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Nie geschriebene Erinnerungen

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Die blaue Donau entlang, durch die goldene Wachau, ging die Reise, und am Ende durch den Wienerwald. Vorbei an stolzen Burgen und großen Klöstern, durch Städtchen und Dörfer, die lieblich und friedlich im Sonnenschein lagen und freundlich und gelassen blieben, selbst wenn ein Regenschauer auf sie niederprasselte.

Am Mittag breitete sich vor meinen Augen Wien aus, die Krone Oesterreichs. Und über den Kuppeln, Türmen und Giebeln ihrer reichen Silhouette blaute ein leuchtender Himmel, und drüben am schimmernden Horizont grünten jene fernen, sanften Hügel, welche die faltenreiche Schleppe der Alpen bilden.

So jung war ich damals und durfte schon die Hauptstadt des Reiches sehen. Die Residenz — unserer Kaiserin. Und diese durfte ich schon am nächsten Tage sehen! Schon am nächsten Tag!

Ich war darüber so aufgeregt und glücklich am Abend der Ankunft in Wien, daß ich im „Grünen Kranze“ gar nicht schlafen konnte. Die ganze Nacht war ich wach und zählte meine dumpfen Herzschläge, zählte die Sterne vor dem Fenster, die Schritte auf der dunklen Straße und ich zählte die Stunden, die nicht vergehen wollten, bis ich vor die Fürstin hintreten durfte.

Der Herr Beiotto, so hieß der Herr in unserem Reisewagen, war so lieb und hat mir Bilder gezeigt, die er von Wien gemalt hat. Sie waren sehr schön, sie waren sogar wunderschön! Aber — Wien ist noch viel, viel schöner als diese Bilder von dem italienischen Herrn, den sie auch den Canaletto nennen. Der Vater hat das auch gesagt. Der Vater weiß das ganz genau, denn er kennt Wien sehr gut. Und zuerst — Schönbrunn!

Zuerst habe ich Angst gehabt vor diesem Palast. Aber dann sah ich dieses Schloß in der Sonne und es sah gar nicht mehr so gefährlich aus, dieses Schönbrunn, in dem die Majestäten wohnen.

Auf der Hinfahrt hat der Vater mit mir noch schimpfen müssen, weil ich mein Schnupftuch vergessen habe vor lauter Aufregung, das er mir doch extra für die Audienz gekauft hat.

Als wir auf den Riesenplatz vor dem großen Schloß kamen, habe ich. ihn gar nicht gesehen, denn als wir darüberfuhren, habe ich zum letzten Male die Augen geschlossen und alles wiederholt, was ich der Kaiserin sagen werde, wenn ich vor ihr stehe und sie mich darum fragt.

Plötzlich hielt der Wagen an, die Türe wurde geöffnet und zuerst durfte i c h aussteigen. Da schaute ich mich gar nicht nach dem Vater um, den sah ich ja doch alle Tage. Aber dieses Zauberschloß sah ich zum ersten Male. Ich staunte es an und konnte gar nicht alles um mich herum auf einmal sehen und erklären und begreifen.

Ueber eine breite Treppe stiegen wir hinauf. Am Fuße der vielen Stufen knieten zwei kleine, weiße Engel, die eine große, schwarze, schwere Laterne trugen. Trotzdem sie so schwer zu tragen hatten, lächelten mir beide zu und ein paar Damen standen da und winkten mir, kleine Pinzessinnen gaben mir die Hand und sagten du zu mir, Herren standen daneben und verneigten sich.

Da dachte ich bei mir: „Gewiß ist der Herr Vater ein hoher Herr, weil diese sich vor ihm so tief verneigen.“ Ach und so einen Rock wie diese Herren, so einen goldenen oder silbernen, hätte ich gar zu gerne gehabt.

Noch eine Stiege mußten wir hinauf, eine weiße Marmorstiege mit goldenem Geländer. An vielen Blumen kamen wir vorbei und aus einer Vase durfte ich mir sogar eine Blüte nehmen. Kristallene Spiegel hingen an den hohen Wänden und ganz zart getönte Seiden spiegelten sich in ihnen.

„Ja, d a wohnt sie schon sehr nobel, unsere liebe Frau Kaiserin“, sagte ich ganz laut, „aber ich paß da gar net rein, ich bin ja kein Prinz!“ flüsterte ich dem Vater ins Ohr.

Am liebsten wollte ich allein hingehen zu ihr, denn die großen, ernsten Herren, die uns begleiteten, gefielen mir nicht sehr. Sie haben mich so prüfend gemustert, bevor ich die Appartements der Herrscherin betreten durfte. Und eine Dame in scharlachroter Krinoline lächelte kalt, als ich vor ihr das Kompliment probierte, das ich der Kaiserin als Gruß und Reverenz erweisen sollte.

