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Allerseelen bei denen in der Fremde

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Wir leben in einer Zeit, in der sich viele Menschen die Scherereien mit der Leich’ ersparen und Reformer damit beginnen, gewerbsmäßig die Asche aus den Krematorien über Wiesen, am besten gleich ins Meer zu schütten. Da ist es zu danken, däß es ein früherer hoher Beamter übernahm, die Gräber berühmter Deutscher, Österreicher und Schweizer noch einmal in Evidenz zu nehmen, ehe die Zivilisation der Bulldozerära über solche Monumente einer, wie man vielfach sagt, überholten Sentimentalität hinweggeht. Der Österreicher liest dieses Buch vor allem deswegen mit Aufmerksamkeit, weil es ihn auch an jene Landsleute erinnert, die in der Fremde starben und begraben wurden. Weil sie es so haben wollten. Weil es so geschehen mußte. Weil es zufällig geschah.

Weit verstreut über den europäischen Kontinent, wie es der Geschichte des Hauses Österreich entspricht, liegen Grabstätten habs- burgischer Kaiser und Könige. Denn erst Matthias (t 1619) sorgte für die spätere Gruft bei den Kapuzinern in Wien. Rudolf I. (f 1291) und sein Sohn Albrecht I. sind im Dom von Speyer begraben. In der Gruft der ungarischen Herrscher in Stuhlweißenburg ist das Grab Albrechts II. (t 1439). In der Gruft des Escorial bei Madrid steht der Sarg Karls V.

(t 1558). Ferdinand I. (t 1564), sein Sohn Maximilian II. und sein Enkel haben ihre Gräber in der Metropolitankirche zu St. Veit in Prag. Ferdinand II. (f 1637) kehrte im Tod nach Graz zurück, wo er im Mausoleum am Dom seine Begräbnisstätte hat. Karl I. (t 1922) ist in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte auf der portugiesischen Insel Madeira bestattet.

Böhmen und Mähren wurden Grabstätten der bedeutendsten Staatsmänner und Militärs Altösterreichs: Kaunitz (t 1794) liegt in der Pfarrkirche jenes Ortes begraben, bei dem Napoleon die Großmacht der Ära Kaunitz vernichtete: Austerlitz. Metternich (f 1859) in Plaß, heute Plasy, und Schwarzenberg (f 1852) in Wittingau bei Bud- weis. Und Böhmen, das Kastell Mitteleuropas, blieb auch in der Ära des Niedergangs das Land der Herkunft vieler Politiker und Staatsmänner der alternden Monarchie. In Mähren, in Buchlau, ist der k. u. k. Minister des Äußeren, Graf Berchtold (1942) begraben. Er, dessen Wiener Palais, in dem er im Sommer 1914 die so verhängnisvollen aktenmäßigen Entscheidungen traf, heute Stabsquartier des Bundes Sozialistischer Akademiker ist.

In Böhmen ruht, nach wie vor von Gerüchten umwittert, der Schöpfer des Heeres der Kaiserlichen, Wallenstein (f 1634). Erst 1785 fand der Generalissimus eine endgültige Ruhestätte in der Schloßkapelle von Münichgrätz. Feldmarschall Schwarzenberg, dessen Verdienste um den Sieg über Napoleon in Österreich meistens vergessen, im Ausland lieber verschwiegen werden, ist seit 1820 in Worlik/ Moldau bestattet. Fürst Windisch- graetz (t 1862), der 1848 die Revolution in Prag und Wien niederkämpfte, in Ungarn an ihr scheiterte, hat sein Grab in der Sankt- Wenzels-Kapelle in Tachau. Der aus Brabant gebürtige Tilly, gefallen in kaiserlichen Diensten 1632 bei Rain am Lech, ist in der Stiftskirche St. Philipp und Jakob zu Alt- ötting begraben. Der aus Neuhofen an der Krems gebürtige Derfflinger, Mitbegründer von Preußens Gloria durch den Sieg über die Schweden bei Fehrbellin (1675) ist in Gusow, Kreis Seelow (DDR), bestattet.

