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Egk-Oratorium und Dresdener Staatskapelle

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In einem von Werner Egk geleiteten Chör- Orchester-Konzert wurde unter der Leitung des Komponisten das im Auftrag der Wiener Konzerthausgesellschaft geschriebene Oratorium „Furchtlosigkeit und Wohlwollen" urauf- geführt. Den gleichen (selbstverfaßten) Text nach einer indischen Legende hatte Werner Egk bereits 1931 komponiert. Aber jene erste Fassung bereitet infolge des Riesenapparats und der polyrhythmischen Kompliziertheit so große Schwierigkeiten, daß nur zwei Aufführungen zustande kamen. Nun hat Egk eine völlig neue Partitur geschaffen: für einen Solisten, großen gemischten Chor, Streichorchester, Schlaigwerk, je sechs Holz- und sechs Blechbläser, Harfe und Klavier. Man sieht: immer noch ein recht massives Aufgebot, denn Egk liebt es, seine Kraft .im Bewegen großer Vokal- und Instru- mentalensembles zu erproben. Das hat er mit Honegger und Prokofieff gemeinsam. — Er liebt auch die großen, breit angelegten Formen (das ganze Werk dauert eine gute Stunde und wird von zwei gewaltigen Chorsätzen von je fünf Minuten Dauer flankiert). Häufige Ostinati, exotische Tonleitern, originell- fremdartige Instrumentierung und stereotype Wortwiederholungen bestimmen den Stil. Mit Recht verwahrt sich Egk dagegen, daß man die letzteren als Orff-Imitationen abtue, denn als Egk, mit den gleichen Stilmitteln, zum erstenmal diesen Text komponierte, waren Orffs charakteristische erste Werke noch gar nicht erschienen („Carmina Burana“ wurden 1937, „Der Mond" 1939 uraufgeführt).

Wie die meisten Texte Egks hat auch dieser einen sittlichen Kern: Der arme Bauer Gamani wird dreimal falsch beschuldigt; aber er wehrt sich nicht gegen seine Beschuldiger, folgt ohne Furcht dem Ruf der Königsboten, die ihn vor das oberste Gericht laden, und bezieht nicht nur seine Ankläger, sondern auch die falschen Zeugen und seinen Richter, ja sogar die großen Elefanten, die ihn zu Tode trampeln sollen, in sein Wohlwollen ein. Aber da geschieht das „Wunder“: Furchtlosigkeit und Wohlwollen werden belohnt. Was die Menschen nicht sahen, spüren die Tiere: die Unschuld des Unschuldigen. Anstatt Ga- mäni zu zertreten, kehren die Elefanten, die mit ihren Schritten die Erde erschüttert haben, ruhig in ihren Stall zurück. — Das wird, teils durch einen Sprecher, teils durch den Chor, orientalisch-weitschweifig erzählt und mehr episch als dramatisch gestaltet, nicht ohne Anklänge an Ravel, Janaček und Strawinsky, besonders an die „Geschichte vom Soldaten“ und „Oedipus Rex“ — Vorbilder, zu denen sich Egk ja auch gelegentlich selbst bekannt hat. Harmonisch und im Duktus der Melodik scheint uns das neue Werk am meisten mit Egks „Irischer Legende“ verwandt.

Einem guten Chor bietet das Werk höchst dankbare, nicht allzu schwierige Aufgaben, desgleichen dem Orchester, dessen Spieler bei der Begleitung der farbig-reizvollen Rezitative auch solistisch eingesetzt werden (vor allem Klavier, Xylophon, Harfe, Cello und Kontrabässe). Die Aufführung durch die Singakademie, die Wiener Symphoniker und Helmut Krebs, Tenor, unter der Leitung des Komponisten darf als authentisch gelten.

Vorausgegangen war dieser Uraufführung eine konzertante Wiedergabe der Domszene aus Gottfried von E i n e m s Oper „Der Prozeß“ nach Kafkas gleichnamigem Roman mit den Solisten Carlos Alexander, Helmut Krebs und Lois L a v e r t y, Sopran. (Einems Oper wurde bekanntlich 1953 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt und damals an dieser Stelle ausführlich besprochen.)

