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Wo wir hinkommen, wenn sich Musik auf CD und Konzertsäle beschränkt.

Die Mitglieder von Singverein und Singakademie - wie ich sie beneide! Meine Stimme reicht nicht einmal für einen viel bescheideneren Chor, und mein Gehör wohl auch nicht. Aber fast bis zu meinem 40. Lebensjahr habe ich regelmäßig Orgel gespielt - in meiner Jugend hat mir das mehr bedeutet als Lesen, als Schreiben, als alles andere, was ich gemacht habe.

Dass ich überhaupt so lange durchgehalten habe, liegt einzig und allein daran, dass ich als Organist immer wieder gefragt und gebraucht wurde, dass mir die Gottesdienstbesucher zuhörten und ich mit anderen zusammen musizieren konnte. Mit Klavier oder einem anderen Instrument, allein in den vier Wänden, hätte ich schon nach der Schule aufgehört.

Die Orgel ist ja vielleicht das letzte Instrument, auf dem man vor anderen spielen kann, auch wenn man Amateur ist; ja, man kann sogar improvisieren - wo, außer im Jazz, gibt es das denn noch. Und die Kirchenmusik der allerletzte Rest einer einst blühenden Kultur, die nur in Ausnahmefällen von Profis getragen wurde.

Aufgehört zu spielen habe ich freilich trotzdem, auch wenn ich mir alle paar Wochen einrede, dass das nicht endgültig ist, und mein altes Harmonium nie hergeben würde. Was habe ich also vom jahrzehntelangen Orgelspiel? Dass mir die alten Stücke noch immer wie zum Greifen nahe sind, dass ich musikalische Analysen verstehe, weil ich die Akkorde nicht nur höre, sondern auf den Tasten vor mir sehe, dass ich Noten lesen kann … gar nichts so wenig, wenn man's genau nimmt. Und Erinnerungen an nächtliche Kirchenräume, in deren Gewölbe ich eine Bach-Fuge gespielt habe. Erinnerungen, die ich um nichts hergeben würde.

Wer hat heute noch die Möglichkeit, solche Erfahrungen zu machen? Wie viele Kinder spielen noch ein Instrument? Eine verbrecherische Schulpolitik zwingt sie in den letzten beiden Gymnasialjahren sogar, zwischen Musik und bildender Kunst zu wählen. Je älter ich werde, umso mehr sehe ich jeden Tag einen Grund, warum die Welt den Bach hinuntergeht. Dass Musik nur mehr von Profis gemacht wird, ist aber einer der triftigsten. Wer soll noch Musik hören und wissen, was sie bedeutet, wenn niemand mehr singt und spielt?

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