Musiker, die nach Hofmannsthal so recht Österreichs Geist manifest machten, fanden in großer Zahl die letzte Ruhestätte fernab: Der Wiener Dittersdorf in Deschna bei Tabor (CSSR). Franz Liszt, neuerdings von drei Ländern für sich reklamiert, in dem 1945 durch amerikanische Artillerie zerstörten Mausoleum in Bayreuth, schließlich auf dem dazugehörigen Alten Friedhof. Auf demselben Friedhof ist Hans Richter begraben. Schindler, Beethovens Secretarius, liegt auf dem Bockenheimer Friedhof bei Frank- furt/Main.

Der Wiener Mottel auf dem Münchner Waldfriedhof und Weingartner auf dem Friedhof Rosenberg in Winterthur. Nikolaus von Reznicek wurde 1945 unter makabren Umständen auf dem Wilmers- dorfer Waldfriedhof bei Berlin (DDR) begraben: Ein amerikanischer Offizier hatte für den Treibstoff gesorgt, mit dem das Leichenauto — welch Glanz in diesem Sommer — bis an die Grenze Westberlins fahren konnte. Dort kam ein sowjetischer Offizier auf die winzige Trauergemeinde zu und sagte, es wäre besser, wenn die Frauen nicht mit ans Grab gingen. Denn es lägen Truppen im Quartier, derer man nicht Herr werde. Den Sargträgern wurde empfohlen, Schuhe, Strümpfe und Anzüge abzulegen, da es unter diesen Soldaten Interessenten für Zivilkleidung gebe. Und so trugen vier Männer in Unterhosen und barfuß den Sohn des k. u. k. Feldmarschalleutnants Reznicek über die Zonengrenze, die zwei Welten trennt, zu Grabe.

In Darmstadt ist Josef Olbrich begraben, in München Moritz von Schwind, unweit davon Senefelder, Erfinder der Lithographie. Auf dem nördlichen. Friedhof an der Münchner Arcistraße ist das Grab Franz Defreggers. Und weit verstreut, wie die Gräber der Kaiser und Könige, sind die der Wissenschaftler. In Heidelberg ist das Grab des Nobelpreisträgers aus Wien, Richard Kuhn. Auf demselben Friedhof, dem Bergfriedhof, das Franz von Lists, des Begründers der deutschen soziologischen Strafrechtslehre. In Bonn, auf dem Poppelsdorfer Friedhof, ist das Grab des Kirchenhistorikers Albert Erhard (t 1940), aus Wien vor zwei Generationen als angeblicher Modernist vertrieben, wurde er in seiner Treue zur Kirche ein Vorbild der vielfach glaubenslos gewordenen Modemisten von heute. Edmund Husserl (t 1938) fand sein Grab auf dem Alten Friedhof in Freiburg. Mach, dessen Philosophie Lenin herausforderte, liegt auf dem Münchner Hauptfriedhof, Fritz Mauthner, dessen Geschichte des Atheismus einmal die Gemüter bewegte, in Meersburg am Bodensee. Der Oberösterreicher Heinrich Brunner, Hauptvertreter der germanisch-historischen Rechtswissenschaft, ruht auf dem von mancherlei Unheil bedrohten Friedhof der « ‘

St.-Mathäi-Gemeinde in Berlin- Schöneberg. Auf demselben Friedhof ruht der Literaturhistoriker Wilhelm Scherer. Das Grab des Physikers Doppler (t 1853) befindet sich auf dem Friedhof von San Michele (Venedig), ist aber verschollen.

