6572072-1950_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Volk und Jugend

Werbung
Werbung
Werbung

Wer die Tage des 3. und 4. Juni 1950 in Graz erlebt hat, der wird tief erfaßt worden sein, gleichgültig, ob er innerhalb oder außerhalb der Fünfundsechzig-tausend gestanden ist. Daß diese Feststellung keine Illusion ist, bezeugt der vornehme Begrüßungsaufsatz der sozialdemokratischen „Neuen Zeit“, der uns mit großer Freude erfüllt hat. Endlich einmal ein festliches Ereignis, das mit Politik gar nichts zu tun hatte.

Und was für ein Ereignis! Man sagt nicht zuviel, wenn man meint, daß die Steiermark seit Generationen kein ähnliches gesehen hat. Kein ähnliches in der Zahl der Teilnehmer und keines in der reinen, von' innigem Glauben erfüllten Form der Feier. Gewiß gab es auch hier Organisation. Wie sollte man 65.000 Mensdien in Ordnung halten ohne Organisation? Aber das Schöne an dieser Organisation war, daß man sie nicht sah. Wie selbstverständlich zogen die ungezählten Scharen aus allen steirischen Pfarren in unendlichen Reihen von links und rechts über eine Stunde lang auf den riesigen Trabrennplatz ein, ohne jede Störung stellten sich die Gruppen auf die für jede bestimmten Plätze, und bei Beginn des Gottesdienstes war die ungeheure Men-schenmasse eine wohlgeordnete Einheit, erfüllt von einer ehrfürchtigen Andacht und Stille, die den Riesenraum zu einer heiligen Stätte machte. Und nachmittags am Freiheitsplatz vor dem sehr eindrucksvollen Altar mit der Mariazeller Gnadenstatue war es nicht anders. Kopf an Kopf stand auch hier die gewaltige Menge und füllte nicht nur den großen Platz, sondern auch alle 6eine Seitengassen weit hinein. Und dennoch, keine Störung, kein Lärm, nur tiefe Andacht.

Man hat Bedenken äußern gehört, daß das Gnadenbild von Mariazell nach Graz gebracht wurde. Aber als der Weihbischof mit ihr am Abend des 3. Juni unter Fackelschein, unter hunderten Fahnen der Jugend und unter den hallenden Marienliedern der vielen, vielen Tausenden auf dem Geidorfplatz einfuhr, waren alle Bedenken verflogen. Man sah Tränen in vielen Augen, und ich erfuhr von. einem Freund, daß er, der seit 33 Jahren keine Kirche mehr betreten hatte, von diesem Empfang der steirischen Hausfrau“ so ergriffen gewesen sei, daß er die Nacht im Gebet verbrachte und am nächsten Morgen zu den Sakramenten ging. Und wer den frühen Morgen des Dreifaltigkeitssonntags im Grazer Dom weilte, der war erschüttert von den zahllosen Mühseligen und Beladenen, die hier Seelentrost und Hilfe fanden. Und am folgenden Vormittag war es denn auch wirklich eine Speisung der Zehntausende, denen auf der festlichen Wiese unter strahlend blauem Himmel von zweihundert Priestern aus goldenen Kelchen das Brot des Lebens gereicht wurde. Es gibt keine Worte, die diesen überwältigenden Eindruck zu schildern vermöchten.

Mir ist der Begriff Volk“ nie so ergreifend und so edel vor der Seele gestanden wie hier, wo zehntausende Steirer, zum allergrößten Teil Bauern und Arbeiter, mit mir zusammen standen, knieten, beteten, sangen, das Meßopfer feierten und das heilige Mahl empfingen. Ja, das war wirklich „Volk“! Volk in der ihm eigenen und immer wieder ergreifenden Berg-, Wald- und Wiesenfrische, Volk in seiner ganzen Seelentiefe und daher ein so ganz anders gestaltetes Volk, als man es von politischen Versammlungen und Demonstrationen her kennt; anders auch als bei festlichen Bräuchen oder auf Tanzböden, ja sogar anders als bei Wallfahrten und Gottesdiensten in den Heimatpfarren. Denn dort sind ja die Menschen unter sich, in gewohnter Umgebung und nicht selten wohl auch mit dem unbewußten Empfinden, außer der großen Welt, unbeachtet und gering vor ihr, allein zu stehen.

