ — „Dann habt ihr Armen noch nichts Schönes gesehen!“ — Bedauernd zuckte ich die Achseln. — „Da könnt ihr alle hören, die Armen haben Samsun nie erblickt! Ja, meine Lämmchen, da wißt ihr freilich nicht, was schön ist! Hört, meine Freunde, wenn der Spätherbst kommt und die Arbeit eingestellt wird, dann fährt ihr auf eine Woche nach Samsun. Wir haben es beschlossen, euch hin; u-senden. Hier.“

Verschämt deutete er auf ein Bündel mit vielen Rollen von Silbermünzen. „Nehmt, es ist für Samsun.“

Wie schwer war es, den lieben Silber-bärten dies abzuschlagen! — —

Von den Uferbäumen wehte jeder Luft-hauch welke, goldbraune Blätter in den Fluß, der nicht mehr die eisblaue Sommerfarbe zeigte. Flaschengrün hatte der Herbst ihn verdunkelt und die schieferfarbigen Felsen warfen geisterhafte Schatten über das Tal. Dann senkten sich lautlos dichte, weiße Tücher herunter, es waren Herbstnebel,

nun mußten die Arbeiten eingestellt werden- In der letzten Nacht schoben sich die schweren Nebelwände langsam zurück und der Himmel hellte sich auf. Königsblau weitete sich das Himmelszelt, alle Sternbilder waren über der Mühle versammelt und erglühten blau und golden. Der freundliche TedscMr rauschte sein Abschiedslied: „Winter vergeht, kommt wieder ins Taschly Der£, wenn der Frühling einzieht!“

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