Der Schauspieler Alexander Moissi (t 1935) ist in Morcote/Tessin beerdigt. Fritz Kortner, aus Wien gebürtig, auf dem Waldfriedhof München. Leo Slezaks Grab ist auf dem Alten Friedhof in Rottach- Egern, Bayern. Auf dem Friedhof Heerstraße in Berlin sind der Dichter Ferdinand Bruckner und Tilla Durieux, beide aus Wien, beerdigt. Auf dem Neuen Jüdischen Friedhof der Prager Ernst Deutsch. Vier aus Österreich stammende Vertreter der darstellenden Kunst sind in dem vorliegenden Buch nicht erwähnt.

Die bevorstehende 60. Wiederkehr des Todestages von Maria Ebner-Eschenbach (t 1916) wird sicher die Erinnerung zu ihrem Grab in Zdislawitz bei Kremsier (CSSR), lenken. Franz Kafkas, heimgekehrt und bestattet auf dem Neuen Jüdischen Friedhof Prag-Olsany, wurde heuer, im 50. Todesjahr, viel gedacht. 100 Jahre werden 1976 vergangen sein, seit Rainer Maria Rilke, beerdigt in Raron, Kanton Wallis, geboren wurde. In der Schweiz ist auch das Grab der gewesenen Geistlichen Karl Anton Postl (Solothurn, St. Nikolaus), dessen abenteuerliches, von zahlreichen Wandlungen erfülltes und vielfach geheimnisvoll gebliebenes Leben als Charles Sealsfield (t 1864) so sehr das Interesse unserer Zeit verdiente. Verkannt und verleugnet starb 1962 Erwin Kolbenheyer, dessen Grab in Gartenberg (Kreis Tölz) in Bayern liegt. Der Wiener Alfred Polgar, „letzter großer Repräsentant des Wiener Feuilletons“, ist auf dem Friedhof Sihlfeld bei Zürich beerdigt. In Gotha wollte Bertha Suttner, Pazifistin und erste Nobelpreisträgerin aus Österreich, ihre Feuerbestattung und letzte Erinnerungsstätte haben (f 1914).

Der Österreicher denkt an zahlreiche Politiker und Staatsmänner, die in den bewegten Zeiten des 19. und 20. Jahrhunderts ihr Land verließen, in der Emigration starben und deren Gräber vielfach verschollen sind. Nur drei Politiker nennt das vorliegende Buch, keine Emigranten: Anastasius Grün, beerdigt im heimatlichen Thum am Hart bei Gurkfeld, heute Jugoslawien. In der Nähe Bismarcks wollte Georg von Schönerer (f 1921) beerdigt sein (Aumühle/Lauenburg). Und auf dem Südfriedhof von Nürnberg ist das Grab Glaise-Horstenaus, der 1946 im Lager Langwasser Selbstmord verübte.

Ein wenig mehr vollständig ist die Liste anderer, die nach ihrer Emigration während der dreißiger Jahre in der Fremde starben: Auf dem Jüdischen Friedhof Unterer Friesenberg/Zürich: Felix Salten. In Driehuizen-Westerveld bei Haarlem, Holland: Karl Kautzky. Auf dem Friedhof St-Quen bei Paris der aus Budapest gebürtige Ödön von Horvath und auf dem Friedhof Thiais Joseph Roth. In Aberdeen, Großbritannien: Alfred Adler. Im Krematorium Golders Green, London: Sigmund Freud. Auf dem Brompton- Cemetary, London/Kensington: Richard Tauber.

In ihrer Heimat fremd geworden, liegen in Siders, Kanton Wallis, Rudolf Kassner, in Gstaad, Kanton Bern, Richard Coudenhove-Kalergi und im Zentrum der anthroposophischen Bewegung, im Goetheaneum Dörnach, Kanton Solothurn, Rudolf Steiner.

Manche Lücke in der Aufzählung wird durch ein liebevoll erkundetes Detail kompensiert: Das Grab der Mutter Mozarts auf dem Friedhof St-Eustache, Paris. Oder das Grab des Haudegens und Mannes, der zuvor mit Napoleon I. vermählten Erzherzogin Maria Luise, des Grafen Neipperg (t 1829) in der Kirche Madonna della Steccata in Parma.

