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Philosophie des Verzichts

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Während eines Urlaubsaufenthaltes in Wisp (Kanton Walis) starb — nach Einlieferung in das Krankenhaus von Brigg — an den Folgen eines Herzinfarktes der bekannte deutsche Kulturphilosoph, Soziologe und Musikologe Theodor W. Adorno. Er stammte väterlicherseits aus einer deutschjüdischen Familie, seine Mutter, deren Namen er später annahm, war die Sängerin Maria Calvelli Adorno della Plana, deren Vater genuesisch-korsischer Herkunft war. In Frankfurt wurde Adorno 1903 geboren, “hier studierte und promovierte er, wurde 1930 Privatdozent und wanderte zunächst nach Oxford aus. Später ging er an das Institut für Sozialforschung nach New York und lebte von 1944 bis 1949 in Los Angeles. Darnach kehrte er nach Frankfurt zurück, erhielt eine Professur und wurde Leiter des Institutes für Sozialforschung in seiner Heimatstadt.

Aber Adorno hatte eine zweite geistige Heimat. Sie hieß Wien. Hier wurde er Schüler von Alban Berg und Steuermann und redigierte von 1922 bis 1931 die fortschrittliche Musikzeitschrift „Der Anbruch“. Nach Wien kam er auch in den Jahren nach dem Krieg immer wieder gern, um Vorträge zu halten, an Diskussionen teilzunehmen — und alte Freunde zu sehen. „Sei treu!“ schrieb ihm Alban Berg vor einer längeren Trennung mit dem Hagen-Zitat aus „Götterdämmerung“ auf. eine Postkarte, und Adorno sagte einmal, daß er sich nichts Besseres wünschen könnte, als hinter dieser Forderung nicht zurückzubleiben, ohne daß doch diese Dankbarkeit eine Autonomie beeinträchtigte, die seine Lehrer und Vorbilder, nämlich Berg und Schönberg, in ihm geweckt und entwickelt haben. Alban Berg ist auch sein letztes, im vergangenen Jahr in der Reihe „österreichische Komponisten des 20. Jahrhunderts“ er-1

schienenes Buch, eine sachliche Analyse, gewidmet. Die Werkliste Adornos füllte eine ganze Druckseite. Die meisten seiner Bücher, mit Ausnahme der monographischen Studien, wie der über Wagner und Mahler, bestehen aus zyklisch um einen Kern gerundeten Essays. Hier einige Titel: „Kierkegaard“, „Philosophie der neuen Musik“, „Minima Moralia“, „Dissonanzen — Musik in der verwalteten Welt“, „Noten zur Literatur“, drei Bände, „Drei Studien zu Hegel“ und „Impromptus“ — musikalische Aufsätze. Einige philosophische und soziologische Bücher gab er gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Max Horfcheimer heraus. Wie kaum ein anderer Kulturphilosoph unter den Zeitgenossen war sich Adorno der fatalen Situation der Kunst, speziell der Musik in dieser ersten Jahrhunderthälfte, bewußt. Er konnte sich nicht darüber täuschen, daß die Kunst, an der er geschult war und der er stets die Treue hielt, noch in ihrer kompromißlosesten Gestalt von der allgemein herrschenden Nivellierung und „Ver-dinglicbung“ ausgenommen ist und Produkte hervorbringt, denen sie im Grunde widerstrebt. Inmitten der heteronomen Wirklichkeit, in der der Künstler sich zwangsläufig “verfängt, bleibt ihm trotzdem nichts anderes zu tun, als illusionslos und konsequent seinen Weg — bis ans Ende zu gehen. Schon Pf itzner hat als dieses Ende „die Nacht“ bezeichnet. Diese Grunderkenntnis verleiht den Studien von Adorno eine Stimmung von Verzicht und Melancholie. Es ginge mit der Musik, so schreibt er in der Sammlung „Quasi una Phantasma“ wie mit Kants Idee vom Ewigen Frieden: „Die Gestalt aller künstlerischen Utopien heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“ Thomas Mann, dessen Berater

Adorno in den Jahren 1943 bis 1944 während der Konzeption dij „Doktor Faustus“, der Geschichte des deutschen Musikers Andrian Leverkühn war, vergleicht Adorno mit dessen frühverstorbenem Vetter Walter Benjamin und charakterisiert ihn als einen Menschen von spröder, tragischklüger und exklusiver Geistigkeit. Adornos künstlerisch-soziologische Situationskritik ist eindringlich und unerbittlich. Dem komplizierten Gegenstand entspricht die Sprache seiner Werke, die dem Pessimismus seiner Weltschau die vollendete Höflichkeit seiner Umgangsformen, seine Nachsicht und seine Duldsamkeit. Da Adorno — nicht nur in den „Minima Moralia“ — herbe Gesellschaftskritik an der westlichen Welt übte, da er von Hegel herkam und ein „fortschrittlicher“ Soziologe war, glaubte die „neue Linke“ sich auf ihn berufen zu können, zumal er jedes Philosophieren, das nicht kritisch war, als unzeitgemäß ablehnte. Aber man verkannte seine zutiefst konservative Kulturgesinnung und seine heftige persönliche Aversion gegen alles Ungezogene und Ungewaschene, Unreife und Vorlaute. Für ihn waren, nach einem Wort Hofmannsthals, „die Regeln des Anstandes und des guten Geschmacks wegweisend auch im Geistigen“. Als er sich immer mehr von eben dieser „neuen Linken“ distanzierte, wurde er in der Frankfurter Universität persönlich angepöbelt und attackiert. Zur Verschlechterung seines Gesundheitszustandes mögen diese Vorgänge nicht wenig beigetragen haben. So bewahrheitet sich noch einmal, aber auf tragische Weise, eines seiner Worte: „In Deutschland läuft vielfach das Engagement auf Geblök hinaus, auf das, was alle sagen möchten oder wenigstens latent alle hören wollen.“ Nicht nur in Deutschland.

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