Als ich vor der Türe der Monarchin zwischen den zwei Lakaien stand, wußte ich dann gar nichts mehr von dem, was man mir zur Begrüßung eingelernt hatte.

Ach, ich kann mich ja so gut erinnern, wie das damals alles war. Fünfundzwanzig Jahre sind seither ins Land gezogen, aber von dem Schönbrunner Tag habe ich nichts vergessen. Er war so schön und unvergeßlich, daß ich diesen Tag jedes Jahr wie einen Geburtstag feiere. Ja — lächelt nur!

Meine Musik hat damals in Schönbrunn da Lieht der Welt erblickt.

Zwischen mir — dem kleinen Buben — und ihr, der großen Kaiserin, stand eine Vase aus weißem Porzellan. In ihr blühten- viele bunte Blumen, deren Duft und Glanz das Gemach erfüllte. Und rings umher in weitem Kreis leuchteten in diesem Augenblicke lichte Sommerfarben ohne Schatten. Viele gute Menschen lächelten, die in festlichen Gewändern waren, und im erlauchten Kreise strahlten kostbare Juwelen.

Die Augen schöner Frauen sahen erwartungsvoll zu dem Silberkandelaber am Spinett, auf dem sechs Lichter brannten — für jedes der von mir bereits erlebten Jahre brannte dort ein Licht. Ich war sechs Jahre alt. Und über spiegelndes Parkett schwebten die Sonnenstrahlen. An den hohen Fenstern, die geöffnet waren, wehten Gewebe aus hauchdünnen -Spitzen In dem lauen Sommerwind, der aus dem kaiserliehen Park den Duft der vielen Blumenbeete über die hohen Wände der Spaliere hertrug.

Fernes Rauschen der Gewässer aus den stillen Quellen und verträumten Teichen mischte sich mit Vogelstimmen, die in gold'nen Zweigen jubilierten. Räder prunkvoller Karossen rollten über hellen Kies und kaiserliche Gardepferde trappten scharf auf Marmorplatten.

Durch die breite Tür des Musiksalons über den weiten Teppich der Rabatte hin, auf denen die Fontänen sprühen, sah man die Gloriette vor dem wolkenlosen Himmel jenes Sommertages in Schönbrunn.

Ich vergesse fast zu erzählen, wie s i e war, als ich sie zum ersten Male sah, damals ... die Mutter in dem Hause Oesterreich.

Sie war so, daß ich auf ihre Knie stieg, sie umarmte und geküßt habe. S o war die Kaiserin von Oesterreich!

Und ganz allein war ich mit ihr. Der Glanz, die Pracht, der Prunk, das Zeremoniell aus Spanien waren so fern nach diesem Kuß. Ich saß auf ihrem Schoß. Und da war noch diese Vase mit den vielen Sommerblumen und die Sonne war auch da und der Duft der Blüten. Aber all die anderen Farben und Lichter, die vielen Menschen und der Vater, das kleine Spinett und das große Schönbrunn, sie alle waren so weit weg, als ob sie nicht hierher gehörten, und sie blieben auch ferne — so, als wollten sie nicht stören.

Nur ganz leise sprach die Kaiserin etwas. Aber mein Herz pochte so laut vor Glück und

Ehrfurcht, daß ich nur die paar Worte verstand: „ ... Wien „ ... lieb „... Mozart ...“, hat sie auch gesagt.

Zuerst habe ich mich nur getraut, auf ihre Hände zu schauen, und diese haben die Blumen auf dem Tisch näher zu mir gerückt.

Aber dann sah ich in ihre Augen und fand keine Worte zur Begrüßung, weil man keine Worte finden kann, wenn man in solche Augen schaut.

Das hat der Knabe gefühlt und deshalb habe ich sie umarmt und geküßt.

Das hat der Jüngling geahnt und deshalb habe ich viele Jahre später bei meinem Entree zu einer zweiten Audienz eine weiße Nelke auf den Tisch gelegt, an dem sie saß. So heimlich — daß die Kaiserin es gar nicht merkte.

Es gibt kein Wort, das ich ihr hätte sagen können zur Begrüßung!

Zum Abschied sagte ich als Kind nur leise: „Frau ... Mutter ... Kaiserin ...“

Als Jüngling verneigte ich mich tief, wortlos zum Ausgang rückwärtsschreitend.

Taut habe ich jene Worte, die ich als Knabe sprach — laut habe ich sie vor mich hingesprochen, als ich allein vor ihrem Sarkophage stand ... und einen kahlen Rosenzweig zu ihren Füßen niederlegte — ein Reis vom Rosenstock am Grabe meiner Mutter.

Ein dornenreiches Reis, ohne Blätter, ohne Blüten — denn damals lag draußen Schnee —, als ich vor den Sarg hintrat, auf dem geschrieben steht:

Maria Theresia.

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