Von den vielen Erzherzoginnen, die als Gemahlinnen fremder Monarchen in der Ferne gestorben sind, nennt der Autor nur Marie Antoinette und deren Kenotaph in der St-Denis-Basilika. Chateaubriand beschreibt die Exhumierung der sterblichen Überreste Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes in der Ära Ludwigs XVIII. Wie man in dem seinerzeit mit Kalk zugeschütteten Massengrab die Gebeine der Majestäten aus der großen Zahl derer, die in der Revolution dekapitiert wurden, heraussuchen wollte. Der Dichter glaubte an einem Totenschädel die Spur jenes Lächelns Marie Antoinettes gesehen zu haben, das ihn einmal in Versailles getroffen hatte.

In der Toskanagruft bei den Wiener Kapuzinern fehlen zwei Särge, deren Verbleib der Autor erwähnt: Jener der Erzherzogin und Kronprinzessin Luise von Sachsen, deren Scheidungsaffäre und Ehe mit Enrico Toselli Stoff für Stehsatz aller Illustrierten bleibt, so wie Tosellis etwas larmoyante Serenade vor 1914 d i e Piece aller Stehgeiger in den Konzertcafes wurde. In der Hohenzollerngruft in Sigmaringen fand die von allen Furien der Sensationslust gepeinigte, alt gewordene Erzherzogin (f 1944) eine Ruhestätte. Und jener des Bruders Luisens, des Erzherzogs Leopold von Österreich, genannt Wölfling (t 1935). Wölflings Chronique scandaleuse des Hoflebens der Ära Franz Josephs, Wahres und Unwahres, blieben bis über seinen Tod hinaus Fundgrube für alle, die mit der endlosen Wiederholung von Affären an Höfen immer wieder das merkwürdige Interesse integrer Republikaner zu wecken wissen, obwohl letztere in näherliegenden Zeiten viel „besseres“ Anschauungsmaterial zur Hand hätten.

Viele Gräber sind verschollen, Der Autor erwähnt einige namentlich: Meister Pilgrams Grab — wer kennt es? Der Komponist Johann Joseph Fux (t 1741), beigesetzt im Friedhof bei St. Stephan, erhält jetzt mit der mächtigen Verkehrsbauanlage der U-Bahn ein seltsames Monument. Robert Musils Asche wurde bei Genf im Wald verstreut. Die Urne mit der Asche des aus Wien gebürtigen Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli (t 1958) wurde Angehörigen überlassen. Bei einem Brand im Jahre 1925 ist die Urne mit der Asche Leopold von Sacher-Masochs, die sich in seinem früheren Wohnhaus in Lindheim/Berhessen befand, verbrannt.

In den Gebeten zum Abendsegen wurde früher täglich und ausdrücklich jener gedacht, deren sich niemand besonders erinnert. In diesem Sinn gäbe es viele Gräber von Österreichern, die in Krieg und Frieden fern von daheim verstorben sind. Der Autor wählte nur Grabstätten berühmter Österreicher aus. Selbst diese Auswahl ist zu knapp. Aber der Autor gibt interessante Literaturhinweise für den, dem noch Vergangenheit Gegenwart ist. Und es könnte sein, daß es ein Österreicher auf sich nimmt, die

Stätten derer zu erkunden, deren sich niemand besonders erinnert, an die sich aber eine Erinnerung unserer Geschichte knüpft. Und das sollte geschehen, ehe das Gesetz: Mit dem Tod ist ohnedies alles aus, vollends Geltung bekommt und die für wirtschaftliche Zwecke nutz- und wertlosen Gebeine der Toten samt ihren Grabmonumenten endgültig zum Verschwinden gebracht werden.

HANDBUCH DER GRABSTÄTTEN BERÜHMTER DEUTSCHER, ÖSTERREICHER UND SCHWEIZER. Von Joachim Aubert. Deutscher Kunstverlag, München und Berlin 1973, 200 Seiten, 63 Bilder.

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