Diesmal aber fuhren sie in unübersehbaren Scharen mit Sonderzügen und Autobussen in die große Stadt und sahen schon am Vorabend beim Empfang der ihnen allen gehörigen „Zellermutter“, wie ehrfürchtig diese auch von den Stadtleuten begrüßt wurde, sahen dann im nächtlichen Dom, wie diese Städter dieselben Nöte und Sorgen erfüllen, und sahen bei der Speisung der Zehntausende, daß auch die „große Welt“ mit ihnen zu einer heiligen Gemeinschaft zusammenströmte, daß es auch in der Stadt echte und tiefe Gläubigkeit gebe.

Und sie sahen noch etwas. Sie sahen, daß die reine Frische, die über dieser unvergeßlichen Feier lag, nicht allein aus den ländlichen Wäldern und Bergen und Wiesen kam, sondern daß sie sich hier in beglückendem Gleichklang mit der Frische der Jugend vermählte, der Jugend, die jene unsichtbare Organisation des Ganzen bildete. Sie hatte die Ordner gestellt, sie hatte die Fackeln getragen, sie hatte die Altäre geschmückt, die einer von ihnen zu wahren Kunstwerken gestaltet hatte, sie bediente das heilige Amt, sie labte die Ohnmächtigen, die das lange Stehen nicht vertrugen, sie half im Rettungs- und Ordnungsdienst und sie hatte leise und unaufdringlich die Wahl der schönen Gesänge und Bläserchöre und die Fahnenzüge gestaltet. Ich wenigstens habe es deutlich gefühlt, daß hier der Geist der Jugendbewegung mit am Werke War, der sich auch in meinen jüngeren Jahren immer mit Volkslied und Volksbrauch und auch mit dem Glauben des Volkes so gut vertragen hatte.

Es war auch Geist dieser Jugend, daß. es bei diesem Katholikentag keine „offiziellen Begrüßungen“ und keine Festreden, sondern nur sehr gehaltvolle, tief zu Herzen gehende Homilien und Predigten und ein Gelöbnis der Heimat von großer Innerlichkeit gab. Und es war besonders beglückend, daß wir alle sehen konnten, wie nicht nur die junge Geistlichkeit einschließlich des Weihbischofs und des Spirituals, sondern wie auch der greise Fürstbischof diese neue, im besten Sinne volkhafte und jugendliche Form des Katholikentages mitgestaltete.

Daß diese neue, jugendfrische Form sichtlich gesegnet war, das wurde auch von den evangelischen Brüdern in einem besonders herzlichen offenen Brief anerkannt. Man sah es den leuchtenden Augen an, daß Volk und Jugend von jubelnder Freude erfüllt waren, weil sie spürten, daß es dennoch eine „Mitte“ gibt, daß sie nicht allein und ankerlos den Wogen des Nihilismus, der Sinnlosigkeit und des Hasses ausgeliefert sind. Daß sie, die ihr Banner dem Herrn geweiht haben, feste Gefolgsleute des unbesiegbaren Königs der Ewigkeit sein dürfen, die keinen Teufel zu fürchten brauchen, wenn und solange sie sein Liebesgebot erfüllen.

Darauf aber kommt nun alles an! Wenn es geschieht, sind die Wirkungen dieses Ereignisses nicht abzusehen. Dieser Katholikentag stand unter der Devise: „Die Liebe aber ist das Größte!“ Darauf haben alle Predigten und Homilien immer wieder eindringlich hingewiesen. Es ist so, wie es der Sprecher des Gelöbnisses der Heimat sagte: „Diese herrliche Versammlung ver-- löre ihren Sinn, wenn nicht jeder mit dem festen Vorsatz heimgeht, von nun ab jedem, der keinen Rock hat, einen von seinen beiden Röcken zu geben.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung