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Vom Bild Österreichs im englischen Schrifttum

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Seitdem Shakespeare in -Maß für Maß“ inmitten einer märchenhaften böhmischen Geographie und eines durchaus londonerisdi-jakobinisch anmutenden Bühnenmilieus den Namen ..Vienna“ mit suggestiver Bestimmtheit gebrauchte, hat sich dieser vage Begriff von Wien und damit die Vorstellung von Österreich aus der Verschwommenheit einer Märchenlandschaft, die nur durch die Erwähnung von an ..Böhmen“ angrenzenden Ländern, wie Ungarn, Polen. Rußland, einige Realität gewinnt, in Englands Vergangenheit zu immer deutlicheren Umrissen verdichtet. So konnte Margaret Kennedy in ihrem bekannten, 1924 als Roman, 1926 als Drama ersdiienenen und audi verfilmten Werk „The Constant Nymph“ der aus gepflegter englischer Gesellschaftsatmosphäre in die freie Tiroler Luft versetzen und darüber beglückten Gelehrtentochter Flo-renre sdierzhaft-ironisch die Shakespeare-Worte aus dem -.Wintermärchen“ in den Mund legen:

„Bist du gewiß, daß unser Schiff gelandet

An Böhmens Wüstenei'n?“

Damit ist von dem Fernweh und der Abenteuersehnsudit des modernen eng-. lisch'en Österreidireisenden die Brücke zum expansionistischen Lebensgefühl der Wende von der englischen Renaissance zur Barockzeit geschlagen.

Den Reigen der englischen Schilderungen von Reisen in österreichischen Landen eröffnet der berühmte Essayist und Politiker J. Addison mit seinen ,-Bemerkungen“ über eine in den Jahren 1701/3 durchgeführte Italienreise. Tirol und das von da auf dem Wasserwege bis nach Wien bereiste übrige Österreich werden auf wenigen Seiten gewissermaßen als bloßes Durchgangsland und Anhängsel der Schweiz behandelt. Dies erscheint begreiflich angesichts der leichteren Erreichbarkeit der Schweiz, die zudem als frühes demokratisches Staatswesen sdion englischen Glaubensverfolgten der Renaissancezeit Zuflucht bot und bereits Anfang des 17. Jahrhunderts englische diplomatische Vertreter in ihren Grenzen weilen hatte, während solche in Österreich mit Sicherheit erst aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachgewiesen sind. Und wenn auch später englische Klagen über die -Geschäfs-tüchtigkeit“ der Schweizer laut werden, so ist doch das große Vorbild des jüngeren aufstrebenden Fremdenverkehrslandes in Formulierungen, wie „ein zweites Zermatt, Andreas Hofer — der Teil Tirols, der Schweizer (!) Stil der Tiroler Bauernhäuser“ auch heute noch unbewußt gegenwärtig. Schon Addison verbindet in einer für das spätere englische Reiseschrifttum über Österreich kennzeichnenden Art den reifen realpolitischen -.common sence“ des Briten mit dem kühlen Aufklärungsblick für das Malerisch-Gefällige der Sehenswürdigkeiten, der in der statischen Vedutentechnik der Alpenmalerei seine Parallele hat. und mit einein nüchternen Interesse für das -natürliche Gesicht des Landes“. Nach Addison beschreibt E. Wright seine zwischen 1721 und 1723 erfolgte Durdifahrt durch Tirol und schlägt A. Beaumont mit seiner Schilderung einer Fernerbesteigung in den Stu-baiern (um 1790) eine frühe alpinistische Note an.

Das englische Österreichbild des 19. Jahrhunderts ist auf lange Zeit hinaus durch die Wirkung der Tiroler Freiheitskämpfe bestimmt, obwohl auch Steiermark schon 1807 vom Marquis de Salvo erwähnt wird; Abgesehen von original-englischen und in das Englische übersetzten Biographien Andreas

Hofers, greift die Reaktion auf diese weittragenden Ereignisse über den engeren Bereich der Reiseschriftstellerei hinaus, was aus den Sonetten ersichtlich wird, mit denen der romantische Poeta laureatus William Wordsworth die Tiroler Erhebung einfühlend begleitet. Kennzeichnend für dieses stärkere Interesse ist die Sammlung von österreichischen Trachtenstichen, die W. Alexander 1813 mit beschreibenden Texten und klirzer geschichtlicher Einleitung herausbringt. Zug um Zug wird nun das Österreichbild ergänzt und vertieft, sei es durch die Revision, die ein geologisch, geschichtlich und militärisch interessierter ehemaliger englischer Offizier an Russeis Urteil über Wien als der leichtsinnigsten Stadt der Welt vornimmt (1826), sei es, daß der Charakter der seit Addison als „unbändig freiheitslustig“, seit den Freiheitskriegen sogar als „grausam und wild“ bekannten Tiroler nunmehr durch Erwähnung ihr • ^-örnrnig-keit und künstlerischen Begabung (^..nders bei L. Ritchie, 1839) stärker profiliert wird. Auch verschiebt sich der Akzent von dem „interessanten und melodramatischen (das heißt aufregenden)“ Tirol nur allmählich nach den östlichen Bundesländern, so wenn der 5. Lord Monson in den recht unsystematischen Tagebuchaufzeichnungen seines „Journals“ (1839) zum erstenmal ausführlicher die bisher vernachlässigte West-Ost-Rdute durch Österreich schildert. Aus seinem Büchlein geht auch hervor, wie sehr sich das Tempo des Reisens in dem in dieser Hinsicht schon im 18. Jahrhundert vorbildlichen Österreich gegenüber der - Postkutschenzeit beschleunigt hat und wie groß der englische Anteil an der verkehrstechnischen und industriellen Erschließung Österreichs ist! Rühmt Lord Monson noch die Mildtätigkeit des österreichischen Volkes, so läßt die einseitig für Italien schwärmende L. St. Costello (1846) am Tiroler nur die Aufrichtigkeit, Gutmütigkeit und Höflichkeit dem Fremden gegenüber gelten, während ihr Landschaft und Kunst als grob und barbarisch erscheinen.