Den bisher lebhaftesten Erfolg innerhalb des Musikfestes darf die Dresdener Staatskapelle unter Franz Konwitschny für sich buchen. Ihre Gründung geht auf das Jahr 1548 zurück, im 17. Jahrhundert wurde sie 55 Jahre lang von Heinrich Schütz geleitet, und in späterer Zeit galt sie als das Weber-Wagner-Strauss-Traditionsorchester. Das überlange Programm umfaßte: „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss, „Rondino gioccoso“ von Theodor Berger, „Hiller-Variationen“ von Max Reger und Dvor äks 5. Symphonie. Wir lernten ein Standardorchester kennen, dessen Perfektion an die besten amerikanischen Klangkörper erinnert. Aber dazu kommt noch ein Reichtum an Nuancen, eine Klangfülle und eine Wärme des Tons, gepaart mit Energie und Kraft, die ihresgleichen suchen. Die Dresdener Staatskapelle ist ein reines „Männerorchester“, das etwa zu einem Viertel aus jüngeren Kräften besteht. Jede Gruppe wäre einzeln zu rühmen, am meisten zu beneiden sind die Gäste vielleicht um ihren ersten Schlagwerker. — Prof. Franz Konwitschny, Leiter der Berliner Staatsoper und der Leipziger Gewandhauskonzerte. ist ein großer Herr des Orchesters, der — auswendig dirigierend — nach gutem altem Brauch mit der Rechten fast didaktisch taktiert und mit der Linken die Nuancen, die Ausdruckslinie vorzeichnet. Das Publikum bereitete den Gästen so lehafte Ovationen, daß die

„Meistersinger"-Ouvertüre als Zugabe gesielt werden mußte.

Mit den vier „Evangelien-Motetten“ von Johann Nepomuk David brachte der Wiener Kammerchor unter Hans Gillesberger einen Chorzyklus zur Uraufführung, der in seiner Profilierung und gleichsam milden Strenge musikalischer Haltung nicht nur ein echter David, sondern zugleich aparteste Handschrift zeitgenössischer Chormusik bedeutet. Anton Heillers „Ach wie nichtig“ und Lothar Knessls Motetto II, in unseren Spalten bereits eingehend gewürdigt, gehören zweifellos zum Schwierigsten für A-cappella- Gesang, aber auch zu den Spitzenwerken der Entwicklung. Die exakte saubere Wiedergabe erhöhte den starken Eindruck. Weniger überzeugend gelang der zweite Teil des Abends, Joseph Haydns „Pauken messe“, die durch ein wenig entsprechendes Solistenquartett in ihrer Wiedergabe beeinträchtigt wurde.

Auch der Akademie-Kammerchor stellte unter Leitung von Hans Swarowsky ein modernes Chorwerk einer Haydn-Messe gegenüber. S c h ö n b e r g s „Friede auf Erden", ein Chorwerk gewaltiger Spannungen, drückt die Unruhe eines Suchenden aus, dessen Chromatik an die Wiedergabe unerhörte Anforderungen stellt, die in der Tat nicht immer überzeugend zu „erhören“ waren. Wie sehr Chorklang und Sauberkeit der Intonation Jedoch Ingredienzen des Akademie-Kammerchors sind, bewies dieser bei der „N e 1 s o n m e s s e“ von Haydn, der auch Sonja Draksler (Alt) und Kurt Equiluz (Tenor) als Solisten in idealer Weise entsprachen.

Das Stuttgarter Kammerorchester unter Karl Münchin g er erfreute an zwei Abenden durch die Frische und Sauberkeit seines Musi- zierens sowohl als durch die stilmäßig ausgezeichnete Darstellung der Werke. Der erste Abend war Joseph Haydn gewidmet und gipfelte in einer leichtgewichtigen Wiedergabe des spielerischen Klavierkonzerts D-dur mit Martha A r g e r i c h als Solistin sowie in einer gleichsam szenischen Wiedergabe der „A b s c h i e d s s y m p h o n i e“.

Der zweite Abend gehörte neben ausgezeichnet musizierten Werken von J. S. Bach und Johann Pachelbel der zeitgenössischen Musik. J. N. Davids Zweites Konzert für Streichorchester (wir haben David selten so gelockert musizieren hören) ist eine Komposition voll innerer Dramatik und äußerer Spannungen, die sich nicht nur dynamisch entwickeln. Aehnliches ist von Artur Honeggers Symphonie Nr. 2 für Streicher zu sagen. In Willy Glas (Bachs h-moll-Suite) lernten wir einen Flötisten bedeutenden Formats schätzen.

Franz Krieg

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