Angesichts eines solchen Rückschritts wirkt J. Murrays „Handbook for Travellers in Southern Germany“ (Erstauflage 1837) wie eine neue Wende auf dem Wege vom individualistisch-eklektischen Reisebericht zum umfassenden, für den Fremdenverkehr bestimmten Reisehandbuch des 20. Jahrhunderts. Wie öfter in englischen Werken dieser Art wird Österreich als ein Teil des geographisdien Komplexes Süddeutschland: und zwar im engeren Sinne von Ober- und Niederösterreich, behandelt und erhält wie Salzburg-Tirol-Vorarlberg und Steiermark - Kärnten - Krain ein eigenes Kapitel in dem mit genauen Zeitangaben für Fuß- und Wagentouren versehenen Routennetz zugewiesen, welches Murray der österreichischen Landschaft überwirft. Durch liebevoll ausgeführte Genrebilder, kunst-geschichtliche und andere Hinweise, ja sogar ein alpines Vokabular bleibt die persönliche Note gewahrt, wie auch die Schönheit der österreichischen Hochlande (besonders des Salzkammerguts und der „außerordentlichen Dolomitberge“) begeistert über die der Schweiz gestellt und die Bildung des österreichischen Volkes sowie seine Herzlichkeit und selbstlose Gastfreundschaft gerühmt wird. Die Legende von Wien als der fröhlichsten und genußfreudigsten Stadt auf d~m Kontinent, die zum Teil ein Erbe der Wiener Kongreßzeit sein dürfte, erscheint gedämpft auf dem realistischen Hintergrund von Paß- und Zollformalitäten, „Laufzetteln“ und ähnlichem. Der Einfluß Murrays ist von nun ab aus dem englischen Reiseschrifttum über Österreich nicht mehr wegzudenken, so zum Beispiel aus W. Whites Schilderungen von Tal- und Höhen-i Wanderungen in Nord- und Südtirol, in welchen er dem nur-fröhliohen und musikliebenden Tiroler den von Heimweh geplagten ernsten Landarbeiter gegenüberstellt, oder bei der den Tiroler zum Gentleman idealisierenden und bekehrungseifrigen protestantischen Schriftstellerin Newman Hall (1860) oder aus H. B. Pritchards humoristischer Schilderung von „Tramps“ im Zillertal. Großglocknergebiet und in den Dolomiten (1874). In W. A. Baillie-Groh-manns klassischem, jedoch antiklerikalen Buch über Tirol und die Tiroler (1876) werden erstmalig aus der Schau eines sich im Unterinntal heimisch fühlenden, jagdbegeisterten Halbtirolers und Halbengländers diarakteristische Volkstypen, wie Senner, Wildheuer, Holzhacker, Wurzen-graber, Grenzer, Schmuggler usw., aus nächster Nähe plastisch beschrieben. Seine Schilderung einer winterlichen Großglodtner-besteigung leitet über zu der Epoche der Erschließung der österreichischen Alpen durch englische Bergsteiger, wovon uns — neben zahllosen Aufsätzen in englischen und deutschen alpinen Zeitschriften — Sir M. W. Conways höhenphilosophisches Büchlein über eine Durchquerung der Alpen von einem zum anderen Ende berichtet (um 1894). Als Einzelgänger in dieser alpinistischen Zeit verarbeitet Ch. G. Leland in parodistischer Manier und in unnachahmlichem deutsch-englischen Kauderwelsch („Breitmannese“ oder „Teutonic English“!) allerlei Tiroler Sagenmotive mit allerdings recht blassem Lokalkolorit („Hans Breitmann in Germany, Tyrol“, um 1895).

Seit der Jahrhundertwende kommt mit dem erwachenden medizinischen Interesse an den österreichischen Höhenkurorten und dem in Mode kommenden Wintersport eine neue Note in die Reiseliteratur (vergleiche etwa F. W. Stoddards -Tramps in Tyrol“, 1913). Nun beginnt sich auch der englische Roman österreichischer Motive zu bemächtigen in Form gelegentlich auftauchender Dolomitenvisionen etwa bei E. M. Forster und A. Huxley, thematisch bedeutsamer in J. Galsworthys in Südtirol spielender ..Villa Rubein“. Wiener Atmosphäre (Billroth-Anekdote!) wird spürbar in Susan Glaspells „The Glory of the Contuered“, dichter in Berta Rucks „The Mind of a Minx“, wo das geläufige „Phäaken“-Wien des Sonnenscheins, Sekts und Lachens auf dem dunklen Hintergrunde eines verarmten Landes gezeichnet ist. M. Kennedys eingangs erwähnter Roman besticht durch die Echtheit seiner Landschaftsstimimung (Achensee-Tirol). läßt aber das schließlich zusammenbrechende Bergidyll seiner Helden nicht zu einer organischen Verwurzelung der „Touristen“ in der alpinen Landschaft und Bevölkerung gedeihen. Die Einheit von Land und Volk will Lous Golding in „The Miracle Boy“ (1929) durch Hinabsteigen von der christlichen Oberfläche in die Tiefen mythisch-etruskischer Religiosität an dem Schicksal eines sich zum Wundertäter entwickelnden Tuifelemalers gestalten, wobei ihm das Einmalige gelingt, etwas von der urtümlichen Wildheit und Düsterkeit der Menschen und Landschaft eines einsamen Tiroler Bergdorfes einzufangen. Diese Spiegelung Österreichs im englischen Roman bleibt in den dreißiger Jahren nicht ohne Rückwirkung auf das Reiseschrifttum, das sich aus handbuchmäßiger Erstarrung immer mehr zu persönlichen Erlebnisberichten auflockert. So kommt etwa gleichzeitig mit R. Crofts-Cockes Roman von der Gründung des internationalen Erziehungsinstituts „Utopia“ in der Nähe der Bergstation einer österreichischen Seilbahn Clive Hollands eindringliche Monographie über „Tyrol and its People“ heraus, 1934 neben O. Hamiltons „Tyrolese Summer“ (zeitgeschichtlich betonten Skizzen aus dem Alltagsleben des „bezaubernden und malerischen Touristenparadieses Tirol“, besonders von Innsbruck und Umgebung) eine Sammlung von Erzählungen aus dem Tiroler Unterinntal von Olga Watkins („Tales from Tyrol“), in denen zum erstenmal die Rolle Österreichs als Zufluchtsland für Emigranten aller Schattierungen aus dem nationalsozialistischen Deutschland und der wachsende Widerstand heimischer Kräfte gegen die drohende Überfremdung und Gewaltlehre sichtbar wird. Im gleichen Jahre mit Nina Murdochs „Tyrolean June“ (1936), einer bezaubernden Mischung von realistischer Erfassung wirtschaftlicher und politischer Zeitprobleme und intuitiv-weiblicher Schau des ewig Gültigen in Bevölkerung und Landschaft des Inntales und seiner Seitentäler, erscheint F. S. Smythes philo-sophisdi angehauchte Schilderung einer hochalpinen Stubaier- und ötztalerdurch-querung und im nächsten Jahre eine literarische Kostbarkeit aus der Feder des Malers D. de Bethel, der mit Holzschnitten und schlichten Worten das Kirchenjahr und eine Tiroler Rezeptsammlung paraphrasiert. F. Czernins „This Salzburg“ (1937) ist von österreichischer Seite das durch tadelloses Umgangsenglisch, witzige Zeichnungen und englisch-österreichische Synthese von Humor und Selbstanalyse bestrickendste Echo auf die englische Reiseliteratur, so wie zwei Romane von Cecil Roberts das bisher umfassendste und zeitnädiste Bild Österreichs in Romanform vor uns ausbreiten. Führt uns „Victoria 4.30“ (1937) mit dem London-Arlberg-Orientex preß in die österreichischen Wirren des Jahres 1934, so erweitert sich in der Fortsetzung „The Wan-ted to Live“ (1939) der Schauplatz durch Einbeziehung des „Ansdilusses“ und der tschedioslowakischen Krise. An der Gefährdung des alten österreidis • mit seinen Tugenden, der Fröhlichkeit, des Freimuts und der Gemütlichkeit, durch die — liebevoll vermerkte! — „Gschaftlhuberei“ und eine unglückliche Leidenschaft für Politik wird die ganze tragische Diskrepanz zwischen der traditionellen Ferienidylle in „Ruritanien“ und der ernsten österreichisdien Wirklichkeit aufgezeigt.

Bei aller Vielseitigkeit des skizzierten Österreichbildes dürfen wir vom literarischen Genius Englands noch eine tiefergehende Verschmelzung der idyllisch-romantisch-„vorindustriellen“ und realistisch-zeitgenössischen Schau des arbeitenden österreichischen Mensdnen und der österreichischen Landschaft erwarten, eine Schau, die beide nicht mehr als bloßes Anhängsel zum Deutschland-, Italien- oder Schweizerlebnis behandelt, sondern ihrem euro-päisdien Eigenwert und damit dem wahren Sinn englisch-österreichisdier Verständigung gerecht wird.

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